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anz still sitzt Ole in seinem Versteck. Er schnuppert. Nimmt Witterung auf. Vor ihm, hinter den Gitterstäben, sitzt Lotti. Schneeweißes Fell, blaue Augen. Eine Verlockung. Doch Ole ist unschlüssig. Drei Tage schon genießt er jetzt seit seinem Ausbruch schon die Freiheit. Drei Tage grünes Grün, Bocksprünge, Vollgas geben. Leben eben.
Doch jetzt vermisst er Lotti. Und hadert mit sich. Sex oder Freiheit? Liebe oder Tod? Der Fuchs schleicht schon um die Häuser. Ole ist schnell, aber ist er auch schneller als der Fuchs? Irgendwann muss er dann wohl seinen Widerstand aufgegeben haben. Resigniert ließ sich Ole mit Hilfe eines Planschbeckens in eine Ecke drängen und einfangen.
Für die Nachbarn war es das Ende eines schönen Schauspiels. Wir, frühmorgens im Nachthemd, hakenschlagend im Garten auf Kaninchenjagd. Jetzt sitzt Ole wieder in seinem Gehege, hormonell ausgeglichen, aber trotzdem latent unzufrieden.
Wenn die Hasenkrise existenziell wird
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Wer keine Haustiere hat, mag sich solche Geschichten amüsiert anhören und sich dann wieder seinen Geschäften zuwenden. Wer Tiere hat und Kinder dazu, ahnt, dass sich so eine Hasenkrise zur existenziellen Angelegenheit ausweiten kann.
Einmal war der Fuchs ja schon da gewesen, damals, als das Gehege noch kein Hochsicherheitstrakt war. Am Ende gab es ein totes Meerschweinchen, sehr viele Tränen und ein Staatsbegräbnis. Und nach einer angemessenen Trauerphase musste dann natürlich Ersatz her.
In den meisten Familien ist der Wunsch nach einem Haustier so vorhersehbar wie das Amen in der Kirche. Einige Eltern schaffen es, standhaft zu bleiben. Die meisten, die ich kenne, schaffen es nicht.
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So leben inzwischen 22 Millionen Haustiere in deutschen Haushalten, davon 8,2 Millionen Katzen und 5,4 Millionen Hunde. Zwei Drittel der Deutschen sind mit Tieren aufgewachsen, mehr als die Hälfte betrachtet sie als Bereicherung des Familienlebens. Und zehn Prozent finden, Kinder sollten grundsätzlich mit Haustieren groß werden. Das ergab eine Forsa-Umfrage für die Studie „Hund - Katze - Mensch. Die Deutschen und ihre Heimtiere“, die die Firma Mars Petcare veröffentlichte.
Das Tier als Beziehungspartner
„Gerade in den ersten Lebensjahren dient das Tier als Brücke zwischen dem Kleinkind und seiner Umwelt“, sagt Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind. Ein Tier komme dem kindlichen Bedürfnis nach Spiel und Aktivität entgegen.
Neun von zehn Achtjährigen bezeichneten ihr Haustier in einer Untersuchung sogar als einen der wichtigsten Beziehungspartner in ihrem Leben. Es ist Tröster, Vertrauter und Puffer bei Konflikten zwischen den Eltern. Und es lehrt sogar an seinem Lebensende etwas sehr Wichtiges: den Umgang mit Abschied und Tod.
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In der Mars-Heimtierstudie wurde erstmals umfassend zusammengetragen, welche Bedeutung Haustiere für Bildung, Sozialleben, Gesundheit und - der Auftraggeber lässt grüßen - für die Wirtschaft haben. Allein der Markt für Heimtierfutter und -bedarf sorgte 2011 für Umsätze von 3,78 Milliarden Euro.
Der Schwerpunkt der Studie aber liegt auf dem sozialen Aspekt der Tierhaltung. Und da können die Wissenschaftler durchaus mit Überraschendem aufwarten. So hält inzwischen jede dritte Förderschule und jede vierte befragte Grundschule eigene Tiere.
Stimmungsaufheller für jedes Alter
Auch am anderen Ende der Generationenskala wächst die Tierliebe: 32 Prozent aller Haustiere leben heute bei Menschen über 60 Jahren. 2003 waren es noch 24 Prozent. Haustiere, so die Mars-Studie, geben Einsamen und Alten als Lebenspartner Sinn und Struktur, ermöglichen Körperkontakt und Zärtlichkeit und wirken stimmungsaufhellend.
Erkenntnisse, die inzwischen auch im Alltag von Seniorenheimen Einzug gehalten haben. Immer mehr Heime erlauben die eigene Tierhaltung oder organisieren Tierbesuchsdienste, um ihre Bewohner aus der Reserve zu locken.
Aber auch in jüngeren Singlehaushalten wächst der Trend zum tierischen Mitbewohner: Von 23 Prozent im Jahr 2003 auf 28 Prozent 2011.
„Da der familiäre Generationenvertrag seine Bindungskraft weitgehend verloren hat, werden Heimtiere zunehmend zum liebevollen Ersatz sozialer Beziehungen und durchaus auch zum Kind- und Partner-Placebo“, sagt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann. In einer Zeit, in der die Unsicherheiten zunähmen und das Leben immer urbaner, virtueller und flexibler werde, werde das Tier zum „emotionalen Anker“.
Und nicht selten auch zum Lebensinhalt. Wie fanatisch manch einer sich um das Wohlergehen von Meerschweinchen und Co sorgt, zeigt ein Blick in die Internetforen. Futter vom Discounter? Zu wenig Auslauf? Einzeltierhaltung gar? Wer sich solcher Verbrechen gegen das Tier schuldig macht, wird gnadenloser abgekanzelt als eine Mutter, die sich bei mamiweb.de zum vorzeitigen Abstillen bekennt.
Erfolgreich Flirten beim Gassigehen
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Tiere sind Kommunikationsbeschleuniger. Vor allem, wer einen Hund hat, kommt sich beim Gassigang schnell näher – man hat ja gleich ein gemeinsames Thema. In der Studie „Flirtfaktor Hund“ des Kölner Rheingold-Instituts gaben 82 Prozent aller Hundebesitzer an, zumindest gelegentlich zu flirten.
Ein Freund von mir legte sich sogar eigens zu diesem Zweck einen Hund zu. Nach einigen Wochen hatte er nicht nur mit sämtlichen Singlefrauen seines Stadtteils einmal geflirtet. Er lernte auch eine von ihnen lieben. Auf der Hundewiese.
Doch es gibt ja durchaus auch tragische Aspekte der Tierliebe. Scheidungshunde, die, zwischen Herrchen und Frauchen in Solidaritätskonflikte geraten und depressiv werden. Alte Katzen, die den Tod ihrer Halterin nicht verwinden und eingeschläfert werden müssen.
Der Hamster sorgt für ein lebenslanges Trauma
Ein Bekannter erzählte, dass das Verhältnis zu seinem Vater nachhaltig zerrüttet ist, seit der sich weigerte, wegen eines im Heizungsrohr eingeschlossenen Hamsters die Wand aufstemmen zu lassen.
Stundenlang saß der Junge weinend vor der Wand, bis die Kratzgeräusche des erschöpften Tieres endlich verebbten. So ein Erlebnis kann Therapeuten noch Jahre später das Auskommen sichern.
Ob Ole das alles bedacht hat, als er sich seinen Fluchttunnel in die Freiheit grub? Wahrscheinlich nicht. Also wird er es wieder tun. Es ist seine Natur. Und das ist auch gut so. Denn dafür lieben wir sie ja auch, unsere Tiere: weil sie einfach tun, wozu sie erschaffen wurden.