Produzenten setzen vor allem auf Insektenpulver oder -bestandteile
Bis 2018 wurden Insekten von keiner EU-Verordnung erfasst, weil sie nicht als Lebensmittel galten. Die Mitgliedsstaaten formulierten eigene Regeln, die von insektenfreundlich bis insektenphobisch reichten. Das änderte sich mit der Einführung der EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel 2018. Sie erfordert individuelle Genehmigungen für jede Insektenart – und die erste Erlaubnis wird für Anfang 2021 erwartet.
Hersteller insektenbasierter Nahrungsmittel haben dann die Möglichkeit, ihre Produkte EU-weit zu vermarkten. IPIFF prognostiziert, dass in der Folge die Herstellung von Insektenprodukten von 5000 Tonnen im Jahr 2019 auf 260.000 Tonnen bis 2030 ansteigen wird. Keine Sorge, falls Ihnen die Vorstellung gegrillter Grillen nicht mundet: Um Wachstum zu generieren, setzen Produzenten vor allem auf Insektenpulver oder -bestandteile – und nicht auf ganze Krabbeltiere (siehe Grafik).
Umweltverträgliches, oft selbst hergestelltes Protein
Insekten könnten die Menge an umweltbelastenden Proteinen im Tierfutter – etwa Fischmehl und Sojabohnen – verringern. Ein Fünftel des weltweiten Wildfischfangs geht derzeit in die Herstellung von Fischmehl, was vielerorts zur Überfischung beiträgt. Die Sojaproduktion richtet in den Wäldern Südamerikas verheerende Schäden an.
In den meisten Industrieländern sind Insekten in Fisch- und Heimtierfutter bereits erlaubt. 2018 genehmigte die US-amerikanische Food and Drug Administration auch die Verwendung von Insekten in Geflügelfutter; die EU wird voraussichtlich Ende 2020 oder Anfang 2021 nachziehen. Europäische Insektenproduzenten wie Protix, Ÿnsect und InnovaFeed sammelten Millionen von Euro ein, nachdem die EU 2017 die Verwendung von Insekten in Fischfutter genehmigt hatte; die Öffnung des Geflügelfuttermarktes wird den nächsten Schub bringen.
Zugegeben, die Produktion von Insekten ist derzeit teurer als die von Soja, aber Futtermittelherstellern bieten sie die Chance auf ein umweltverträgliches, oft selbst hergestelltes Protein, in das es sich in Zeiten einer globalen Pandemie und eines erhöhten Verbraucherbewusstseins zu investieren lohnt.
Gut möglich, dass Konsumenten 2021 Fleisch bereits selbst herstellen können
Die Herstellung von Fleisch im Labor könnte die Umweltfolgen der Fleischproduktion zusätzlich senken. Dabei werden Stammzellen eines Tieres in einem Bioreaktor gezüchtet, eingebettet in einem nährstoffreichen Wachstumsmedium. Sobald die Zellen sich vermehren, können sie in Muskel- oder Fettzellen differenzieren. Die Wissenschaftler setzen die so entstandenen Zellen dann zu einem Produkt zusammen. Mehr als 50 Start-ups arbeiten aktuell an unterschiedlichen Zuchtfleischprodukten, darunter Burger, Chicken-Nuggets, Garnelenknödel und Steak. Gut möglich, dass Konsumenten 2021 Fleisch bereits selbst herstellen können.
Hauptprobleme für die Markteinführung von Laborfleisch waren bislang „die Kosten, Kosten und Kosten“, sagt David Kaplan, Biomediziner an der Tufts University. Gewebeherstellung in großem Maßstab ist nahezu unerschwinglich. Die Herstellung des schlichten Hamburgers, der 2013 von Mosa Meat, einem niederländischen Start-up-Unternehmen, vorgestellt wurde, kostete 250.000 Euro. Doch im Januar 2020 konnten Forscher der Northwestern University die Kosten für das Wachstumsmedium, den teuersten Teil des Prozesses, um 97 Prozent senken.
Zuchtfleisch verbraucht 99 Prozent weniger Land und etwa 90 Prozent weniger Wasser
Das, so Hannah Tait von Mosa Meat, würde die Kosten für Labor-Burger auf erschwinglichere neun Dollar senken. Branchenbeobachter vermuten, dass zuerst Memphis Meats, ein Start-up mit Sitz in Kalifornien, Produkte auf den Markt bringen wird. Im Mai 2020 sammelte es 186 Millionen Dollar ein – mehr als der Gesamtwert aller bisherigen Investitionen in Zuchtfleisch. Der Erfolg pflanzlicher Fleischersatzprodukte etwa von Beyond Meat und Impossible Foods hat den Investoren Appetit gemacht. Europa, Israel und Asien sind weitere wichtige Drehscheiben für die Industrie.
Wie bei Insekten ekeln sich manche Menschen vor Laborfleisch. Doch durchaus zwingende Argumente sprechen dafür. Zuchtfleisch verbraucht 99 Prozent weniger Land und etwa 90 Prozent weniger Wasser als konventionell in Europa produziertes Fleisch. Darf es dennoch Fleisch heißen? Darüber wurde bereits gestritten. Aber „die globale Regulierungsgemeinschaft war mit überwältigender Mehrheit dafür“, sagt Eric Schulze von Memphis Meats. US-amerikanische und europäische Regulierungsbehörden haben ihre Richtlinien bereits skizziert.
Gut möglich also, dass 2021 Laborfleisch auf dem Speiseplan stehen wird, sagt David Kaplan. „Wir haben keine Wahl. Denn wenn wir es nicht tun, stecken wir in Schwierigkeiten.“