Mars-Konzern: Hersteller von Snickers und Whiskas will „besseren“ Kapitalismus

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as amerikanische Unternehmen Mars ist vor allem für Schokoprodukte mit reichlich Zucker bekannt: Snickers, M&Ms, Milky Way, Mars-Riegel und andere. Schon weniger verbreitet ist die Tatsache, dass der größere Teil des über 35 Milliarden Dollar schweren Mars-Geschäftes auf den Haustiermarkt entfällt, mit Futtermarken wie Whiskas, Royal Canin oder Pedigree sowie mit einer Kette von Veterinärkliniken.

Noch weniger bekannt ist der weltanschauliche Ehrgeiz der riesigen Familienfirma aus McLean im Bundesstaat Virginia, ganz in der Nähe der US-Hauptstadt Washington: Mars schickt sich an, den Kapitalismus neu zu erfinden.

Nichts Geringeres ist der Anspruch einer neu gegründeten Stiftung mit Sitz in Genf, deren Existenz Mars an diesem Mittwoch verkündet. „Die Organisation soll zu einer gerechteren, verantwortungsvolleren Form des Kapitalismus beitragen“, legt das Unternehmen gleich zum Start die Messlatte hoch. Man verstehe sich als eine Art Gegenentwurf zu den Lehren des Milton Friedman.

Eine „weiterentwickelte Form des Kapitalismus“

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Nach den Thesen des liberalen Wissenschaftlers, der vielen als einflussreichster Ökonom der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gilt, sollten sich Unternehmen vor allem auf die Steigerung der eigenen Gewinne konzentrieren, um den größten Nutzen für alle zu stiften. Mars will, so die durchaus unbescheidene Ankündigung, nun „in einer Post-Covid-19-Welt eine weiterentwickelte Form des Kapitalismus schaffen“.

Engagement für ökologische Achtsamkeit und gesellschaftlichen Ausgleich könnte helfen, nicht nur als Hersteller von hochkalorischem Süßkram wahrgenommen zu werden. Die Kritik an der Branche wächst. Mars ist davon nicht ausgenommen. So nominierten die Essensaufseher von Foodwatch den „Be-Kind Protein Riegel Crunchy Peanut Butter“ von Mars in diesem Jahr für ihren Schmähpreis „Goldener Windbeutel“.

Mars vermarkte den Erdnussriegel wie einen Sport-Snack. „Dabei besteht er zur Hälfte aus Fett und Zucker und ist damit alles andere als gesund“, monierte Foodwatch. Die Verbraucherzentrale Hamburg brandmarkte Mars Minis, Snickers Minis & Co einmal als „Mogelpackung“.

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Der weltanschauliche Impetus des US-Konzerns könnte dennoch mehr sein als ein plumpes Ablenkungsmanöver. Schon personell ist die Stiftung namens „Economics of Mutuality“ (EoM, etwa: Wirtschaft der Gegenseitigkeit) möglichst hoch aufgehängt. Ihr Chef, Stephen Badger, ist ein Urenkel des Firmengründers Frank Mars.

Badger, heute Vorstandsmitglied und früher Präsident des Konzerns, lässt sich mit programmatischen Sätzen zitieren wie: „Es gibt reichlich Beweise, dass das alte Modell des Kapitalismus nicht funktioniert. Es ist Zeit für einen neuen Fahrplan.“ Unternehmen könnten nun „die treibende Kraft für Gutes“ sein. Nachhaltiges und sozial verträgliches Verhalten seien nach dem EoM-Ansatz mindestens so entscheidend wie profanes Profitstreben.

Kooperationen mit renommierten Universitäten wie Oxford, Harvard, Stanford oder mit der Pariser Sorbonne zu Projekten rund um den EoM-Denkansatz, erstmals 2007 von einer firmeneigenen Denkfabrik entworfen, hebt Mars ebenfalls hervor. Doch über die Größe des Finanztopfes als Basis für die neue Stiftung schweigt man sich aus.

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Das passt zu einer 107-jährigen Firmentradition. Die Kaufleute aus McLean gelten mit einem von „Forbes“ auf 78 Milliarden Dollar (65,9 Milliarden Euro) geschätzten Vermögen nicht nur als eine der reichsten Familien der USA, sondern auch als ausgeprägte Geheimniskrämer.

Von den meisten Mitgliedern der Gründerfamilie gibt es keine Fotos, zum Teil sind nicht einmal die Vornamen in der Öffentlichkeit bekannt. In Washington kursiere ein Witz, erzählte der Ökonom und EoM-Mitentwickler Jay Jakub kürzlich in einem Interview.

Danach gebe es in der Gegend von McLean zwei Geheimorganisationen an derselben Straße, aber nur eine arbeite wirklich vertraulich. „Und wir wissen, welche nicht gemeint ist“, fügte er fröhlich hinzu. Hintergrund: Das Hauptquartier des US-Geheimdienstes CIA liegt weniger als eine Straßenmeile entfernt von Mars’ Firmenzentrale.

Stiftungs-Chef ist Stephen Badger, ein Urenkel des Firmengründers Frank Mars

Mars-Konzern: Hersteller von Snickers und Whiskas will „besseren“ Kapitalismus

Quelle: Getty Images

Badger fällt, trotz einer vorsichtigen Öffnung des schon mal als Schoko-Kreml apostrophierten Konzernsitzes, in mancherlei Hinsicht aus diesem Rahmen. Nicht nur, weil er nebenbei ein gewisses Renommee als Dokumentarfilmer erworben hat, der unter anderem einen preisverdächtigen Streifen über Musikstudios produziert hat.

Sondern auch, weil er politische Äußerungen zu gesellschaftlichen und ökologischen Themen in der Öffentlichkeit nicht scheut. So hielt er mit seiner Enttäuschung über den Austritt der Trump-Regierung aus dem Klimaabkommen von Paris ebenso wenig hinter dem Berg wie mit Selbstkritik am hohen Ausstoß an Treibhausgasen durch das eigene Unternehmen.

Der EoM-Ansatz muss trotz willkommener Image-Nebeneffekte nicht unglaubwürdig sein, glauben Beobachter. Im Zentrum steht die Vorstellung, dass ein Unternehmen einen Daseinszweck jenseits des reinen Geldverdienens haben muss, im Jargon einen „Purpose“.

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„Ziel eines Unternehmens ist es nicht, Gewinne zu generieren. Das Ziel besteht vielmehr darin, profitable Lösungen für Probleme der Menschen und des Planeten zu finden“, formuliert Bruno Roche, ehemaliger Chefökonom bei Mars und eine treibende Kraft hinter dem EoM-Gedanken, die Kernthese.

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Die Fallhöhe des Grundgedankens verglich Roche gegenüber WELT mit der kopernikanischen Revolution, die vor bald einem halben Jahrtausend das geozentrische Weltbild kippte. So wie sich in den damaligen Vorstellungen plötzlich nicht mehr alles um die Erde drehte, müsse heute das Profitstreben aus dem Zentrum des Business-Ökosystems weichen und „gemeinsamen Zielen“ Platz machen.

Roche kritisierte die vorherrschende Konzentration allein auf finanzielle Werte. EoM zeige dagegen, dass nicht finanzielle Kapitalformen wie Sozial-, Human- und Naturkapital letztlich die größeren Werte schafften. Auch die Leistungskennziffern für Manager müssten um diese Maßstäbe erweitert werden.

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Quelle: WELT | kci, sey, mgi

Auf gesunde Finanzen bleibt indes auch die neue Organisation angewiesen, die laut Mars aus zwei Einheiten besteht. Die Stiftung EoM Foundation mit Sitz in Genf werde sich auf gemeinnützige Arbeit konzentrieren, darunter akademische Forschung und die Organisation von Foren und Veröffentlichungen.

Daneben tritt die EoM Solutions als Managementberatung an. Diese gewinnorientierte Tochter der Stiftung soll zu deren Finanzierung beitragen.

Die Generaldebatte über „Purpose“ als wichtigen Teil von Geschäftsmodellen hat bereits weite Teile der Wirtschaft erfasst, Mars will sich mit seiner neuen Stiftung an die Spitze der Bewegung setzen. Nicht alles davon ist neu.

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„EoMs Betonung der Messung von Sozial-, Human- und Naturkapital ist sicherlich kompatibel mit dem Ansatz von Schulze-Delitzsch, dass mehr Kooperation den Weg zum Unternehmertum ebnen kann“, meinte Roche.

Hermann Schulze-Delitzsch gilt als einer der Väter der deutschen Genossenschaftsbewegung, die im 19. Jahrhundert zum Ausgangspunkt für Finanzgruppen wie die Volks- und Raiffeisenbanken, Handelsfirmen wie Edeka und Rewe, neue Energiegenossenschaften und zahlreiche traditionsreiche landwirtschaftliche Betriebe wie Molkereien wurde.

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