Corona-Forschung: Warum kaum jemand über Tierversuche spricht

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Corona-Forschung: Warum kaum jemand über Tierversuche spricht

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Corona-Forschung: Warum kaum jemand über Tierversuche spricht

Die ganze Welt wartet auf den Corona-Impfstoff und Medikamente.

Dass damit auch Tierversuche einhergehen, wird jedoch kaum thematisiert – auch nicht von Tierschutzorganisationen.

Die Pandemie bringt die Aktivisten in eine unangenehme Zwickmühle.

Matthias Schwarzer

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17.11.2020, 17:26 Uhr

Auch in der Corona-Forschung werden Experimente mit Tieren gemacht. Thematisiert wird das nur selten (Symbolbild).

© Quelle: Friso Gentsch/dpa

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Hannover.

Beginnen wir diesen Text mit einem kleinen Gedankenexperiment: Würden Sie auf einen Corona-Impfstoff länger warten oder verzichten wollen, wenn dadurch brutale Experimente an Tieren unterblieben? Schwierige Frage, oder? So schwierig, dass sich selbst Tierschutzaktivisten mit diesem Thema zurzeit nur selten in die Öffentlichkeit wagen.

Plakataktionen, Demonstrationen, Imagekampagnen, mit Blut bemalte Influencer, Models mit deutlichen Statements gegen Tierversuche – all das sind Dinge, die mit der Pandemie wie verschwunden scheinen. Und auch wenn Proteste gegen die Pelzindustrie oder Schlachthöfe durchaus stattfinden, so wird das Thema Tierexperimente selbst von großen Tierschutzorganisationen derzeit weitestgehend umschifft.

Kein Wunder: Der Zeitpunkt, über Tierversuche zu sprechen, könnte schlechter nicht sein. Die ganze Welt wartet auf den Corona-Impfstoff oder wenigstens ein hilfreiches Medikament gegen Covid-19. Dass mit der Forschung auch Tierexperimente einhergehen, ist kein Geheimnis.

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Vor allem Nagetiere sind laut der Initiative „Tierversuche verstehen“ in der Corona-Forschung ein beliebtes Versuchsobjekt. An ihnen werden auch die Eigenschaften eines Impfstoffs getestet, etwa ab welcher Dosis er eine gute Immunreaktion hervorruft. An Affen, Hamstern oder Frettchen werde laut der Initiative getestet, ob ein Impfstoffkandidat tatsächlich vor Ansteckung oder Erkrankung schützt. Und auch Mäuse würden in der Forschung eingesetzt. Diese würden jedoch zunächst gentechnisch „vermenschlicht“, um für das Coronavirus empfänglich zu sein.

Auch der Virologe Christian Drosten spricht über diese Standards in der Forschung ganz offen, etwa in seinem NDR-Podcast. In einer Ausgabe im Oktober beispielsweise zog Drosten eine amerikanische Studie heran, für die auch Versuche an Hamstern durchgeführt worden waren. Die Forscher hätten Hamster infiziert, die daraufhin eine Lungenentzündung bekommen hätten, erklärte er.

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Und die Gründe dafür lägen auch auf der Hand: „Es gibt da natürlich ethische Überlegungen. Warum macht man das? Warum infiziert man Hamster im Labor mit so einem Virus? Da ist immer die Frage, wie wichtig ist das?“, so Drosten. „Wenn wir zum Beispiel dabei sind, ein Medikament zu überprüfen, von dem wir denken, das sieht anhand von Vorbefunden im Labor so aus, als könnte das Menschenleben retten, (...) dann ist relativ klar auf der Hand liegend, dass man dafür ein paar Tiere im Labor opfert. (...) Da stehen Menschenleben (...) gegen die Leben dieser Tiere. Da ist die ethische Überlegung dann relativ nachvollziehbar.“

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Die falsche Zeit für Aktivismus

„Nachvollziehbar“ ist das für die großen Tierschutzorganisationen und -vereine eigentlich nicht. Im Gegenteil. Sie kämpfen bereits seit Jahrzehnten für eine Abkehr von Tierversuchen in der Medizinforschung, hin zu Alternativen ohne Tierleid. Die Pandemie jedoch bringt die Aktivisten in eine unangenehme Zwickmühle.

„Angesichts einer Pandemie, bei der Menschen weltweit erkranken und sterben, Ängste haben und sehnlich auf einen Impfstoff hoffen, empfinden wir es trotz aller Kritik am vermeintlichen Goldstandard Tierversuch nicht als angebracht, das Thema massiv voranzutreiben“, erklärt Kristina Wagner, Leiterin des Referats für Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund auf RND-Anfrage. „Dies würde in diesen Zeiten auch auf wenig Akzeptanz, sondern im Gegenteil auf Unverständnis stoßen und wäre daher dem Tierschutz letztlich nicht förderlich. Unsere Grundsatzkritik und die Forderung nach verstärkter Förderung von Alternativmethoden bleiben aber natürlich bestehen.“

Auch bei anderen Initiativen, wie etwa „Ärzte gegen Tierversuche“, läuft die Öffentlichkeitsarbeit derzeit eher auf Sparflamme. Das liege aber weniger am Thema, sondern vielmehr an der aktuellen Situation, wegen der man „sehr viele Aktionen“ hätte absagen müssen. Einige Demonstrationen hätten dennoch stattgefunden, jedoch nicht speziell zur Corona-Forschung. Tierversuche habe man eher „grundsätzlich im Fokus“, so eine Sprecherin.

Auch die Arbeit der Organisation Peta, die häufig mit kontroversen Aktionen auf sich aufmerksam macht, laufe derzeit eher „hinter den Kulissen“ ab, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt. Demonstrationen seien schließlich während der Pandemie nur sehr eingeschränkt möglich. Derweil allerdings schaltet Peta Werbeanzeigen, etwa in Podcasts auf Spotify, in denen sich die Organisation gegen Tierversuche starkmacht. Das Wort Corona fällt darin jedoch kein einziges Mal.

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Alle angefragten Organisationen beteuern jedoch, dass man das Thema Tierversuche trotz Corona weiter kritisch sehe oder sogar gänzlich ablehne. Dabei berufen sich alle Organisationen vor allem auf ein Argument: Tierversuche seien in vielen Fällen unnötig und würden die Forschung – auch bei Corona – häufig zusätzlich verzögern. Ein ethisches Dilemma, wie etwa die Abwägung zwischen Mensch und Tier, gebe es deshalb auch gar nicht.

„Die Herangehensweise, die Drosten schildert, ist für die Prüfung von Impfstoffen derzeit einfach der Standard“, erklärt Kristina Wagner vom Tierschutzbund. „Aus unserer Sicht geht es aber auch überhaupt nicht um die Frage, was mehr wiegt – die Gesundheit der Menschen oder das Leiden der Tiere. Die Aussage, dass Menschenleben jetzt gegen das von Tieren stünden, lässt außer Acht, dass es ein grundsätzliches Problem bei der Übertragbarkeit gibt.“

Ergebnisse aus Tierversuchen ließen sich laut Wagner nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. „Über 90 Prozent der neu entwickelten, erfolgreich an Tieren getesteten Medikamente versagen in der klinischen Prüfung am Menschen. Es geht also nicht nur um die ethische Frage, ob Tiere als Stellvertreter des Menschen leiden sollten, sondern auch um wissenschaftliche Gründe, die für alternative Herangehensweisen sprechen.“

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Ganz ähnlich argumentiert Julia Radzwill vom Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ – und nennt ein Beispiel aus der Corona-Forschung: „Tiere werden für Tierversuche oft künstlich krank gemacht, sodass sie Symptome zeigen, die denen des Menschen ähneln. Frettchen, Hamster und einige Primaten können sich zwar von Natur aus mit dem Sars-CoV-2-Virus infizieren, dieses auch vermehren und teilweise Artgenossen anstecken – sie zeigen aber nicht die vielfältigen Symptome von Covid-19, die man im Menschen beobachten kann. Manche Tiere entwickeln eine Lungenentzündung und leichten Durchfall – mehr aber auch nicht, zudem sterben sie nicht daran.“

Und auch Anne Meinert, Fachreferentin im Bereich Tierversuche bei Peta, sagt: „Aufgrund physiologischer und genetischer Speziesunterschiede sind die Ergebnisse aus Tierversuchen kaum auf den Menschen übertragbar. Das führt auch dazu, dass die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden verzögert wird.“

Bei Peta spiele derweil sehr wohl der ethische Aspekt eine Rolle: „Tiere fühlen Schmerz und Angst wie wir. Speziesismus, eine Weltanschauung, die Tiere gegenüber dem Menschen diskriminiert, ist jedoch fest in unserer Gesellschaft verankert – und so wird das Leben von Tieren oft einfach gegen das Leben von Menschen abgewogen, auch wenn nachvollziehbare ethische Kriterien fehlen. Daher setzen wir genau da an und setzen uns für den Schutz der Rechte aller Tiere ein“, so Meinert.

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Alle Tierschutzorganisationen empfehlen daher, in der Forschung den menschlichen Organismus in den Fokus zu stellen. Julia Radzwill von „Ärzte gegen Tierversuche“ nennt etwa tierfreie Methoden, die mit menschlichen Zellen und Geweben arbeiteten und auch für die Corona-Forschung eingesetzt würden, wie zum Beispiel Nieren- und Blutgefäßorganoide oder ein humanes Lungenmodell.

Peta hat derweil ein ganzes Strategiepapier entwickelt und nennt als konkretes Beispiel etwa 3-D-Modelle der menschlichen Atemwege, mit denen sich auch Covid-19-Infektionen untersuchen ließen.

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„Tierversuche sind unerlässlich“

In der Forschung selbst sieht man diese Forderungen jedoch kritisch. Laut dem Virologen Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts, der zentralen Einrichtung der Bundesrepublik für die Gesundheit von Tieren, seien der Forschung ohne Tierversuche Grenzen gesetzt. „Durch den Einsatz von Zellkulturen zum Beispiel kann heute in vielen Bereichen auf Tierversuche verzichtet werden“, sagt Mettenleiter auf Anfrage. Aber: Insbesondere dann, wenn komplexe physiologische Zusammenhänge des gesamten Organismus wie etwa die Immunantwort nachvollzogen werden sollen, seien Tierversuche unerlässlich.

Gleiches gelte für die Prüfung von schädlichen Nebenwirkungen. Die von den Tierschutzorganisationen angesprochenen Modelle würden Tierversuche „nicht überflüssig“ machen, so Mettenleiter, „da sich im Organismus noch deutlich komplexere Vorgänge abspielen“.

Ganz ähnlich sieht das Roman Stilling von der Wissenschaftlerinitiative „Tierversuche verstehen“. „Die Aussage, dass Ergebnisse aus Tierversuchen für die Erforschung von menschlichen Erkrankungen keinen Nutzen hätten, steht im krassen Widerspruch zum weltweiten wissenschaftlichen Konsens und unterstellt Zehntausenden Forschern, bewusst unnütze Methoden zu verwenden“, sagt er.

„So gut wie jede heute verfügbare Therapie baut auf jahrelanger Grundlagenforschung und auch Wissen aus Tierversuchen auf. Vor der Zulassung jedes Medikaments sind Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben, um das Risiko für die ersten freiwilligen Testpersonen zu minimieren.“

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Keine Einigkeit

Grundsätzlich sieht aber auch die Wissenschaft die Chance, Tierversuche in Zukunft weiter zu minimieren. „Bestimmte Tierversuche könnten langfristig ersetzt oder reduziert werden. Es gibt bei den künstlichen Systemen wie zum Beispiel Organmodellen enorme Fortschritte. Aber wir verstehen auch das Original, also den menschlichen Körper, noch nicht gut genug, um ihn detailgetreu nachbauen zu können. Auf absehbare Zeit werden wir aber nicht vollständig auf Tierversuche verzichten können“, sagt Stilling.

Insbesondere beim Corona-Impfstoff hätten Tierversuche den Weg geebnet, heißt es bei der Initiative „Tierversuche verstehen“. Den klinischen Tests am Menschen des Impfstoffkandidaten BNT162b2 der Impfstoffentwickler Pfizer und Biontech seien etwa Tests an Mäusen und Ratten vorausgegangen. In einer späteren Phase seien Tierversuche mit Rhesusaffen durchgeführt worden.

Einig sind sich Forscher und Tierschützer bei diesem Thema also bei Weitem nicht. Und die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie wird daran auch erst mal nichts ändern.