Der Tag ist heiß und drückend, deshalb kommt einem der Schüler jene Frage gerade recht: "Wer möchte denn jetzt nach Möglichkeit nicht arbeiten?" Markus nickt, und die Reaktion folgt auf dem Fuß: "Gut, dann darf ich dich mal kurz als Patientendarsteller nach vorne bitten." Im nächsten Augenblick liegt der junge Mann, dem Szenario nach nun Unfallopfer mit ernsten Bein-, Arm- und Halsverletzungen, auch schon lang gestreckt am Boden. Umringt von drei grinsenden Rettungssanitätern, die umgehend weitere Jugendliche in das Rollenspiel einweisen. EKG-Elektroden werden angebracht, eine Mitschülerin - sie ist nun die Ärztin - stützt Markus den Kopf. All das gehört mit zum Präventionsprogramm, mit dem das Universitätsklinikum Regensburg Jugendlichen verantwortungsvolles Verhalten im Straßenverkehr nahebringen will.
Kurse wie diese bräuchte es dringend mehr: Das Innenministerium nennt nach wie vor eine überhöhte oder nicht angepasste Geschwindigkeit als die Hauptursache für schwere Verkehrsunfälle. Im vergangenen Jahr gingen in Bayern 183 und damit etwa ein Drittel aller tödlichen Verkehrsunfälle auf das Konto von Rasern. Die Zahl der dabei getöteten Menschen erhöhte sich um 5,1 Prozent auf 226. Leider, so stellte das Innenministerium fest, habe es im ersten Halbjahr 2017 auffällig viele getötete junge Fahrer gegeben. Besonders gefährdet sind dabei Verkehrsteilnehmer zwischen 15 und 24 Jahren. Sie haben das mit Abstand höchste Unfallrisiko im Straßenverkehr. Unterm Strich seien es meist folgende Risikofaktoren: überhöhte Geschwindigkeit, Fahren unter Alkoholeinfluss, Handynutzung am Steuer oder schlicht mangelnde Fahrpraxis.
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Von Peter Becker
"Jedes Unfallopfer, das hier reinkommt, ist eines zu viel", sagt Michael Nerlich, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Regensburger Universitätsklinikum. Es sei furchtbar mit anzusehen, wie sehr diese vielfach jungen Menschen unter ihren schweren Verletzungen litten. "Deshalb haben wir hier jetzt eine kleine Schocktherapie vorbereitet", sagt Nerlich. In seiner Stimme schwingt Stolz mit. Bereits zum 25. Male läuft das Programm "P.A.R.T.Y." im Regensburger Uniklinikum ab. Entwickelt wurde es in Kanada. 2014 übernahmen die Regensburger das Konzept - "als eine der ersten Kliniken in Deutschland", wie Nerlich betont. Die fünf Buchstaben, die stünden für "Prevent Alcohol and Risk-Related Trauma in Youth" - frei übersetzt: "Vermeidet Alkohol und durch riskantes Verhalten verursachte Verletzungen in der Jugend".
Mittlerweile sind es nach Angaben der Uniklinik Regensburg 38 Häuser bundesweit, die zu der heilsamen Schocktherapie greifen. Diese beginnt relativ ruhig mit einem Vortrag über die Risiken von Alkohol- und Drogenkonsum, setzt sich fort mit dem Appell, dass man doch bitte am Steuer die Finger vom Handy lassen sollte. Und, so stellt eine freundliche Polizistin im Hörsaal fest: Man treffe auch immer mehr junge Frauen völlig betrunken auf dem Fahrrad an. "Tut mir leid, dass ich das sagen muss", sagt die Beamtin.
Es folgt die Übung mit den drei Rettungssanitätern der Johanniter Unfallhilfe, die für Markus jetzt einen unerwarteten Verlauf nimmt. Festgezurrt, quasi bewegungsunfähig, wird er im Laufschritt zu einem der Schockräume in der Notaufnahme gebracht. Dort warten bereits zwei Schwestern darauf, einzugreifen. Markus schwant allmählich, dass es vielleicht ein Fehler gewesen sein könnte, den Patienten zu mimen. "Keine Angst. Du hast einen tollen Job, du brauchst jetzt gar nichts machen, musst einfach nur daliegen", beruhigt ihn Schwester Susanne Schindler.
"Die Schüler sollen hautnah erleben, welche Konsequenzen ein unachtsamer Augenblick haben kann"
Die darauf folgende Ankündigung jagt jedoch bei Markus den Puls wieder hoch: "Bevor wir den Patienten auf unsere Liege umlagern, müssen wir ihn ausziehen. Der wird komplett entkleidet bei uns." Da die Zeit drängt, geschieht dies auf robuste Weise: mit einer Schere. Weglaufen ist jetzt für Markus eh nicht mehr drin, aber es kommt dann doch nicht so schlimm. Weggeschnitten wird nur die grüne Schutzkleidung, die er zuvor bekommen hatte. Aber das Prinzip, wie es im Notfall gewesen wäre, ist nun klar.
Kurz darauf wird es wirklich ernst: Die Schülergruppe trifft in der Intensivstation auf drei reale Unfallopfer - alle derzeit nicht ansprechbar. Und einer von ihnen wird nach derzeitigem Stand vermutlich nicht mehr lange leben. Er wurde bei einem Motorradunfall schwer verletzt. Ihm gegenüber liegt ein junger Radsportler, den ein Autofahrer übersehen hatte. "Die Schüler sollen hautnah erleben, welche Konsequenzen ein unachtsamer Augenblick haben kann", sagt eine Sprecherin des Universitätsklinikums. "Das ist nur eine Sekunde, und schon ist man für den Rest seines Lebens gezeichnet", ergänzt Direktor Michael Nerlich.
Mario Petzendorfer, einem der Patienten hier, ist genau das passiert. Die Schüler, allesamt Hochbegabte, denen augenblicklich als Belohnung für die guten Leistungen ein einwöchiges Ferienprogramm geboten wird, umringen sein Bett. Petzendorfer, ein Bär von einem Mann, hatte einen Motorradunfall. Er spricht Klartext: Luftröhrenschnitt noch am Unfallort, Halswirbelfraktur, heute querschnittsgelähmt. "An den Unfall kann ich mich nicht mehr erinnern", sagt er, und das sei gut so: "Man muss mit den Informationen ja auch umgehen können." Und das nicht nur er selbst - auch die Angehörigen. Dreieinhalb Jahre vor dem Unfall war Petzendorfers Frau an Krebs gestorben. Dann auch noch das Unglück mit dem Motorrad. "Für meinen Sohn und meine Tochter war das schwieriger zu verkraften als für mich selbst", betont Petzendorfer. Als seine Geschichte erzählt ist, winkt er den Jugendlichen zu: "Passt auf euch auf", sagt er.