Coronavirus in Afrika: Mehr Hunger, mehr Krankheiten

Von

Pamela Dörhöfer

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Die Menschen in Afrika leiden unter dramatischen Kollateralschäden der Pandemie – und jetzt steigen auch noch die Corona-Infektionszahlen.

Afrika schien einigermaßen glimpflich durch die Corona-Pandemie zu kommen. Anders als befürchtet, gab es dort keine Millionen Covid-Toten: Nach offiziellen Angaben sind bis dato auf dem gesamten Kontinent etwa 133 000 Menschen gestorben. Das sind immer noch viele und viele schlimme Schicksale. Statistisch bleibt die Zahl der Todesopfer in Afrika mit seiner Bevölkerung von rund 1,3 Milliarden im internationalen Vergleich eher gering. Eine erhebliche Dunkelziffer wird als sicher angesehen.

Aber die Pandemie hat gerade die ärmsten Länder in Afrika besonders schwer getroffen – bisher weniger durch das Virus selbst denn eher indirekt. Frank Mockenhaupt, Kommissarischer Leiter des Instituts für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit an der Berliner Charité, sprach anlässlich des am Mittwoch (16.06.2021) beginnenden Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin von „dramatischen und vielfältigen“ Kollateralschäden in Afrika. In einem „fragilen, chronisch unterfinanzierten“ Gesundheitssystem habe die Pandemie die Priorisierung von Krankheiten verändert. Während das Coronavirus in den Mittelpunkt rückte, sind Bedrohungen wie Malaria, Tuberkulose und HIV aus dem öffentlichen Interesse verschwunden.

Afrikas ärmste Länder: Die Malaria wütet

Es müsse mit bis zu 80 Prozent mehr Malariafällen und einer Verdopplung der Malariatoten gerechnet werden, weil weniger Moskitonetze verteilt und weniger Insektizide eingesetzt wurden, befürchtet Mockenhaupt. Ein großes Problem bestehe auch darin, dass die Menschen Dienstleistungen des Gesundheitswesens wohl aus Angst nicht in Anspruch nehmen. Ähnliche Erfahrungen gab es bereits bei Ebola – und auch in den westlichen Ländern haben aus Furcht vor Ansteckung viele den Gang in die Arztpraxis oder ein Krankenhaus gescheut. Er habe Sorge, dass die in den letzten Jahren erzielten Fortschritte im afrikanischen Gesundheitswesen nun „zunichte gemacht“ werden, sagt der Tropenmediziner.

Auch für die Ernährungssicherheit in den armen Ländern Afrikas hat die Pandemie fatale Folgen. Die Wirtschaft hat unter den mit Corona einhergehenden weltweiten Handelshemmnissen und dem Einbruch des Tourismus stark gelitten. Viele Menschen kämpfen mit erheblichen Einkommenseinbußen – und das in Ländern, wo Armut und Hunger ohnehin stark verbreitet sind, wo es keine Sozialsysteme gibt, die das auch nur halbwegs auffangen können.

155 Millionen Menschen leiden in Afrika an Hunger

Laut Jahresbericht des Global Network Against Food Crises hat die Zahl der Menschen, die akut Hunger leiden und dringend Hilfe benötigen, um Leben und Lebensgrundlagen zu retten, 2020 einen Fünf-Jahres-Höchststand erreicht. „Mindestens 155 Millionen Menschen“ seien in „akute Ernährungsunsicherheit“ geraten. Frank Mockenhaupt rechnet in den armen Ländern Afrikas mit 10 000 zusätzlichen Todesfällen durch Unterernährung – in jedem Monat.

Die Lage droht sich noch weiter zu verschlechtern, denn es zeichnet sich ab, dass das Coronavirus nicht mehr länger nur einen vor allem indirekten Einfluss nimmt. So warnt die Malteser-Hilfsorganisation vor einer möglichen großflächigen Ausbreitung in Afrika. In Uganda etwa sei die Zahl der Corona-Infektionen in den vergangenen Wochen um rund 370 Prozent gestiegen. Nach Angaben der Malteser hatten sich in dem ostafrikanischen Land bisher rund 55 000 Menschen infiziert, derzeit kämen täglich mehr als 600 neu hinzu; bei einer wahrscheinlich hohen Dunkelziffer. Fast jeder fünfte Test falle „seit einigen Tagen positiv aus“, heißt es in einer Mitteilung der Malteser.

Fünf Millionen Corona-Infektionen in Afrika bislang

„Unsere Partner in Kampala berichten uns von erschreckenden Szenen aus ihrem Krankenhaus“, sagt Roland Hansen, Leiter der Afrikaabteilung von Malteser International: „Der Sauerstoff für die Patientinnen und Patienten geht aus. Die Intensivbetten sind alle belegt.“ Gleichzeitig gebe es zu wenig Impfstoff, er reiche „noch nicht einmal für ein Prozent der Bevölkerung“. Besonders hoch sei die Infektionsrate beim medizinischen Personal. „Bislang blieben viele afrikanische Staaten noch von einem größeren Ausbruch verschont, aber es sieht so aus, als sei diese Welle, wie wir sie jetzt in Uganda erleben, größer als alle bisherigen“, sagt Hansen. „Es ist gut möglich, dass sich die Pandemie erst jetzt in Afrika richtig ausbreitet.“

Bislang wurden auf dem Kontinent knapp fünf Millionen Infektionen gemeldet, am stärksten betroffen ist dabei Südafrika mit rund 1,7 Millionen. Zum Vergleich: Weltweit haben sich seit Beginn der Pandemie laut world0meters.info rund 176 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert.

Über die Gründe, warum in Afrika trotz der oft schlechten hygienischen Verhältnisse und der mangelnden Ausstattung im Gesundheitswesen die befürchtete Katastrophe mit Millionen Toten bislang ausblieb, kann bislang nur spekuliert werden.

Unsichtbare erste Corona-Welle in Afrika

Es könnte mit dem geringen Durchschnittsalter der Bevölkerung (jünger als 20) zu tun haben, damit, dass das Immunsystem der Menschen durch die ständige Auseinandersetzung mit Mikroorganismen und Parasiten besser trainiert ist oder damit, dass Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Leiden noch nicht so stark verbreitet sind wie im Westen. Es könnte auch sein, dass das Klima eine Rolle spielt. Zudem gibt es eine Theorie, dass sich Neandertaler-Gene im Erbgut bei einer Corona-Infektion nachteilig auswirken können und Menschen aus Afrika (wo nie Neandertaler lebten) deshalb im Vorteil sind.

Es wäre gut möglich, dass sich in der ersten Welle viele Menschen in Afrika zwar mit Sars-CoV-2 infizierten, aber nicht erkrankten. Auch gibt es Vermutungen, dass Menschen, die asymptomatisch infiziert waren, sich insbesondere bei einer Konfrontation mit einem mutierten Virus erneut anstecken und dann doch schwer erkranken können. Auch Indien schien bis zum Frühjahr 2021 relativ gut durch die Pandemie gekommen zu sein, bevor dort alles zusammenbrach. (Pamela Dörhöfer)