Sächsische Schweiz: Warum Wanderer die Wege nicht verlassen sollen

Eine Gruppe junger Wanderer in der Sächsischen Schweiz steht an einer Gabelung: Sollen sie in einen Pfad einbiegen, den sie eigentlich nicht gehen dürften oder lieber dem offiziellen Wanderweg folgen? Das ist die Schlüsselszene in einem Video, das der Nationalpark Sächsische Schweiz jetzt auf Youtube veröffentlicht hat. "Jenseits der Wege ist Tierland" heißt der Clip, in dem beide Varianten für die Wandergruppe durchgespielt werden - mit den jeweiligen Folgen.

Das professionell produzierte Video wirbt dafür, nicht abseits der gekennzeichneten Wege durch das Elbsandsteingebirge zu wandern und wechselt dafür in die Perspektive der Tiere. "Viele Tierarten sind dem Menschen in ihren Sinnesleistungen weit überlegen – sie hören besser, riechen besser und sehen besser", heißt es in einem begleitend veröffentlichten Text der Nationalparkverwaltung. "Während wir noch unser Auto am Wanderparkplatz abstellen, haben uns bereits die ersten Greifvögel in über einem Kilometer Entfernung wahrgenommen und ziehen sich zurück."

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In dem Film wird das illustriert. Der Wanderfalke beispielsweise sieht sechs- bis zehnmal besser als der Mensch, die Eule hört etwa zehnmal so gut. Durch Waldbesucher werden diese Tiere in ihrem Lebensraum gestört, lange bevor der Mensch sie überhaupt wahrnimmt. "Das tragische dabei ist, dass viele Menschen in der Regel die Störungen unbewusst verursachen und die negativen Auswirkungen auf wildlebende Tiere gar nicht bemerken", erklärt der Nationalpark. Bei Schwarzstörchen,Waldohreulen und Uhus beträgt die Fluchtdistanz 500 Meter. Das ist die Entfernung, ab der die Tiere vor einem potenziellen Angreifer fliehen.

Video des Nationalparks: "Jenseits der Wege"

Auf eine Wanderung durch die Sächsische Schweiz muss deshalb niemand verzichten. Entscheidend sei es aber, Lärm zu vermeiden und nur die gekennzeichneten Wege zu nutzen, erklärt die Nationalparkverwaltung. Solange sich Wanderer wiederkehrend auf den gleichen Wegen aufhalten, könnten sich viele Tierarten daran gewöhnen. Es gebe sogar Beispiele dafür, dass Besucher dann öfter mal ein Tier zu Gesicht bekommen. "Die Berechenbarkeit des menschlichen Verhaltens ist der Schlüssel für diesen Effekt", heißt es. Sie führe dazu, dass die Tiere sich sicher fühlten.

Wanderer abseits der Wege stressen die Tiere

Dennoch gibt es Menschen, die sich nicht an das Wegegebot im Nationalpark halten - sei es aus Unwissenheit, weil sie das Abenteuer und die Abgeschiedenheit suchen oder weil sie ein beeindruckendes Foto schießen wollen. "Für störungssensible Tierarten stellt diese unerwartete und unvorhersehbare menschliche Anwesenheit abseits der gewohnten Wanderwege eine massive Störung dar", erklärt die Nationalparkverwaltung.

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Für die Tiere heißt das Stress. Bei der Flucht werden im Organismus Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet, die aufgewendete Energie fehlt an anderer Stelle, wie der Futtersuche, der Aufzucht von Jungen oder der Abwehr von Krankheitserregern. Auf Dauer kann das zu weniger Fortpflanzung und schließlich zum Rückgang der Population führen.

Wanderfalke könnte zum zweiten Mal aussterben

Tendenzen in diese Richtung gibt es bereits. In den vergangenen Jahren sind starke Rückgänge beim Schwarzstorch, dem Uhu und dem Wanderfalken zu verzeichnen. In diesem Frühjahr konnte der Artenschutzexperte Ulrich Augst nur noch 13 Wanderfalken-Brutpaare in der Sächsischen Schweiz zählen - ein neuer Tiefstand. Noch vor wenigen Jahren brüteten jährlich 17 bis 20 Paare in den Sandsteinfelsen.

Die Nationalparkverwaltung warnt mittlerweile deutlich: "Der Fortbestand dieser Arten hat einen Kipppunkt erreicht." Sollten sich die Populationszahlen nicht bald wieder positiv entwickeln, drohen die genannten Arten in der Sächsischen Schweiz auszusterben. Für den Wanderfalken wäre es das zweite Mal nach der erfolgreichen Wiederansiedlung in den 1990er-Jahren.

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"Es liegt am Verhalten jedes einzelnen von uns, dass diese Charakterarten hier weiterbestehen", appelliert die Nationalparkverwaltung. "Geben wir der Natur den Raum, den sie dringend als Rückzugsort, Jagdrevier und Kinderstube braucht." Das Wegegebot sei ein wichtiger Baustein dafür.

Das heißt konkret: Im Nationalpark dürfen die vorhandenen Wege nicht verlassen werden. Innerhalb der besonders geschützten Kernzone sind sogar nur explizit gekennzeichnete Wege erlaubt, die nicht markierten Pfade sind tabu. Schwarzes Kreuz auf weißem Grund heißt: Weg gesperrt.

Luchs in der Sächsischen Schweiz

Für einige Verwunderung über das jetzt vom Nationalpark veröffentlichte Video dürften die enthaltenen Filmszenen mit einem Luchs sorgen. Wären diese tatsächlich in der Sächsischen Schweiz in freier Wildbahn entstanden, wäre das eine Sensation. Im Januar 2019 hatte ein Jäger die Spur eines Luchses in der Hinteren Sächsischen Schweiz entdeckt, als Beleg für seine Ansiedlung gilt das jedoch nicht.

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Die Nationalparkverwaltung geht aktuell davon aus, dass Luchse als Durchzügler in der Sächsischen Schweiz vorkommen. Die jüngsten eindeutigen Luchsnachweise stammen demnach aus dem Jahr 2020 von der Wildkamera eines Jägers in unmittelbarer Nähe des Nationalparks sowie aus der benachbarten Böhmischen Schweiz. Anders ist das im Harz. Im dortigen Nationalpark gilt der Luchs nach einem Wiederansiedlungsprojekt mittlerweile wieder als heimisch.