24.11.2010, 10:50 Uhr
Der Rinderwahnsinn BSE ist weitgehend Geschichte. In Deutschland gibt es nur noch Einzelfälle, in ganz Europa ist die Seuche nahezu ausgerottet. Das gelang mit einem einfachen Verbot: Rindern darf seit 2001 europaweit kein Tiermehl und -fett mehr verfüttert werden.
Zehn Jahre nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland gilt der Rinderwahnsinn heute als nahezu besiegt. Nur noch bei zwei Rindern bundesweit wurde im vorigen Jahr die Seuche festgestellt. Erstmals war BSE bei einer in Deutschland geborenen Kuh am 24. November 2000 diagnostiziert worden - auf dem Hof von Peter Lorenzen in Hörsten in Schleswig-Holstein. In dem Bundesland trat die Krankheit schon seit 2005 nicht mehr auf.
Für die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter ist BSE Geschichte, wie Geschäftsführer Norbert Wirtz in Bonn sagt. Die Wissenschaft hat das wesentliche Rätsel um BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie; Schwammhirn bei Rindern) gelöst.
"Es steht fest, dass die Verfütterung von Tiermehl und Tierfett die Krankheit ausgelöst hat", sagt der Chef des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald, Martin Groschup. Spontane BSE- Erkrankungen gebe es nur sehr selten und nur bei sehr alten Rindern. Mit dem Verfütterungsverbot von Tiermehl, das 2001 europaweit in Kraft trat, seien Neuinfektionen unterbunden worden. Heute steht die EU nach Einschätzung der Kommission kurz vor dem Ende der Seuche. Fälle gibt es noch in Nordamerika, genaue Zahlen allerdings nicht.
"BSE hat die deutsche Rinderzucht längst nicht so ins Wanken gebracht wie die britische, wo die Hälfte des Rinderbestandes gekeult wurde", erklärt Verbandschef Wirtz. Doch: Viele Rinderhalter hätten aufgegeben, etwa jeder dritte, der BSE auf seinem Hof hatte. Und ein merklicher Marktanteil sei an die Geflügelbranche verloren gegangen. Laut Bundesagrarministerium lag der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland im Jahr 2000 bei 14 Kilogramm Rindfleisch, 2001 waren es nur noch 9,9 Kilo, heute sind es um die 12,5 Kilo.
Vor zehn Jahren wird die gesamte Rindfleischbranche angesichts der Bilder von torkelnden, verhaltensgestörten Rindern von Hysterie erfasst. Lorenzens Herde mit 166 Tieren wird getötet - die übliche Praxis, um der Verbreitung der Krankheit vorzubeugen. "Nach den Vorgaben der EU mussten alle Tiere getötet werden, die das gleiche infektiöse Futter aufgenommen hatten", erläutert Groschup die Entscheidung. Für Schlachtrinder im Alter von mindestens zwei Jahren werden Schnelltests eingeführt.
Das Überspringen der Krankheit auf den Menschen wird befürchtet. Rund 200 Todesfälle durch eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (vCJK) vor allem in Großbritannien (174) und Frankreich (25) wurden seitdem publik. In Deutschland gab es keinen vCJK-Fall, sagt der Arbeitsgruppenleiter im Berliner Robert Koch-Institut, Michael Beekes. Der Erreger, der BSE und die Creutzfeldt-Jakob- Krankheit auslöst, sei derselbe. "Das wird als gesichert angesehen", hebt der Wissenschaftler hervor.
Fleischereien werben für Salami ohne Rindfleisch, in Steakhäusern gibt es Pute, der Rindfleischexport bricht zusammen. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer und Bundesagrarminister Karl-Heinz Funke (beide SPD) treten wegen der BSE-Krise zurück.
Schlag auf Schlag werden zum Jahreswechsel 2000/2001 neue Fälle des Rinderwahns bekannt: Im Dezember in Bayern und in Niedersachsen, im Januar 2001 wieder in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg und am 12. Januar der erste Fall in Ostdeutschland, in Mecklenburg- Vorpommern. Innerhalb von zwei Monaten hat die Bundesrepublik 20 BSE- Rinder, 125 sollen es im Jahr 2001 werden, 106 im Jahr darauf.
Laut Bundesagrarministerium wurden vom 1. Januar 2001 bis zum 30. September 2010 in Deutschland mehr als 20 Millionen Rinder auf BSE getestet. 406 BSE-Fälle wurden dokumentiert. In Großbritannien waren es laut Groschup 180 000 diagnostizierte Fälle, hinzu kommen Hunderttausende infizierte Rinder, die unerkannt blieben. Noch gebe es keine Entscheidung, die Tests einzustellen, es werden inzwischen aber in Deutschland und einer Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten nur noch mindestens 48 Monate alte Tiere getestet.
Als Auslöser der Krankheit gelten Prionen, falsch gefaltete Eiweißmoleküle, die in einer Art Kettenreaktion bestimmte körpereigene Eiweiße dazu bringen, sich ebenfalls umzufalten und zu verklumpen. Im Institut auf dem Riems sind die Rinderversuche zur Entstehung und Entwicklung von BSE abgeschlossen, wie Groschup berichtet. Noch läuft ein Mäuse-Infektionsversuch, um festzustellen, wo die BSE-Erreger im Körper vermehrt werden. Bekannt sind Rückenmark und Hirn. Aber auch 26 Rinder stehen noch für einen mit kanadischen Forschungsmitteln finanzierten Übertragungsversuch auf der Insel, um zu ermitteln, ob das Blut von BSE-erkrankten Rindern infektiös ist. In Kanada läuft ein Test mit Hirnmaterial im Futter.
Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der neuen Creutzfeldt-Jakob- Variante beim Menschen wird Beekes zufolge auf 10 bis 15 Jahre geschätzt. Im Zuge der ersten BSE-Fälle war die Verwendung von besonders belasteten Teilen des Rindes wie Hirn und Fleisch von der Wirbelsäule (Separatorenfleisch) für die menschliche Ernährung verboten worden. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Krankheitsfälle beim Menschen auftreten", sagt Beekes. In Großbritannien würden bis 2040 noch einige bis schlimmstenfalls einige hundert Fälle erwartet. In diesem und im vorigen Jahr seien dort jeweils drei Menschen an der Krankheit gestorben.
Bauer Lorenzen hat nach dem BSE-Schock nicht aufgegeben. Er hat die Entschädigung aus dem Tierseuchenfonds genommen und neu begonnen. "Wir leben von der Milchkuhhaltung, was sollten wir sonst tun", sagt der heute 48-Jährige.
Birgit Sander, DPA
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