Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Tierversuche mag niemand. Doch braucht man sie? Darüber streiten Kritiker und Befürworter regelmäßig und leidenschaftlich. Emma Pietsch gehört der Fraktion der Befürworter an. Sie ist 25 Jahre alt und forscht am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums zum Thema Maus-Malaria.
Gleichzeitig engagiert sie sich ehrenamtlich für den Heidelberger Ableger des gemeinnützigen Vereins "Pro-Test Deutschland". Dessen Mitglieder wollen eine faire Diskussion zum Thema Tierversuche anregen. Das ist auch das Ziel von Emma Pietsch. Im Interview mit der RNZ spricht sie über ihre "ganz persönliche" Einstellung zum Thema Tierversuche.
Frau Pietsch, laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wurden 2017 über zwei Millionen Tiere bei Tierversuchen eingesetzt. Zudem wurden rund 700.000 zu wissenschaftlichen Zwecken getötet. Muss das sein?
Für mich ist die Frage, ob Tierversuche gerechtfertigt sind, immer eine gesellschaftliche und keine wissenschaftliche Frage. Das heißt, die Gesellschaft entscheidet am Ende: Ist die wissenschaftliche Erkenntnis so wichtig, dass wir tierisches Leid in Kauf nehmen wollen? Wenn nicht, dann müssen Tierversuche eingestellt werden. Aber meiner Meinung nach brauchen wir Tiere, um bestimmte Fragen zu beantworten, in der Hoffnung, künftig menschliches oder auch tierisches Leid zu verhindern.
Kritikern zufolge können alternative Forschungsmethoden heutzutage aber viele Versuche ersetzen. Warum also Tierversuche?
Es gibt viele Dinge, die sind so komplex, die können wir ohne Tierversuche nicht nachbilden. Für gewisse Fragen brauchen wir diese einfach. Das betrifft vor allem die Grundlagenforschung und speziell die Krebsforschung und Infektionsbiologie, da dort ganze Systeme betrachtet werden, die wir im Detail noch nicht verstehen. Das betrifft aber auch die Toxizitätsbestimmung: Um die Verstoffwechselung und die Giftigkeit eines Stoffes in einem Organismus zu ergründen, müssen wir diesen Stoff zuvor an einem Tier testen - anders geht es derzeit nicht. Gerade hier besteht aber auch großes Potenzial für Ersatzmethoden, das weiter erforscht und ausgebaut werden sollte.
Woran forschen Sie persönlich?
Ich forsche an Malaria und interessiere mich für die Frage, wie der Malaria-Parasit von der Mücke übertragen wird. Dafür ist die Fortbewegung des Parasiten von besonderer Bedeutung. Stoppt man diese Fortbewegung, tritt keine Malaria auf.
Und dafür brauchen Sie Versuchstiere.
Ich arbeite vor allem im Mausmodell. Das bedeutet, ich infiziere Mäuse mit dem Mäuse-Malariaerreger, um ganz grundlegende Prinzipien der Parasitenbiologie zu verstehen. Der Parasit wird von der Maus in den Moskito und vom Moskito wieder zurück in die Maus übertragen - ganz ähnlich wie beim Menschen. Die Grundlagenforschung, die sich mit der Übertragung der Malaria beschäftigt, kann vielleicht einmal einen Beitrag für die künftige Malaria-Therapie von Menschen leisten.
Welche Voraussetzungen müssen Sie erfüllen, um an den Tieren zu forschen?
Zunächst einmal muss auf einem sogenannten Tierversuchsantrag erklärt werden, warum die Forschungsfrage so relevant ist, dass zu ihrer Beantwortung auch Tiere eingesetzt werden müssen. Die Entscheidung über die Genehmigung eines Tierversuchs fällt letztlich das Regierungspräsidium Karlsruhe. Dabei wird das Präsidium von einer Sachverständigenkommission beraten, die sich ausführlich mit den ethischen Fragen auseinandersetzt. Nur wenn das Präsidium die Genehmigung erteilt, dann darf der Tierversuch durchgeführt werden. Damit erreicht er in meinen Augen eine gewisse Legitimität.
Wie sind Sie als Wissenschaftler im Umgang mit den Tieren geschult?
Als Forscher selbst muss man einen Versuchstierkundekurs belegen und ein Zertifikat erlangen. Dafür lernt man neben viel Theorie zum Beispiel, welche sozialen Belange die Versuchstiere haben, aber auch, wie man die Tiere richtig hält, wie man Spritzen richtig setzt und wie man sie richtig tötet.
Wie man sie richtig tötet?
Ja. Man lernt, wie man ein Tier tierschutzgerecht tötet, also schmerzfrei und möglichst stressarm. Bei der Maus ist der Genickbruch per Hand eine Möglichkeit, wenn man die Technik beherrscht. Bei der Ratte zum Beispiel geht das nicht, da sie zu groß ist. Sie wird oft mit CO2 eingeschläfert.
Und es macht Ihnen nichts aus, diese Lebewesen umzubringen?
Es trifft mich, wenn ich höre, man würde die Tiere aus Spaß quälen. Das entspricht nicht der Wahrheit. Auch wir Forscher leiden mit den Tieren. Mir persönlich fällt es jedes Mal aufs Neue schwer, eine Maus zu töten. Aber wenn ich Tierversuche durchführe, muss ich auch professionell sein. Wenn ich mein Experiment klug plane und meine Arbeit stringent und sauber ausführe, habe ich den größtmöglichen Erkenntnisgewinn.
Aber leiden die Tiere, die bei Ihnen zum Einsatz kommen, denn gar nicht?
Bei jedem Tierversuch besteht die Möglichkeit, dass das Tier leidet. In meinen Versuchen etwa bekommen die Mäuse Malaria. Die Maus entwickelt dadurch ähnliche Symptome wie der Mensch, zum Beispiel eine Blutarmut. In einigen Fällen können Schmerzen durch Gabe von Schmerzmitteln verringert werden. Aber es gibt auch Tierleid, das durch andere Faktoren hervorgerufen wird wie unsachgemäße Haltung, bei der soziale Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Wir achten daher darauf, dass wir unsere Mäuse in Gruppen halten und sie zum Beispiel die Möglichkeit haben, sich eigene Nester zu bauen. Es gibt genaue Vorschriften, wie viel Platz Versuchsmäuse haben müssen, wie sie gehalten werden müssen. Diese Vorschriften halten wir ein. Es muss immer das Anliegen des Wissenschaftlers sein, das Leiden der Tiere so gering wie möglich zu halten.
Angenommen, man würde Tierversuche von heute auf morgen verbieten - wie würde das Ihre Arbeit beeinflussen?
Die wissenschaftlichen Fragen, die ich aktuell stelle, kann ich dann nicht mehr beantworten. Ich müsste andere Fragen stellen. Wir machen keine Tierversuche, nur weil wir es können, sondern weil wir darauf angewiesen sind. Bei der Grundlagenforschung lässt sich der Nutzen nicht immer auf den ersten Blick ableiten. Aber viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, wurden erst über Tierversuche möglich gemacht.
Müsste es nicht auch Ihr Ziel sein, dass es irgendwann gar keine Tierversuche mehr gibt?
Es gibt natürlich deutliche Nachteile von Tierversuchen: Sie sind teurer, weil dahinter ein ganzes Arsenal an Leuten steht, sie sind langwierig und aufwendig. Das heißt, es ist von sich aus nicht unbedingt attraktiv, an Tieren zu forschen. Sobald es also die entsprechenden Alternativen gibt, bin ich überzeugt, werden sich diese wie ein Lauffeuer verbreiten. Denn das würde auch unsere Arbeit als Forscher erleichtern.
Sie wollen mit Ihrem Engagement bei Pro-Test Deutschland Ihre Arbeit besser erklären, Aufklärung schaffen. Warum?
Ich finde es toll, dass mittlerweile viel mehr über Tierversuche gesprochen wird. Es ist gut, dass es Tierschutzverbände gibt, die das thematisieren. Was aber noch immer zu kurz kommt, ist eine Kommunikation von uns Wissenschaftlern. Viele Menschen, die persönlich mit Tierversuchen zu tun haben, trauen sich nicht, darüber öffentlich zu sprechen. Von dem, was in Laboren passiert, weiß und versteht der normale Bürger oft zu wenig. Es fehlt an der Übersetzung und Einordnung von Ergebnissen und Erkenntnissen, aber auch zum Beispiel von Zahlen in den entsprechenden Kontext. Wir Wissenschaftler müssen daher offener mit den Fakten umgehen.