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Tierfilmer Andreas Kieling: „Ich hatte viel früher erwartet, dass so etwas wie Covid passiert“
Interview Tiere Natur
Tierfilmer Andreas Kieling: „Ich hatte viel früher erwartet, dass so etwas wie Covid passiert“
ZDF-Dokumentarfilmer Andreas Kieling hat trotz Corona drei neue Naturfilme (ab 11. April, ZDF) gedreht – hauptsächlich in Deutschland.
Im Interview erklärt er, was dieses Land so interessant macht und warum ihn die Pandemie nicht überrascht hat.
Er erklärt auch, dass unsere Kultur – so wie wir sie kennen – nicht weiterexistieren wird.
09.04.2021, 5:30 Uhr
Andreas Kieling im Yellowstone Nationalpark in Wyoming (USA).
© Quelle: ZDF / Lea Goldberg
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Trotz seiner mittlerweile 61 Jahre sieht Andreas Kieling immer noch aus wie ein jugendlicher Naturbursche. Einer, der verstanden hat, wie man auf dieser Erde ein glückliches Leben führt. Dabei macht es die Natur dem Mann aus der Eifel nicht leicht.
Für drei neue Filme „Terra X: Kielings wilde Welt“ (ab 11. April, 19.30 Uhr, ZDF) konnte er seit Pandemiebeginn im Frühjahr 2020 nur noch in Deutschland reisen – was er jedoch als Vorteil und Chance ansah. Im Gespräch mit teleschau erklärt der Tierbeobachter, warum es ihn keineswegs wundert, dass die Pandemie in dieser Form zuschlug und warum der Mensch so ist, wie er ist: ziemlich überheblich und vielleicht sogar dem Untergang geweiht.
teleschau: Herr Kieling, die exotischen Reiseziele ihrer neuen Filme haben Sie alle vor der Pandemie besucht. Seit über einem Jahr drehen Sie wegen Corona nur noch in Deutschland. Sind Sie frustriert?
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Andreas Kieling: Nein, im Gegenteil. Der dritte und letzte Teil der neuen Dokus ist sogar komplett in Deutschland entstanden. Darin geht es um Steinböcke, Kegelrobben, Fledermäuse, Feldhamster und wilde Honigbienen. Alles sehr spannende Themen. Man lernt viel über unsere Landschaften und ist verblüfft, welche Spezialisten sich in der vergleichsweise engen heimischen Natur sehr gut behaupten können. Vielleicht werden wir auch die nächsten „Terra X“-Filme in Deutschland drehen.
Viele Deutsche drängt es ins Ausland. Das Land sehnt sich nach Tapetenwechsel. Wird Ihnen zu Hause nicht langweilig?
Überhaupt nicht. Ich hätte noch so viele Ideen, die man in Deutschland realisieren könnte, gerade als Tierfilmer. Das liegt an unserer hohen Biodiversität. Es gibt enorm viele Tierarten. Ich habe trotz vieler langer Reisen den Kontakt zu Deutschland nie verloren. Daran ist auch die Hocheifel schuld, in der ich nahe der belgischen Grenze lebe. Wenn ich allein die seltenen Tiere aufzähle, die vor meiner Haustür leben, wäre das eine lange Liste.
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Wen treffen Sie vor Ihrer Haustür?
Zum Beispiel die Wildkatze. Das war eines der aufwendigsten Projekte meiner Tierfilmerkarriere. Über sie hatte ich viele Jahre Material gesammelt – bis es so gut war, dass es dem Sonntagabend im ZDF standhält. Noch aufwendiger war nur noch ein Projekt über Wildschweine, die ebenfalls hier in unseren Wäldern leben. Es war ein Film für die BBC und das ZDF in der Reihe „Wild Europe“. An diesem Film habe ich fast vier Jahre gearbeitet. Das liegt natürlich auch daran, dass große Tiere wegen der starken Präsenz des Menschen hierzulande schwer zu finden und in Szene zu setzen sind.
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Naturfilme boomen, die gezeigten Bilder werden immer spektakulärer. Ist nicht irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht und jedes Tier maximal spektakulär von der Kamera eingefangen?
Es gibt viele Arten, Geschichten zu erzählen. Als ich anfing, habe ich sechs Jahre lang in Alaska Eisbären und Grizzlys gefilmt. Danach kannte mich kein Mensch. Erst als ich irgendwann mal kurz selbst im Bild war, um zu zeigen, wie nahe ich den Tieren gekommen war, änderte sich das. Heute trete ich als fragender „Presenter“ in meinen Filmen auf und stelle langjährigen Beobachtern Fragen über die Geheimnisse und Erkenntnisse einer sich wandelnden Natur. Ich bin, wenn man so will, anstelle des Zuschauers Gast in fremden Lebensräumen. Und gute Besuche werden ja bekanntlich nie langweilig.
Im Zusammenhang mit Corona wurde viel darüber diskutiert, ob die Pandemie ein Zeichen der Natur an den Menschen ist. Wie bewerten Sie diesen Ausbruch?
Ehrlich gesagt habe ich mich gewundert, dass es jetzt erst wieder passiert ist: eine große Pandemie. Auf der Erde gibt es mittlerweile acht Milliarden Menschen, die zum Teil auf sehr engem Raum zusammenleben. Natürlich haben wir im Vergleich zu vielen Tierarten eine ausgeprägte Hygiene, auch wenn das vielen nicht so vorkommt (lacht). Und wir haben Medikamente, was einen großen Unterschied macht. Pandemien hat es schon immer gegeben, aber damals lebten viele Menschen sehr lokal und für sich. Es gab viel weniger Austausch. Ich hatte – wie gesagt – viel früher erwartet, dass in unserer voll gewordenen globalisierten Welt so etwas wie Covid passiert.
Also sind Mobilität und Überbevölkerung Schuld?
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Schauen Sie sich das Kongobecken an. In dieser Region gab es immer die übelsten Krankheitserreger: Ebola, HIV, Milzbrand, die schlimmsten Formen von Malaria. Das sind alles keine neuen Phänomene. Doch früher blieb man weitgehend unter sich. Wenn mal ein Belgier erkrankte, hat ihn das Schiff nach Antwerpen entweder erst gar nicht mitgenommen oder er bekam unterwegs eine Seebestattung.
Natürlich können gefährliche Erreger von überall auf der Welt herkommen, auch wenn einige Erreger ein feuchtwarmes Klima brauchen. Der entscheidende Unterschied ist, dass mittlerweile alle Menschen so unglaublich viel unterwegs sind. Und natürlich auch, dass wir immer tiefer in die entlegensten Lebensräume der Erde vordringen.
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Sie spielen auf den Kontakt der Menschen zu Wildtieren an?
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Ja – und wenn man diese Tiere auch noch isst, die ein echter Bakteriencocktail sind, wird es natürlich gefährlich. Nehmen Sie eine Flughunde- oder Fledermauskolonie. Die Tiere leben so eng zusammen, da gibt es derartig viele Krankheits-übertragungen, dass diese Tiere ein Megaimmunsystem entwickelt haben. Davon können wir Menschen nur träumen, aber wir brauchen dieses Immunsystem auch normalerweise nicht.
Es sei denn, wir kommen diesen Populationen, die irgendwo im asiatischen, zentralafrikanischen oder südamerikanischen Urwald lebten, auf einmal sehr nahe. Wenn ich über diese Tiermärkte gelaufen bin, habe ich mir schon immer meine Gedanken gemacht. Was ist, wenn so ein Flughund einen der Menschen beißt oder er dann eben verspeist wird. Der Mensch hat keinerlei Abwehrkräfte gegen diese vielfältigen, fremden Erreger.
Warum hat man diese Gefahr nicht schon früher erkannt?
Weil der Mensch an großer Hybris leidet. Wir denken, wir schaffen alles, weil wir das überlegene Tier auf diesem Planeten sind. Doch auch der Mensch muss sich im Gleichgewicht mit der Natur bewegen, weil wir ein Teil von ihr sind. Es ist so einfach, aber wir setzen uns über diese Regeln hinweg. Wir denken, dass wir größer als die Natur sind. Der Mensch ist offenbar erst lernfähig, wenn zuvor alles den Bach heruntergegangen ist. Zumindest muss man mehr und mehr diesen Eindruck gewinnen, auch unabhängig von der Pandemie.
Es ist eine große Frage – glauben Sie, dass unsere Kultur untergeht?
Wenn wir uns weiter so benehmen, wie wir es gegenwärtig tun, kann das passieren. Dann könnte die Welt, so wie wir sie kennen, in gar nicht so ferner Zukunft untergehen. Schauen Sie – wir verstoßen so ziemlich gegen jedes Naturgesetz, das es gibt. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass wir nach Covid so weitermachen werden wie bisher. Der Mensch ist eine sehr aggressive Art, das darf man nicht vergessen. Wir wären in der modernen Evolution nicht so schnell so weit gekommen, wenn wir nicht so aggressiv in unserem Verhalten wären.
War der Mensch denn schon immer so?
Die ersten Menschen waren noch recht entspannt. Sie lebten im Wald, aßen Früchte und erlegten ab und zu mal ein Tier. Dann ging der Mensch irgendwann hinaus in die Steppe, erschuf Siedlungen und machte sich die Natur Untertan, wie es so schön heißt. Da ging es los mit der Dominanz. Ich glaube, dass weder unsere Technik noch unsere Intelligenz auf Dauer ausreichen werden, um die Art und Weise, wie wir jetzt leben, weiter aufrechtzuerhalten.
Warum fehlt es uns trotz unserer Intelligenz an Demut?
Weil wir uns zu sehr von der Natur entfremdet haben. Gehen Sie mal allein oder mit einer kleinen Gruppe von Menschen in eine intakte Natur. In die Savannen-Landschaft Ostafrikas, in die letzten Regenwälder von Sumatra oder eine der weiten Landschaften Alaskas, Sibiriens oder auch Skandinaviens. Da werden auf einmal Attribute wie Achtung und Demut ganz wichtig. Die haben wir in unserer Welt hier komplett verloren – und das ist unser großes Problem.
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der Mensch noch die Kurve kriegt?
Der Mensch kriegt nur die Kurve, wenn es fünf nach zwölf ist. Wir lernen zwar, wir haben ja auch bedingt aus Kriegen gelernt, aber eben nicht genug. Unsere Überheblichkeit ist aus biologischer Sicht sogar nachvollziehbar, denn wir sind die stärkste und erfolgreichste Spezies dieses Planeten.
Wir sind sehr anpassungsfähig und haben uns in allen Klimazonen der Welt unter ganz unterschiedlichen Bedingungen durchgesetzt. Wir haben uns enorm verbreitet. Jedem anderen Lebewesen würde nach diesen Erfolgen wohl auch die Demut fehlen. Die Geschichte unserer Art erklärt im Prinzip, warum wir so spät und so schlecht lernen.
RND/Teleschau