Von Sabine Hebbelmann und Ute Teubner
Rhein-Neckar. E
igentlich sind Schmetterlinge Überlebenskünstler. Um ihre Feinde in die Flucht zu schlagen, haben sie Tricks auf Lager, die allerhöchsten Respekt verlangen. Einige der weltweit knapp 200.000 bekannten Schmetterlingsarten sind giftig. Klar. Zumal sie sich auch mal gerne von giftigen Pflanzen ernähren, auf diese Weise im Laufe der Evolution eine Resistenz ausgebildet haben – und nun das Pflanzengift erfolgreich gegen die eigenen Fressfeinde einsetzen. An sich schon genial genug. Doch viele der filigranen Flugkünstler haben noch erheblich raffiniertere Methoden entwickelt, um sich gegen räuberische Insekten und Vögel, Maulwürfe, Mäuse und andere Säugetiere zur Wehr zu setzen ...
Manche Nachtfalter etwa klappen mitten im Flug blitzschnell ihre Flügel ein und lassen sich kurzerhand wie ein Blatt im Wind fallen, nähert sich eine jagende Fledermaus. Die beißt übrigens auch beim Bärenspinner auf Granit: Der droht den Jägern der Lüfte einfach, indem er couragiert ebenfalls (wenig freundliche) Signale im Ultraschallbereich aussendet, die abschreckend wirken. Der Erdbeerbaumfalter – berüchtigt für sein ausgeprägtes Territorialverhalten – nimmt es sogar mit Vögeln auf, die er höchsteigen tollkühn verscheucht. Und das, obwohl Schmetterlinge in der Regel den gefiederten Räubern lieber aus dem Weg fliegen.
Eine weniger aggressive Taktik, Feinden Paroli zu bieten, ist die sogenannte Mimikry – eine gute Tarnung eben. Viele Schmetterlinge sehen aus wie ein Stück Rinde, Zweige, Steine oder Blätter. Manche täuschen mit ihrer Flügelzeichnung Eulen- oder Schlangenköpfe vor. Und der Hornissenschwärmer vertreibt potenzielle Kontrahenten als "stechendes Insekt".
So weit, so erfolgreich. Ihre natürlichen Feinde haben die Falter also voll im Griff. Nur gegen einen scheint weder Gift noch Trick zu helfen: Die größte Bedrohung für den Schmetterling ist der Mensch, der die Lebensräume dieser zartgliedrigen, oft so farbenfrohen Wesen dauerhaft zerstört.
Sicher: Der "Wonnemonat" Mai war diesmal besonders kalt und feucht. Und im April sanken die Temperaturen sogar so tief wie seit 35 Jahren nicht mehr. Entsprechend spät dran: die Vegetation. Doch während mittlerweile die Blütenpracht umso üppiger zu sprießen scheint, sind nach wie vor nur wenige Schmetterlinge unterwegs. Ein Zufall? Wohl kaum. Experte Michael Ochse erinnert an die zurückliegenden, extrem trockenen Sommer und eine ausgeprägte Wintertrockenheit. Die hätten vielen Schmetterlingen und ihren Entwicklungsstadien – von der Raupe über die Puppe bis zur Imago – massiv zugesetzt, sagt er.
O
bwohl sich der Vorsitzende von "Pollichia", einem forschenden Naturschutzverein mit Sitz in Neustadt an der Weinstraße, lieber mit Hypothesen zurückhält und statistisch abgesicherte Aussagen zur Bestandsentwicklung erst nach einer Reihe von Jahren getroffen werden können, verweist Ochse auf das bundesweite Tagfalter-Monitoring des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), eine Art "Volkszählung für Schmetterlinge". Diese hat für den Zeitraum von 2006 bis 2019 klar ergeben: Die Trends weisen bei vielen Arten abwärts. Auch verbreitete Schmetterlinge wie Schwalbenschwanz oder Kohlweißling verzeichnen Rückgänge.
Wandergelbling.
In Naturschutzkreisen ist das Insektensterben schon lange Thema. Seit der "Krefelder Insektenstudie" (2017) aber ist es auch ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Diskutiert wird über den Einsatz von Pestiziden oder die Verbreitung von Schottergärten. "Durch einen anderen Umgang mit Grünflächen lässt sich sehr viel für Schmetterlinge, Wildbienen und weitere Insekten erreichen", ist Experte Ochse überzeugt.
U
nter anderem im Fokus: die Mähtechnik. Mulchen ist in Deutschland seit über 20 Jahren verbreitet. Das Schnittgut wird direkt zerkleinert und bleibt auf der Fläche liegen – dabei werden 80 Prozent der Kleintiere und Insekten vernichtet. Wie ein feuchter Filz legt sich das Schnittgut auf den Boden, die Keimung neuer Pflanzen wird behindert und es gibt weniger Schmetterlinge und Wildbienen. Ochse rät stattdessen, das Mähgut zu entfernen und als Tierfutter zu nutzen. Auch der Zeitpunkt der Mahd ist wichtig: Er entscheidet darüber, ob die verschiedenen Pflanzenarten überhaupt zur Samenreife und zur Blüte kommen können. Allerdings: "Pauschal kann man nicht sagen, welches der richtige Mähzeitpunkt ist, das hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab", räumt Ochse ein.
Rotklee-Bläuling.
E
in weiterer Faktor, der einen Einfluss auf den Insektenbestand hat: Große Flächen, wie sie durch Flurbereinigung massenhaft entstanden sind, können den verschiedenen Pflanzenarten und den an sie angepassten "Blütenbesuchern" nicht mehr genug Nischen bieten. Aber auch auf ihnen können vielfältige Strukturen entstehen, so Michael Ochse. Etwa, wenn der Bewirtschafter Teilflächen bei der Mahd ausspart oder bis zur zweiten Mahd stehen lässt.
Weil Insekten an heimische Arten angepasst sind und mit exotischen Pflanzen oft wenig anfangen können, trägt die Bekämpfung invasiver Arten zu mehr Vielfalt bei.
In Naturschutzgebieten, wo die Grundsätze umgesetzt werden, kann man den Unterschied erleben. Hier gibt es sie noch, die Scheckenfalter, Bläulinge oder Widderchen. Die Walldorfer Storchenwiese beispielsweise ist zu einem Refugium für seltene Vögel geworden, die auf der weitläufigen Feuchtwiese noch öfter als anderswo einen Wurm oder Grashüpfer finden. Naturschutzwart Peter Weiser hatte für das Gebiet bereits vor einigen Jahren gemeinsam mit dem örtlichen Naturschutzbund ein Konzept für ein Mähmanagement entwickelt. Es wird abschnittsweise gemäht, um den Wiesenknopf und damit die Ansiedelung des streng geschützten Wiesenknopf-Ameisenbläulings zu fördern.
Rotklee-Bläuling.
Die ehrenamtlichen Naturschützer der Region haben die Zusammenhänge also auf dem Schirm. Aber auch in jedem Hausgarten kann ein Beitrag zu mehr Artenvielfalt geleistet werden. "Wenn 80 Prozent regional angepasste Pflanzen sind und 20 Prozent exotische Pflanzen, die toll blühen, dann profitieren die heimischen Insekten", erklärt Michael Ochse, der im Homeoffice selbst die Chance ergriffen hat, den eigenen Garten entsprechend umzugestalten. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, brauche es keine kurz geschnittene Spielwiese mehr. "Auf Flächen, die nur einmal im Jahr gemäht werden, kann man Schmetterlingen und Wildbienen Nahrung und Nistmöglichkeiten für einen vollen Lebenszyklus bieten."