Die größte Zoohandlung der Welt steht in Duisburg. Auf einer Größe von fast zwei Fußballfeldern hält Norbert Zajac über 200 000 Tiere und 3000 Arten, er hat mehr Tiere als der Berliner Zoo. Die Geschäfte laufen gut. „Wir verkaufen viel mehr Tiere als sonst“, sagte Zajac dem Tagesspiegel.
Seitdem Deutschland im vergangenen Frühling zum ersten Mal in den Lockdown gegangen ist, haben viele Bundesbürger ihre Liebe zum Haustier entdeckt. Oft stecken die Angst vor der Einsamkeit im Homeoffice dahinter und die Suche nach bedingungsloser Zuneigung in Zeiten, in denen der Kontakt zu Menschen wegen der Seuche an viele Bedingungen geknüpft ist. Viele haben sich auch schon immer einen gefelligen Gefährten gewünscht. Und manch einer ist auch deshalb auf den Hund gekommen, weil der vierbeiniger Begleiter dafür sorgt, dass man auch bei strengen Ausgangssperren eine Gassirunde drehen darf.
„Als das mit Corona anfing, haben die Leute nicht nur Klopapier gehamstert, sondern auch Hamster“, berichtet Händler Zajac. Vor Corona hat er im Schnitt zehn bis 15 Goldhamster in der Woche verkauft, jetzt sind es 25 – am Tag. „Alle Hamster, die wir bekommen können, kaufen wir auf“, sagt Zajac.
Als einziger Zoohändler Deutschlands bietet er auch Hunde und Katzen an. Die Nachfrage ist riesig. Die Preise gehen durch die Decke. Der billigste Hund kostet bei ihm inzwischen 2000 Euro, doppelt so viel wie vor Corona. Britisch-Kurzhaar-Katzen gab es bei Zajac früher für 595 Euro das Stück, jetzt sind es 1299 Euro. Dennoch ist die Zoohandlung häufig ausverkauft. Tierschützer sehen das mit besonderem Missfallen. „Hunde, Katzen und andere Tiere gehören nicht in Zoohandlungen“, ärgert sich Annette Rost vom Berliner Tierschutzverein. „Sie sind Lebewesen und keine Ware“.
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Nicht weit von Duisburg entfernt hat Europas größte Händlerin für Heimtierbedarf, die Fressnapf-Gruppe, ihren Sitz. Der Krefelder Konzern hat zwar keine Hunde und Katzen im Angebot, in den größeren Filialen – in Deutschland werden die Geschäfte von Franchisenehmern betrieben – gibt es jedoch Kleintiere wie Kaninchen oder Meerschweinchen. Eigentlich hatte Fressnapf-Gründer Torsten Toeller 2020 das 30-jährige Jubiläum der Kette mit einer Riesenparty und Sonderaktionen feiern wollen, doch das fiel der Pandemie zum Opfer.
Dem Geschäft hat Corona nicht geschadet, im Gegenteil: „Wir hatten den größten Umsatzschub in unserer Geschichte“, berichtet Toeller. Fressnapf konnte die Einnahmen im vergangenen Jahr um 15,2 Prozent auf 2,65 Milliarden Euro steigern, in Deutschland ging der Umsatz um knapp zwölf Prozent auf 1,57 Milliarden Euro in die Höhe.
Rund 15 Millionen Katzen, zehn Millionen Hunde und über fünf Millionen Kleintiere leben in deutschen Haushalten. Die Tiere wollen fressen, spielen und brauchen Käfige, Kratzbäume oder Hundekörbchen. All das liefern ihnen Fressnapf und andere Händler. „Die Menschen kaufen mehr für ihre Tiere ein“, sagt Toeller. Er glaubt, dass der Trend anhält: Für dieses Jahr rechnet der Fressnapf-Chef mit einem weiteren Umsatzschub um zehn Prozent und will expandieren.
Vom Boom profitieren aber nicht nur Händler, sondern auch die Versicherer. Wer in Berlin einen Hund hält, muss eine Haftpflichtversicherung für das Tier abschließen, für Katzen ist das nicht nötig. Viele Katzen- und Hundebesitzer sichern sich zudem mit einer Tierkrankenversicherung gegen hohe Rechnungen vom Tierarzt ab. Der auf Tiere spezialisierte Versicherer Agila hat im vergangenen Jahr sein Neugeschäft mit Tierkrankenversicherungen um 12,7 Prozent gesteigert, 2020 war ein „Rekordjahr“, berichtet Sprecherin Franziska Olbert. Die Gothaer Versicherung hat die Zahl ihrer neuen Krankenversicherungspolicen für Tiere sogar mehr als verdoppelt, in der Haftpflichtsparte gab es ein Plus um 20 Prozent.
Von der Liebe zum Haustier hat auch der Staat etwas, zumindest wenn man sich einen Hund anschafft. Denn dann muss man Hundesteuer zahlen. In Berlin sind es 120 Euro für den ersten Hund, für jeden weiteren Vierbeiner kommen weitere 180 Euro im Jahr dazu. Weil die Zahl der Vierbeiner steigt, füllt sich auch die Steuerkasse. 12,6 Millionen Euro hat das Land Berlin im vergangenen Jahr an Hundesteuer eingenommen, 600 000 Euro mehr als im Jahr zuvor.
Wenn es um die Kontrolle der Hundehaltung geht, arbeiten die Behörden präzise: 117 227 Hunde hat die Berliner Verwaltung Ende 2020 registriert, 2019 waren es noch 111 024, heißt es auf Anfrage bei der Senatsverwaltung für Finanzen. Deutschlandweit sind in den ersten Quartalen des vergangenen Jahres 331 Millionen Euro Hundesteuer zusammengekommen, berichtete das Statistische Bundesamt kürzlich. Zum Vergleich: 2009 waren es für das gesamte Jahr 248 Millionen Euro.
Von dem Kuchen wollen sich auch viele unseriöse Anbieter eine Scheibe abschneiden. Es herrscht Goldgräberstimmung. Weil die Preise für Haustiere in die Höhe schnellen, boomt der Schwarzhandel mit jungen Hunden aus dem Ausland. „Die ausländischen Welpen überschwemmen den deutschen Markt“, warnt Jörg Bartscherer, Geschäftsführer des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH).
Das Problem: Viele der Tiere kommen aus sogenannten Qualzuchten, sind krank und verhaltensauffällig. In den 180 VDH-Mitgliedsvereinen sind 600 000 Züchter und Züchterinnen engagiert, die hobbymäßig Rassehunde züchten. „Die Züchter werden von den Anfragen erschlagen“, berichtet Bartscherer. Gab es früher 20 oder 30 Anfragen für einen Wurf, so sind es jetzt schon mal 400. Der Verein hat sich jedoch Regeln gesetzt, um die Tiere zu schützen. Deshalb müssen viele Interessenten abgewiesen werden.
Bei Rassekatzen ist die Nachfrage in Berlin dagegen „eher mäßig“, betont Burkhard Appelt, Chef von Pro Kat (Verein für Katzenfreunde). Coronabedingt finden keine Ausstellungen statt, die Züchter halten sich zu rück. „Wir hatten seit dem Winter letzten Jahres aber relativ viele Nachfragen nach Hauskatzen“, sagt Appelt. Die hat er an den Berliner Katzenschutz e.V. verwiesen.
Wer eine Hauskatze will oder einen Hund, landet oft bei Privatleuten. Viele wollen jetzt einen schnellen Euro machen. Sie lassen ihre Hündinnen oder Katzen decken. Verkauft wird der Nachwuchs übers Internet. Mischlinge, die früher verschenkt worden wären, werden jetzt zu Geld gemacht. Das funktioniert, weil die Tierheime schon seit Monaten leer sind. Rund 200 Hunde und etwas über 200 Katzen warten derzeit im Tierheim Berlin auf eine Vermittlung, das ist für das größte deutsche Tierheim sehr wenig. „Unser Tierheim ist im Moment vergleichsweise leer“, berichtet Tierheim-Sprecherin Annette Rost.
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Von dem Engpass profitieren Kriminelle. „Der illegale Welpenhandel blüht“, warnt auch die Tierschützerin. Eine weitere Masche: Betrüger geben sich als Tierschützer aus und liefern Hunde, die angeblich aus der Türkei kommen, an der Haustür ab. „Eine seriöse Tierschutzorganisation würde das niemals machen“, sagt Rost.
Wer ein Tier aus dem Berliner Tierheim holen möchte, muss zunächst eine Selbstauskunft ausfüllen und darlegen, ob man Erfahrung mit Tieren hat und wie die Wohn- und Lebensverhältnisse sind. Danach gibt es ein Gespräch vor Ort im Tierheim, geht es um schwierige Tiere, können es auch mehrere Runden sein. Erst danach kann man seinen neuen Mitbewohner mit nach Hause nehmen.
Für Katzen fällt eine Vermittlungsgebühr von 60 bis 100 Euro an, für Hundewelpen sind es bis zu 250 Euro. In normalen Zeiten folgt anschließend noch ein Hausbesuch durch Tierheimmitarbeiter, während der Pandemie wird das jedoch übers Telefon erledigt.
Auch wenn Tierschützerin Rost und Tierverkäufer Zajac ein gespanntes Verhältnis haben, so sind sie doch in einem Punkt einig: Beide glauben nicht, dass der Haustierboom anhält, wenn sich das Leben wieder normalisiert. „Wenn der Lockdown vorbei ist, wollen die Menschen wieder ins Restaurant und reisen“, sagt Zajac. Viele würden wohl auch ihre Arbeit verlieren. „Die hohen Preise, die Leute im Moment bezahlen, werden wieder sinken“, ist der Händler sicher.
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Rost ahnt schon, wo die Tiere landen, wenn sie ihren Haltern lästig werden. „Ich vermute, wir werden es schon Ende des Jahres erleben, dass massenhaft Hunde und Katzen ins Tierheim kommen“, fürchtet sie. Viele Menschen, die in ihr „normales“ Leben zurückkehren, stellen fest, dass sie doch keine Zeit oder Lust haben, sich um die Tiere zu kümmern. „Wenn Corona vorbei ist, steuern wir auf ein riesengroßes Problem zu“, warnt die Tierschützerin.