Weidekeratitis oder „Pink Eye“ muss nicht nur im Sommer ein Problem für Weiderinder werden. Das zeigt ein Praxisfall: In einem Milchviehbetrieb mit rund 100 Kühen litten im Winter 2020 gehäuft Kälber im Alter von vier bis acht Wochen an Rindergrippe. Einige Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome fingen zusätzlich die Augen an zu tränen. Oft standen die Kälber mit zugekniffenen Augen im Stall. Die Tränkeaufnahme ging deutlich zurück.
Durch den prophylaktischen Einsatz einer passenden Impfung ließen sich die stärksten Grippesymptome verhindern, die entzündeten Augen blieben jedoch weiterhin ein Problem. Bei vielen der betroffenen Kälbern trübten sich zudem bald ein oder beide Augen. Die Behandlung mit einem Antibiotikum und einem Entzündungshemmer, die durch die Impfung eigentlich vermieden werden sollte, war unumgänglich.
Alle Kälber erholten sich nach der Behandlung rasch, die Trübung der Augen ging nach einiger Zeit vollständig zurück. Doch an welcher Krankheit litten die Tiere auf diesem Betrieb und wie lässt sich das vermeiden?
Häufiges Leiden an den Augen
Umgangssprachlich als Pink Eye oder Weidekeratitis bezeichnet, ist die Infektiöse Bovine Keratokonjunktivitis (IBK) eine der häufigsten Augenerkrankungen bei Milch- und Fleischrindern.
Die IBK tritt bevorzugt, aber nicht ausschließlich, in den Sommermonaten auf. Symptome zu Beginn sind eine leichte Augenreizung und verstärkter Tränenfluss. Im weiteren Verlauf entsteht eine schmerzhafte Augenentzündung mit starker Rötung der Bindehäute und einer bläulich-weißen Trübung der Hornhaut. Bleibt eine wirksame Behandlung aus, kann es zur Bildung von Hornhautgeschwüren und dem vollständigem Erblinden der Tiere kommen. Die Rinder sind von Krankheitsbeginn an deutlich lichtscheu und kneifen daher häufig die Augen zu. Fieber kann in Einzelfällen auftreten.
Auch wenn es sich bei der IBK „nur“ um eine Augenerkrankung handelt, hat sie Einfluss auf Allgemeingesundheit und Fitness. Durch die eingeschränkte Sehfähigkeit, vor allem aber durch die starken Schmerzen und das verschlechterte Allgemeinbefinden kommt es je nach Nutzungsart und Alter zu einer verminderten Futteraufnahme, die zu einem Energiemangel und letztlich zu einer verringerten Milchleistung führt. Die Anfälligkeit für weitere Erkrankungen steigt und Wachstumsdepressionen sind vorprogrammiert.
Bakterien als Haupterreger
An der IBK können verschiedene Erreger beteiligt sein. Als Haupterreger gilt Moraxella bovis. Dabei handelt es sich um ein gram-negatives Bakterium, welches auf Schleimhäuten von Augen und des oberen Atmungstraktes gesunder Rinder vorkommt. Sie machen also nicht zwingend krank.
Bei Moraxella bovis werden mehrere Unterarten (Serovare) unterschieden. Serovare, die für die Entstehung der IBK verantwortlich sind, bilden sogenannte „Fimbrien“ aus. Das sind fadenförmige Strukturen, mit denen sich die Bakterien auf der Hornhaut anheften können. Zusätzlich bilden sie zellzerstörende Enzyme aus, mit denen sie Hornhautzellen auflösen und so in die Hornhaut eindringen können. Die fortschreitenden Defekte in der Hornhaut führen zu den sichtbaren Trübungen.
Weitere Bakterien, die an der IBK beteiligt sein können, sind Moraxella bovoculi und Mycopolasma bovoculi, Mycoplasma bovis und BHV-1. Inwieweit diese Erreger die Krankheit wirklich auslösen können, oder eher die Anfälligkeit bzw. den Schweregrad beeinflussen, ist noch nicht endgültig geklärt.
Verbreitung über Fliegen
Moraxella bovis ist in der Umwelt nur sehr kurz überlebensfähig, da die Bakterien sehr empfindlich auf Trockenheit reagieren. In den Speicheldrüsen von Fliegen überleben sie jedoch bis zu drei Tage, was Fliegen zum wichtigsten Überträger macht. Deswegen hat die IBK vor allem in den Sommermonaten Hochsaison.
Immer wieder kommt es allerdings auch zu Krankheitsausbrüchen während der kälteren Jahreszeit. Fliegen sind also nicht der alleinige Überträger. Auch die direkte Übertragung von Tier zu Tier spielt eine wichtige Rolle. Die Erkrankung ist hochansteckend. Faktoren, wie eine starke Staubbelastung, direkte Sonneneinstrahlung und ein schwaches Immunsystem (Stress, andere Erkrankungen, Spurenelementemangel) begünstigen den Ausbruch zusätzlich.
Jungtiere sind in der Regel anfälliger als ältere Rinder. Diese haben durch wiederholten Kontakt bereits eine erhöhte Immunität. Bei älteren Rindern erkranken meist nur noch Einzeltiere, während die Erkrankung bei Jungrindern und Kälbern nicht selten ein Bestandsproblem ist.
Schnell vor Licht schützen
Die gute Nachricht: Die Erkrankung ist gut therapierbar. Voraussetzung dafür ist, dass Tierarzt und Landwirt die Behandlung früh beginnen, ein geeignetes Medikament auswählen und die Behandlungsdauer ausreichend lang ist.
Stellt ein Landwirt erste Symptome bei seinen Tieren fest (Tränenfluss, gerötete Bindehäute, Zusammenkneifen der Augen) besteht die erste Maßnahme darin, die Tiere vor Sonnenlicht zu schützen. Erkrankte Rinder auf der Weide sollte er also in einen schattigen Stall bringen. Muss der Rinderhalter diesen frisch einstreuen, sollte sich der Staub gelegt haben, bevor die Tiere eingestallt werden. So wird eine zusätzliche Reizung der Augen vermieden.
Sind bei einem Rind beide Augen betroffen, ist davon auszugehen, dass dieses nahezu blind ist. Vor allem bei beidseitiger Trübung der Hornhaut. Ein behutsamer Umgang ist daher umso wichtiger. Es muss außerdem gewährleistet sein, dass die betroffenen Rinder Futter und Tränke finden.
Die Therapie mit einem geeigneten Antibiotikum kann sowohl systemisch als Spritze, als auch lokal über eine Augensalbe erfolgen. Die lokale Therapie bietet sich vor allem bei Einzeltieren an, um die Gefahr der Resistenzbildung möglichst zu vermeiden. Bei einem Bestandsproblem ist aus diesem Grund ebenfalls die lokale Behandlung vorzuziehen. Je nach Anzahl der betroffenen Tiere kann es jedoch eine große Herausforderung sein, alle Rinder zweimal täglich mit einer Augensalbe zu behandeln.
In den ersten Tagen sollten die Tiere zudem einen Entzündungshemmer erhalten. Zum einen, um die Entzündung selbst schneller abklingen zu lassen. Zum anderen, um den Tieren die starken Schmerzen zu nehmen, die diese Augenerkrankung auslöst.
Pinken Augen vorbeugen
Wie bei allen Erkrankungen ist Vorbeugen immer besser als Heilen. Hierfür hilft ein erneuter Blick auf die Risikofaktoren und die Übertragungswege der Weidekeratitis:
Rinder vor anderen Infektionen, Stress und Staubbelastung schützen, um die Anfälligkeit nicht unnötig zu erhöhen.
Im Sommer für einen wirksamen Fliegenschutz sorgen. Hierfür stehen verschiedene Aufgusspräparate und Ohrmarken zur Verfügung.
Auch ein Rückzugsort im Schatten oder Weidegang in der Nachtzeit verringert den Kontakt mit Fliegen.
Im Stall können häufiges Ausmisten bei den Kälbern, Fliegenfallen und verschiedene Bekämpfungsmitteln, z.B. für die Gülle, die Fliegendichte verringern.
Kommt die IBK als Bestandserkrankung vor, kann ein bestandsspezifischer Impfstoff eine Lösung sein. Dafür nimmt der Tierarzt eine Tupferprobe aus dem Augenlid. Spezielle Labore züchten den bzw. die auf dem Betrieb verantwortlichen Erreger heran und produzieren daraus einen passenden Impfstoff für die Herde.
Warum Ausbruch im Winter?
Zurück zum Beginn: Im betroffenen Milchviehbetrieb gab es trotz Winterzeit mehrere begünstigende Faktoren für den Ausbruch der IBK: Die Grippeerkrankung der Kälber war eine der wichtigsten Wegbereiter für die Ausbreitung. Außerdem waren die Intervalle zwischen dem Ausmisten in dem Warmstall zu lang, sodass sich dort auch an milderen Wintertagen Fliegen entwickeln konnten. Zum Ende eines jeden Mistintervalls stieg außerdem die Schadgasbelastung an, die zu einer vermehrten Reizung und damit Anfälligkeit der Augen gegenüber dem Erreger führte. Die Belegdichte war in den Wintermonaten ungewöhnlich hoch, was ebenfalls zu einer leichteren Übertragung von Tier zu Tier geführt hat und die Stressbelastung erhöhte.
Zusätzlich zu der Grippeimpfung war das häufigere Ausmisten ein Schritt, um der Erkrankung vorzubeugen. Nachdem auch die Gruppengröße wieder abgenommen hatte, ging auch die Häufigkeit der IBK in diesem Betrieb deutlich zurück, sodass der Tierhalter nur noch vereinzelt Kälber behandeln musste.
Dieser Beitrag von Anna Lena Lindau ist auch in der top agrar-Ausgabe 7/21 erschienen.