Ivermectin: Südamerika setzt gegen Covid auf umstrittene Parasiten-Pille

gettyimages/Photographer, Basak Gurbuz Derman/IMAGO / Science Photo Library

Das Parasitenmittel Ivermectin könnte gegen Covid-19 helfen.

Freitag, 07.05.2021, 21:13

Schon seit einem Jahr setzen südamerikanische Länder bei Covid-Erkrankten auf Ivermectin. Das Parasitenmittel soll angeblich die Viruslast im Körper herabsetzen. Die Studienlage ist bislang dünn – weshalb bayerische Landespolitiker jetzt weitere Untersuchungen fordern.

In Südamerika gilt es seit vergangenem Mai als das „Wundermittel“ gegen Covid-19. Als die Geheimwaffe, die das Virus in Schacht halten soll. Das Parasitenmittel Ivermectin könnte die Vermehrung von Sars-CoV-2 im Körper verhindern. Das entdeckten im Mai zumindest Forscher bei der Untersuchung von Zellkulturen.

Bald könnte auch Deutschland auf das Parasitenmittel setzen. Die CSU-Fraktion setzt sich jetzt dafür ein, dass Ivermectin als potenzielles Covid-19-Medikament geprüft wird. Mit einem Antrag im Gesundheitsausschuss wird der Bund dazu aufgefordert, aussagekräftige klinische Studien zur Freigabe des gängigen Parasitenmittels zur Behandlung von Corona zu fördern.

Anschließend soll geprüft werden, ob eine Beschaffung von Ivermectin-haltigen Arzneimitteln zur breiten Behandlung von Covid-19-Patienten erfolgen sollte.

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Ivermectin: Parasitenmittel für Mensch und Tier

Bei Ivermectin handelt es sich um ein sogenanntes Antiparasitikum. In der Humanmedizin wird es etwa zur Behandlung von Wurmbefall eingesetzt, der in Südamerika noch verbreitet ist. Auch als Mittel gegen Läuse und Milben sowie Rosacea (eine chronisch-entzündliche Hautkrankheit) und Krätze ist es wirksam. In der Tiermedizin nutzen es Ärzte zur Behandlung von Parasiten.

In Deutschland existiert eine Zulassung für Humandiagnosen nur für die Behandlung von Rosacea und Krätze. In Südamerika ist es hingegen in jeder Apotheke erhältlich, oft auch ohne Rezept.

Die Handelsnamen von Ivermectin lauten:

In der Humanmedizin: Driponin (D),Scabioral (AT), Soolantra, Stromectol (NL, FR)

In der Tiermedizin: Agrimec, Animec, Bimectin, Closamectin, Ecomectin, Eraquell, Equimax, Eqvalan, Furexel, Ivomec, Noromectin, Otimectin, Paramectin, Qualimec, Vectin, Virbamec

Ivermectin gegen Covid-19: unklare Studienlage

Auf die Idee, Covid-19-Patienten mit dem Mittel zu behandeln, kamen erstmals australische Wissenschaftler. Sie lieferten im April 2020 mit einer ersten präklinische In-Vitro-Studie Hinweise darauf, dass hohe Dosen des Mittels die Viruslast in Zellen binnen 48 Stunden um den Faktor 5000 verringerten.

Seitdem untersuchen Wissenschaflter weltweit die Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2. Laut clinicaltrials.gov, einer Datenbank für international getätigte klinische Studien, sind aktuell 66 Untersuchungen am Menschen registriert, 21 davon sind bereits abgeschlossen.

Die bisher veröffentlichten Daten malen jedoch ein uneindeutiges Bild. So scheiterte das Mittel etwa an einer klinischen Studie in Lateinamerika. Unter 300 Teilnehmern war der Unterschied bei der Behandlung mit Ivertmectin oder Placebo den Forschern zufolge „nicht signifikant.“

Eine im Januar 2021 veröffentlichte Metaanalyse deutet hingegen auf die Wirksamkeit des Mittels hin. In den kommenden Wochen sollen weitere Studien Klarheit bringen. Auch ein Wissenschaftsteam der Universität Oxford erklärte, Ivermectin zu prüfen.

Fachgruppen des Robert-Koch-Instituts (RKI) listen Ivermectin bereits als potenziell wirksames Mittel. Der Einsatz als Prophylaxe und Therapie von COVID-19 ist in Deutschland jedoch bisher nur im Rahmen klinischer Studien empfohlen. Damit schließt sich das RKI der Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an.

Auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) untersuchte die bislang veröffentlichten Erkenntnisse und erklärte im März 2021: Auch wenn die Laborstudien Hinweise auf die Wirksamkeit lieferten, sei die Datenlage bislang nicht ausreichend, um die Anwendung bei Covid-19 außerhalb klinischer Studien zu empfehlen.

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In Südamerika: „Hysterie“ um Ivermectin

Trotz anfangs sehr dünner Studienlage entwickelte sich im Mai 2020 in Südamerika eine „regelrechte Hysterie“ um das Mittel, wie Infektiologe Juan Celis dem „Deutschlandfunk“ sagte. „Alle redeten von Ivermectin. ‚Hast du gehört? Das hilft!‘ Selbst ein bekannter Journalist verbreitet das in seinem Radioprogramm und die Leute drehten durch.“

Die zu diesem Zeitpunkt weltweit mit am härtesten von der Pandemie betroffenen Länder setzten fortan auf das Mittel. Den Ländern fehlte es an medizinischem Personal und Sauerstoff. Am 8. Mai 2020 empfahl selbst das peruanische Gesundheitsministerium die Verwendung des Antiparasitikums zur Behandlung von Covid-19. Auch die renommierte peruanische Epidemiologin und ehemalige Gesundheitsministerin bezeichnete Ivermectin als „Wundermittel gegen das Virus“.

Unkontrollierte Einnahme erschwert Erkenntnisse zur Wirksamkeit

Obwohl das Mittel dort großflächig eingesetzt wurde, lässt seine Anwendung keine Schlüsse auf die Wirksamkeit zu. „Nach einem Monat merkten wir schon, dass diese Medikamente nicht halfen, sondern eher zu mehr Verwirrung führten“, erklärt Celis dem „Deutschlandfunk“.

Hatte ein Patient Herzrasen oder Zittern, sei nicht mehr klar gewesen, ob es von Covid-19 oder dem Medikament stammte. Die Menschen hätten das Mittel völlig unkontrolliert eingenommen, „in ihrer Verzweiflung in viel zu hohen Dosen“. Andere hätten Ivermectin zu sich genommen, welches zum Gebrauch von Tieren gedacht sei.

Die Tatsache, dass viele Menschen in Südamerika das Mittel ohne weitere geregelte Dosierung einnahmen oder bereits eingenommen haben, erschwert es Wissenschaftlern, klare Erkenntnisse zu gewinnen.

Bayerische Politiker fordern Studien zu Ivermectin

Diese Erkenntnisse will Deutschland, zumindest Bayern, nun gewinnen. „Im Kampf gegen Corona müssen wir alle Register ziehen, um schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern“, sagte etwa Bernhard Seidenath, der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag. Dazu zählten Testungen, Impfungen, aber auch die Entwicklung neuer Medikamente gegen Covid-19.

„Insbesondere dürfen wir die Erfahrungen anderer Länder hier nicht ungenutzt lassen“, so Seidenath. Dazu zählten auch Erfahrungen mit bereits vorhandenen Arzneien wie Ivermectin. „Unser Ziel ist es, die Wirksamkeit schnellstmöglich zu prüfen, damit es den Ärzten, die es zur Behandlung einer Corona-Infektion verschreiben wollen, auch an die Hand gegebenen werden kann.“

„Es handelt sich bei Ivermectin um ein Medikament mit antiviralen und entzündungshemmenden Eigenschaften, für dessen Entwicklung der Nobelpreis vergeben wurde und das seit Jahrzehnten ohne nennenswerte Nebenwirkungen eingesetzt wird“, ergänzte Tobias Reiß, der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion. Er plädiere deshalb klar dafür, Ivermectin vorläufig und temporär zuzulassen und mit Studien zu begleiten – „weil wir neben der Impfung unbedingt eine zweite Barriere mit Therapeutika gegen das Virus brauchen.“

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Ernüchterung bei Suche nach wirksamen Medikamenten gegen Covid-19

Neben Ivermectin untersuchen Forscher weltweit verschiedene neue und bereits etablierte Mittel, die sich bei einer Covid-19-Erkrankung als wirksam erweisen könnten. Wie der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner sagte, ist dabei zuletzt allerdings „ein bisschen Ernüchterung“ eingetreten. Hoffnungen ruhen etwa noch auf synthetisch hergestellten Antikörpern, die das Virus im Körper außer Gefecht setzen sollen. Doch die Erwartungen sind inzwischen gedämpft. Auch eine Reihe sogenannter antiviraler Substanzen wird untersucht. Bisher fehlt aber ein Mittel, das das Virus spezifisch bekämpft.

Bei Klinik-Patienten wird bislang vor allem das entzündungshemmende und lange bekannte Kortikoid Dexamethason eingesetzt. Es soll eine überschießende Immunreaktion bremsen, die bei Covid häufig auftritt, und gehört zu den laut nationaler Leitlinie empfohlenen Medikamenten.

Auch andere anti-entzündliche Wirkstoffe werden untersucht. Zudem greifen Ärzte zu erprobten Arzneien, die je nach Verlauf bei bestimmten Komplikationen schützen. Oft bekommen Klinik-Patienten Blutverdünner - denn Covid-19 erhöht die Gefahr von Thrombosen, Infarkten und Schlaganfällen.

Wegen der Gefahr einer zusätzlichen bakteriellen Infektion werden häufig auch Antibiotika verabreicht. Doch diese seien gegen das Virus wirkungslos und nur in bestimmten Fällen sinnvoll, mahnt Stefan Kluge, Koordinator der Behandlungsleitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Dass überhaupt ein rundum wirksames Heilmittel gegen Covid-19 gefunden wird, gilt als unwahrscheinlich. „Wir werden nichts finden, was die derzeitige Sterblichkeit von 20 bis 30 Prozent auf der Intensivstation auf 0 Prozent reduziert“, sagt Kluge.

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psch/mit Agenturmaterial