Afrikas GeschichteKarawanen, Macht und Gold

"Herr Fauvelle, wenn es eine Fee gäbe – und die würde Ihnen sagen: Also Sie haben jetzt einen Wunsch frei. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, das Ihnen bei Ihrer Forschung weiterhelfen könnte. Was würden Sie gerne wissen? Oder ist die Frage zu schwierig, weil zu viele Puzzleteile fehlen?"

"Nein, also ich bevorzuge Erfolge, die die Frucht einer gemeinsamen Arbeit sind. Ich wäre nicht zufrieden, wenn man mir einfach so etwas verraten würde. Voilà. Das ist ein intellektuelles Vergnügen, das ist die Anerkennung für die ganze Arbeit. Ich bevorzuge es, selber zu entdecken – anstatt mit Hilfe einer Fee. Nein, also wenn mir das passieren würde, würde ich sagen: Nein, danke."

"Ok, was mich interessiert ist: Gäbe es ein Puzzleteil, das Ihnen helfen könnte viele andere Dinge zu verstehen?" "Ja klar. Die Hauptstadt Malis im 14. Jahrhundert. Die Hauptstadt Malis im 14. Jahrhundert würde uns viele Fragen beantworten."

Ein Wechsel von Feuerholz zu Holzkohle - vor langer Zeit

"Also ich war in Togo, um Recherchen über den Militärputsch zu machen." Hanza Diman schreibt gerade seine Doktorarbeit an der Universität Bayreuth. Als er in Togo war, hat er noch für seine Masterarbeit recherchiert. "Und das war eher im Alltag, dass ich festgestellt habe, dass die Menschen Kohle verwenden, um damit Feuer zu machen. In meinem Dorf verwendet man meist Feuerholz."

Hansa Diman kommt aus Benin. Bei Interviews auf dem Land stellt er fest, dass auch in Togo die Landbevölkerung hauptsächlich Feuerholz zum Kochen verwendet. Anders als die Menschen in der Hauptstadt Lomé. So beginnt er, sich für das Thema Holz und Energie zu interessieren. "Ich habe dann auch mit den Nutzerinnen gesprochen – das sind nämlich vor allem Frauen, die sich ums Feuer und alles kümmern."

Die Frauen erzählen, dass es mal einen Wandel gab – vom Feuerholz zur Holzkohle. Aber schon vor langer Zeit.

"Und da habe ich mir gedacht: Mensch, das ist doch ein Thema, das man mal untersuchen müsste. Und als ich dann mit dem Militärputsch fertig war, bin ich in Bayreuth direkt zu meinem Betreuer gegangen und habe gesagt: Ich würde als nächstes gerne zu Energieholz arbeiten. Und er meinte: Ist das denn machbar? Möchtest Du nicht mit dem Putsch weitermachen? Und ich habe dann gesagt: Nein, ich möchte zu Energieholz arbeiten, weil Holz und Energie, das betrifft den Alltag der Menschen. Und so kommt es, dass ich durch meinen eigenen Alltag von der Politikgeschichte zur Weltgeschichte gekommen bin."

Schließlich ist daraus seine Doktorarbeit geworden. "Gerade bin ich dabei, sie zu beenden. Es geht darin um den Gebrauch von Feuerholz und Holzkohle in der Stadt Lomé, in Togo."

Holzkohleproduktion in Sambia (www.imago-images.de/Mark Boulton)

Geschichte des Energieholzes hat die Kolonialherren nicht interessiert

Togo war bis zum Ersten Weltkrieg eine deutsche Kolonie. Danach – bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 – stand es unter französischer Verwaltung. Hanza Diman schaut sich in seiner Doktorarbeit einen sehr langen Zeitraum an: 1884 bis 2017.

"Aber als ich in Berlin-Lichterfelde ins Archiv gegangen bin, musste ich feststellen, dass es für die deutsche Kolonialzeit überhaupt keine schriftlichen Quellen gibt, die sich mit Feuerholz beschäftigen, also mit Energie in Haushalten. Die Deutschen haben sich nicht dafür interessiert."

Also startet er einen nächsten Versuch. "Ich habe mir gedacht: Ok, vielleicht finde ich was in Aix-en-Provence. Da gibt es auch viele Dokumente aus der Kolonialzeit. Aber dann wurde mir klar: Das ist hier das gleiche Problem: Auch in den französischen Quellen wurde das Thema Feuerholz nie behandelt."

Dritter Versuch. "Danach bin ich noch ins Nationalarchiv nach Togo gefahren. Und es war wieder das Gleiche. Und da wurde mir klar, dass es unmöglich sein wird, auf Grundlage von Schriftquellen die Geschichte von Energieholz zu schreiben."

Hanza Diman fragt sich: Warum hat "Feuerholz" für die Kolonialherren überhaupt keine Rolle gespielt? Denn für die Wälder, Holz und Forstwirtschaft haben sie sich durchaus interessiert. Zu diesen Themen lassen sich auch Dokumente finden. "Nun ja, man war eben schon daran interessiert, die Ressource Wald in Togo zu erschließen – und Profit zu machen."

Am Ende setzt Hanza Diman auf Oral History. Das heißt, er befragt ältere Menschen aus Lomé zu ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Und diese Berichte gleicht er dann mit existierenden Schriftquellen ab. "Ich versuche eine Art Dialog zwischen den verschiedenen Quellen herzustellen. Aber dabei nimmt keine der Quellen eine Monopolstellung ein, beziehungsweise gebe ich keiner Quelle mehr Bedeutung als den anderen."

François-Xavier Fauvelle lehrt am Collège de France (Collège de France/François-Xavier Fauvelle)

Kaum schriftliche Quellen aus afrikanischen Gesellschaften

"Ich wollte mich – so gut es geht – der Geschichte afrikanischer Gesellschaften annähern. Und dabei so wenig wie möglich von den europäischen Quellen abhängig sein. Die Quellen versorgen uns einerseits mit Informationen, andererseits schaffen sie aber auch eine methodologische Schieflage."

François-Xavier Fauvelle ist Historiker und Archäologe. Und weil er es problematisch findet, die Geschichte Afrikas mithilfe von europäischen Quellen zu erforschen, hat er sich auf die Zeit spezialisiert, bevor die Europäer mit viel Gewalt und großer Überheblichkeit nach Afrika kamen.

"Es gibt kaum afrikanische Gesellschaften, die uns schriftliche Quellen hinterlassen haben. Aber Äthiopien ist eine Region in Afrika, aus der uns viele Aufzeichnungen überliefert sind, besonders für das Mittelalter."

In der Region, die heute Äthiopien und Eritrea umfasst, lag das spätantike Reich Aksum. Dort hatte sich schon früh ein eigenes Schriftsystem entwickelt.

"Auch im christlichen Nubien – das im heutigen Nord-Sudan lag – gab es Manuskripte. Mit dem Verschwinden des christlich-nubischen Königreichs im 15. Jahrhundert sind diese Schriften allerdings verloren gegangen. Die meisten afrikanischen Gesellschaften haben uns keine Quellen hinterlassen, die wir heute studieren könnten – so wie wir das etwa mit dem mittelalterlichen Islam oder mit Europa im Mittelalter machen. Das Mittelalter – als chronologischer Begriff – das ist ein Begriff, der eine Geschichte hat, die wir gut kennen. Die beginnt in Italien, breitet sich in Südeuropa aus und umfasst schließlich ganz Europa. Heute denken wir vielleicht, dass dieser Begriff rein europäisch ist. Aber ich denke, die Sache ist komplexer - und interessanter."

Den Mittelalter-Begriff globalisieren

François-Xavier Fauvelle lehrt am Collège de France in Paris. Er findet: Unser Mittelalter-Begriff ist inzwischen ein bisschen veraltet.

"Man könnte die Geschichte weiterschreiben, indem man sie globalisiert. Meines Erachtens gibt es gute Gründe, den Mittelalter-Begriff zu globalisieren – und ihn gewissermaßen zu 'ent-europäisieren'. Und genau das versuche ich zu machen, indem ich Afrika mit einbeziehe."

Der Historiker hat ein Buch über Afrika im Mittelalter geschrieben - mit Hilfe der Quellen, die zur Verfügung stehen. Kleine Geschichten - aus der Zeit vom 8. bis zum 16. Jahrhundert - die uns einer Zeit näher bringen, die bisher sehr wenig beachtet wurde. Das Buch trägt den Titel: "Das goldene Rhinozeros".

(Buchcover: C.H. Beck Verlag, Foto: dpa / picture alliance / Arved Gintenreiter)

Afrika im Mittelalter - Ein unterschätzter Kontinent Über das afrikanische Mittelalter ist wenig bekannt. Wie es dennoch gelingen kann, mehr über Afrika zu erfahren, zeigt der Historiker François-Xavier Fauvelle in seinem Buch "Das goldene Rhinozeros". Sein Fazit: Der Kontinent ist alles andere als gesichtslos.

"Das goldene Rhinozeros – oder das Rhinozeros von Mapungubwe – befindet sich in einem winzigen Museum in Pretoria – auf dem Campus der Universität. Die wenigsten Touristen finden den Weg dorthin." Der Eingang des Museums liegt ein bisschen versteckt. Fauvelle: "Nichtsdestotrotz ist das ein wunderschönes kleines Museum, das uns das Goldene Rhinozeros präsentiert. Ein Nashorn, das in meine Hand passt. Das ist nicht aus massivem Gold. Es ist ganz leicht. Aus Blattgold. Und das Blattgold war mal auf einen hölzernen Untergrund genagelt. Aber dieses Holz existiert nicht mehr - weil das war ja schon vor siebenhundert oder achthundert Jahren."

Neben dem goldenen Nashorn zeigt das Museum auch noch andere Objekte aus Gold. "Eine Art Zepter, eine Schale, andere Tiere aus Gold. Und tausende Perlen, Goldperlen, Glasperlen. Und Keramik."

Die Objekte stammen aus dem 12./13. Jahrhundert. Ihre Geschichte führt uns ins heutige Südafrika. In den äußersten Nordosten. Der Fluss Limpopo fließt hier durch eine Landschaft, geprägt durch rötlichen Sandstein, Auenwälder und knorrige Affenbrotbäume. Elefanten, Giraffen, Antilopen und Nashörner leben hier.

Ausblick im Mapungubwe-Nationalpark auf den Zusammenfluss von Limpopo und Shashi (imago stock&people/Ann & Steve Toon)

Archäologische Funde aus dem 13. Jahrhundert

"Und da haben sie einen Park, einen wunderschönen Nationalpark mit einem Hügel. Und der trägt den Namen: Mapungubwe."

Mapungubwe bedeutet "Schakalhügel" in der Sprache der Shona. Der Hügel ist oben flach und hat steil abfallende Kanten. "Man kann auch auf diesen Hügel klettern. Das ist ein sehr schönes Gelände. Und man bekommt eine Vorstellung davon, wie diese Umgebung im 12. und 13. Jahrhundert gewesen sein könnte – in der Zeit des Königreichs von Mapungubwe."

Untersuchungen haben ergeben, dass der Hügel bis Anfang des 13. Jahrhunderts besiedelt war. Die archäologischen Reste lassen ehemalige Wohnräume erkennen, aber auch einen zentralen Pferch für das Vieh. Außerdem liegen Gräber auf diesem Hügel, die darauf schließen lassen, dass das hier lebende Volk eine Elite – möglicherweise Könige – hatte, die sich zusammen mit Reichtümern bestatten ließen: Mit Perlen, Keramik und einem goldenen Rhinozeros. Denn genau hier wurden in den Gräbern die Schätze gefunden, die heute in Pretoria im Museum zu sehen sind.

Ein wahrer archäologischer Schatz, der darüber hinaus noch mehr erzählt. Fauvelle: "Der uns zeigt, dass dieses kleine Königreich am Ende von Afrika verbunden war mit mehreren Regionen der restlichen Welt. Weil man in den Gräbern Keramikscherben gefunden hat; graugrüne Keramik, die den Namen 'Seladon' trägt - und die in China produziert wurde."

Und die irgendwie von China nach Afrika gekommen sein muss. Aber auch die Perlen aus den Gräbern erzählen von einer Verbindung mit weit entfernten Gegenden. Denn sie stammen aus der Pazifikregion und aus dem Indischen Ozean. Und: Selbst das kleine goldene Nashorn hat möglicherweise einen nicht-afrikanischen Ursprung.

Das Goldene Rhinozeros von Mapungubwe dokumentiert die weitreichenden Kultur- und Handelsbeziehungen eines mittelalterlichen Königtums in Afrika (www.imago-images.de/Horst Klemm/Greatstock)

Rhinozeros von Mapungubwe stammt wahrscheinlich aus Asien

"Das Rhinozeros von Mapungubwe hat nur ein einziges Horn. Das ist spannend, weil das afrikanische Nashorn zwei Hörner hat. Aber wir wissen, in Asien gibt es Nashorn-Arten mit einem Horn." Das Blattgold kommt wahrscheinlich eher aus der Region. "Es könnte gut sein, dass die hölzerne Schablone, auf der das Gold ursprünglich befestigt war, aus Asien kam. Wir wissen es nicht, aber weil es eben diese Verbindungen nach Asien gab, ist das durchaus möglich. Das beschreibt genau das, was ich als ‚globales Mittelalter‘ bezeichne. Verschiedene Verbindungen zwischen Afrika, der islamischen Welt, dem Irak, Indien, Vietnam und China."

Die Verbindungen werden sichtbar, weil diese Regionen Handel trieben. "Und das ermöglichte Prestigeobjekten oder Luxusgütern ans andere Ende der Welt zu gelangen - ohne dass die Händler selber so weit reisen mussten. Und ich finde, das ist ein sehr schönes Bild für die Vernetzung im globalen Mittelalter."

Das kleine goldene Nashorn erzählt aber auch noch eine ganz andere Geschichte, und die spielt im 20. Jahrhundert: Im Dezember 1932 klettert Jerry van Graan mit ein paar Freunden auf den Schakalhügel. Fauvelle: "Das sind weiße Siedler, die diese Stätte entdecken. Das ist also ein kolonialer Kontext: Weiße Siedler, die eine archäologische Stätte entdecken – und plündern."

Jerry van Graan und seine Freunde nehmen drei Gräber auf dem Mapungubwe-Hügel auseinander und finden dabei unter anderem das goldene Nashorn. "Raub von afrikanischem Erbe – der bis heute andauert."

Jerry van Graan ist Geschichtslehrer. Nach der Plünderung berichtet er seinem ehemaligen Geschichtsprofessor von der Aktion. Der lässt die Farm, zu der der Hügel gehört, vom Staat aufkaufen und ebenso die Objekte, die aus den Gräbern stammen und startet eigene Grabungen. Heute ist der Mapungubwe-Hügel Unesco-Welterbe. Und auch wenn Historiker wissen, dass das goldene Rhinozeros, die Perlen und ein Zepter aus den Gräbern stammen: Durch die Plünderungen wurden die Objekte aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen – und damit wurden wertvolle Informationen vernichtet über das Volk, das zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert hier gelebt hat.

"Geschichte als Disziplin ist eine europäische Erfindung"

"Ich glaube nicht nur die Geschichte als Disziplin im Universitätswesen ist eine europäische, sozusagen Erfindung. Ich würde sagen, sogar die Geschichte als Disziplin ist eine europäische Erfindung." Lisa Regazzoni ist Historikerin. "Ich bin Italienerin und zur Zeit bin ich Professorin für Geschichtstheorie an der Universität Bielefeld."

Während es schon seit Jahrtausenden sogenannte Geschichtsschreiber gibt – sowohl in Europa, aber etwa auch in China oder anderen Teilen der Welt, passiert im 18./19. Jahrhundert etwas, was bis heute Folgen für unser Geschichtsverständnis hat: Die Geschichte wird institutionalisiert. Geschichte wird zu einer methodischen Wissenschaft, die an Universitäten gelehrt wird. Leopold von Ranke ist zum Beispiel einer der ersten Geschichtsprofessoren. Von 1834 bis 1871 lehrt er an der Universität in Berlin. Sein Wirken hat Einfluss auf Universitäten in ganz Europa.

"Und wenn wir vor allem die deutsche Geschichtsschreibung anschauen, und ich denke vor allem an Wilhelm von Humboldt, Leopold von Ranke oder Gustav Droysen, aber auch Hegel – wenn wir seine Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte anschauen: Wir merken, dass sie ein Verständnis dessen haben, was Geschichte ist, die sehr wichtige Konsequenzen auch für die Praxis der Geschichte hat."

Geschichtswissenschaft hängt in dieser Zeit eng zusammen mit Staatenkunde oder Politik. "Von Humboldt, Droysen und Ranke sehen eben die Geschichte nicht als eine Zusammenstellung von zahlreichen verschiedenen Geschichten von Völkern, die nebeneinander stehen oder chronologisch einzureihen sind. Sondern sie sehen die Geschichte als eine Entwicklung, als einen geistigen Zusammenhang, der fortschrittlich vorgeht. Und der einem bestimmten inneren Gesetz folgt. Und Aufgabe der Historiker ist eben nicht nur die Geschehnisse zu schildern, sondern den inneren Zusammenhang, den geistigen Zusammenhang, den kausalen Zusammenhang aller dieser Ereignisse zu sehen."

Leopold von Ranke (1795-1886) gilt als Begründer der modernen (westlichen) Geschichtsschreibung (imago stock&people/World History Archive)

Stehen Völker ohne schriftliche Überlieferung außerhalb der Geschichte?

Bei diesem Geschichtsverständnis spielen Hierarchien eine große Rolle - und Fortschritt. "Für Hegel meinetwegen führt dieser Fortschritt zum höchsten Höhepunkt – was die Entwicklung des absoluten Geistes ist. Für Droysen stellt der Höhepunkt dieser Geschichte als Fortschritt im Grunde den preußischen Staat dar. Ähnliches gilt für Hegel. Für Ranke gilt als höchste Entwicklung der Geschichte oder als höchster Stand im Grunde das europäische Machtsystem. Und in dieser Vorstellung von Geschichte haben bestimmte Völker und bestimmte Zeiten einfach keinen Platz, weil sie auf diesem Schauplatz der politischen Geschichte im Grunde keine Rolle spielen."

Für sogenannte "Primitive" oder Naturvölker bilden sich im 19. Jahrhundert eigene Wissenschaften: Ethnologie und Anthropologie. Und einer der vorgeblichen Gründe, warum Gesellschaften aus der Geschichtsschreibung quasi aussortiert werden, ist, dass sie keine Schrift hatten. "Zum Beispiel immer noch Ranke – der ein bisschen als Referenz-Autor für die Art und Weise, wie man Geschichtsschreibung durchgeführt hat im 19. Jahrhundert, gilt – der sagt: Geschichte fängt erst an, wo glaubwürdige schriftliche Aufzeichnungen vorhanden sind oder Monumente, die noch lesbar und verständlich sind. Das ist für ihn das wissenschaftliche Kriterium. Das heißt, die Völker, die keine schriftliche Überlieferung haben, sind für ihn insofern kein Teil der Geschichte oder die stehen außerhalb der Geschichte."

Dabei geht es nicht allein darum, dass man Aufzeichnungen als grundlegend für das wissenschaftliche Arbeiten versteht. "Im Grunde geht es auch viel darum, dass sie ihre eigene Geschichte nicht geschrieben haben und insofern dieses Bewusstsein für eine eigene Geschichte nicht hatten."

Vorstellung von "afrikanischer Geschichtslosigkeit" existiert bis heute

Dieses Geschichtsverständnis liegt dann zum Beispiel auch zugrunde, wenn Hegel in seinen "Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte" über Afrika spricht: "Wir verlassen hiermit Afrika, um späterhin seiner keine Erwähnung mehr zu tun. Denn es ist kein geschichtlicher Weltteil, er hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was etwa in ihm, das heißt in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und europäischen Welt zu."

Diese Vorstellung der "afrikanischen Geschichtslosigkeit" stammt aus dem 19. Jahrhundert. Dass sie aber bis heute noch in europäischen Köpfen weiter existiert, zeigt eine Rede aus dem Jahr 2007, gehalten von Nicholas Sarkozy in Dakar.

"Das Drama Afrikas ist, dass der afrikanische Mensch nicht genug in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Ideal das Leben in Einklang mit der Natur ist, kennt nur die ewige Wiederkehr der Zeiten, deren Rhythmus die pausenlose Wiederholung der immergleichen Zeichen und Worte ist. In dieser Vorstellung, in der ständig alles von neuem beginnt, gibt es keinen Platz für die Ideen des Fortschritts oder das Abenteuer der Menschheit."

Als Reaktion auf die Rede haben afrikanische Historiker und Historikerinnen eine Essay-Sammlung zusammengestellt. Der Titel: "Kleiner Auffrischungskurs zur Afrikanischen Geschichte – Präsident Sarkozy gewidmet."

Die Moschee von Larabanga in Ghana stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert (imago stock&people/alimdi)

Eher von "afrikanischen Geschichten" sprechen als von "afrikanischer Geschichte"

"Zunächst einmal, wenn man von "afrikanischer Geschichte" spricht, dann ist das für mich schon mal ein großer Schritt." Das ist nochmal Hanza Diman, der Historiker aus Bayreuth. "Das ist ja sozusagen die Anerkennung, dass Afrika eine Geschichte hat – unabhängig davon, welche Periode man jetzt nimmt. Ob vor oder nach der Kolonisation – und unabhängig von den ganzen Schwierigkeiten, was die Quellen anbelangt... Allerdings finde ich, dass man eher von afrikanischen Geschichten sprechen sollte. Weil die sind natürlich sehr unterschiedlich – je nach Region."

Diman hat etliche davon kennengelernt, in Benin, wo er aufgewachsen ist und die Schule besucht hat. "Zuerst beginnen wir mit dem alten Ägypten. Ägypten und seine brillanten Zivilisationen – aber immer mit einem Bezug zwischen diesem alten Ägypten und den Staaten südlich der Sahara."

Später geht es dann um große Königreiche: um das mittelalterliche Ghâna, das nichts mit dem heutigen Ghana zu tun hat. "Das Königreich Ghâna zählt zu den ersten, großen Reichen in Westafrika. Ich glaube, seine Blütezeit hatte es im neunten und zehnten Jahrhundert." Er hört von den Reitertruppen im riesigen Reich Songhai, vom Königreich Soso, von den Dahomey.

Nur wenige Sätze bei Wikipedia zum afrikanischen Mittelalter

Afrika umfasst eine Fläche von mehr als 30.000.000 Quadratkilometern. Das ist ungefähr ein Fünftel der festen Erdoberfläche. Afrika ist größer als die USA, China, Indien, Japan und Europa zusammen. Die ältesten menschlichen Überreste stammen aus Afrika. Vor rund 50.000 Jahren bewegt sich der Homo sapiens von hier aus in die restliche Welt. Der Beginn der Menschheitsgeschichte. Aber immer noch wird diese lange Geschichte oft auf einen kleinen Teil reduziert – vor allem auf den Teil, in dem die Europäer mitspielen.

Im Wikipedia-Übersichtsartikel wird das afrikanische Mittelalter nur mit wenigen Sätzen erwähnt. Dort heißt es: "Zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert entwickelten sich im Gebiet des heutigen Mali mehrere mächtige, unabhängige Königreiche. Im 15. Jahrhundert wurde die Westküste Afrikas von Portugal aus erforscht."

Dabei gibt es durchaus mehr über diese Königreiche zu erzählen. Fauvelle: "Wir wissen, dass das Königreich Mâli im 14. Jahrhundert extrem mächtig war – und riesig. Es umfasste Gebiete der Sahelzone, vom Atlantik bis zum heutigen Niger. Vom Süden Mauretaniens, dem Norden Senegals, über das heutige Mali bis nach Timbuktu. Eine immens große Region."

Handschrift aus der Bibliothek Ahmed Baba in Timbuktu, Mali (imago stock&people)

Der Ursprung des Goldes im 14. Jahrhundert: Mali

Drei arabische Autoren haben Geschichten aus dieser Zeit überliefert. Im Vergleich zu anderen Epochen und Regionen haben wir deswegen etwas detailliertere Vorstellungen. "Wir wissen, dass Mali in dieser Zeit Gold und Sklaven in die arabische Welt und zum Mittelmeer exportierte. Das meiste Gold, das im 14. Jahrhundert im Mittelmeerraum, in der arabischen Welt und in Europa zirkulierte, kam aus Mali."

Es gab so viele Zwischenhändler, dass später niemand mehr wusste, wo das Gold eigentlich seinen Ursprung hatte. Zwei Könige regierten das Reich in dieser Zeit: König Mansa Musa und sein Bruder Suleyman, der ihm später auf den Thron folgte. "König Mansa Musa ist um 1320 herum nach Mekka gepilgert. Also er hat die Sahara durchquert, er hat einen Stop in Kairo eingelegt, ist dann weiter nach Mekka gereist und von Mekka wieder zurück in sein Land."

Mansa Musa soll diese Reise zusammen mit tausenden Personen gemacht haben. "Wahrscheinlich mit anderen Muslimen aus seinem Reich, aber auch mit Sklaven, um sie in Kairo zu verkaufen. Und eine Sache, die wir wissen ist, dass Musa Ladungen an Gold dabei hatte. Vermutlich mehrere Tonnen, um die Reise und die Ausgaben unterwegs zu bezahlen."

König Musa wird auch nachgesagt, dass er extrem großzügig gewesen sein soll. "Und mehrere Quellen berichten, dass der König derartig viel Gold ausgegeben hat, dass der Kurs des arabischen Dinars, der in Ägypten produziert wurde, für mehrere Jahre abgerutscht ist."

Der "Katalanische Atlas" von 1375 befindet sich heute in der französischen Nationalbibliothek (imago)

Der goldene König Mansa Musa im Katalanischen Atlas

Neben den arabischen Berichten, die Mansa Musa erwähnen, gibt es auch noch eine andere Quelle, die Musa und sein Königreich Mali aufgreifen. Zum Beispiel eine Karte aus dem Jahr 1375 - nach seiner Herrschaft. Die Karte trägt den Namen der "Katalanische Atlas" und befindet sich heute in der Nationalbibliothek in Paris. Sie wurde auf Mallorca angefertigt, von jüdischen Kartografen.

"Die waren zu diesem Zeitpunkt Meister der mittelalterlichen Kartografie. Und diese Karte repräsentiert die Welt – so wie man sie auf Mallorca im 14. Jahrhundert darstellen konnte. Und man sieht sehr gut den Raum rings ums Mittelmeer." Im Norden reicht die Karte bis nach Skandinavien. Und im Süden bis zur Sahelzone, bis nach Mali. "Da sieht man eine Figur, einen König, der sitzt und der in seiner Hand eine große Goldkugel hält. Das Symbol des Reichtums von Musa."

Eine Karte, die in Mallorca entstanden ist, zeigt uns also, dass der malische König und sein Reichtum im 14. Jahrhundert durchaus auch in Europa bekannt waren. François-Xavier Fauvelle sagt, wir müssen noch etwas genauer hinschauen und den Text lesen – denn die Karte ist beschriftet. "Der Text sagt uns, dass dieser König der mächtigste König aller Könige in dieser Region ist – durch den Reichtum an Gold, den er aus der Erde holt. Also, ja, man kann schon sagen, dass damals – nicht alle – aber einige Menschen im jüdischen und christlichen Europa von Mali und seiner Macht gehört hatten."

Ein weiteres Detail: Der Kartograf, der die Karte gezeichnet hat, wusste, dass sie ein Geschenk für den französischen König sein sollte. "Und dieser Kartograf hat den König von Mali mit einem Zepter dargestellt – mit einer Lilienblüte. Genau wie den französischen König. Also das ist wirklich interessant, dass da eine Art Symmetrie zwischen Europa und dem Sahel dargestellt wird."

Wo lag die Hauptstadt des Königreichs Mali?

"Und dann ist da auch noch alles, was wir nicht über das Königreich Mali wissen. Also wir wissen zum Beispiel nicht, wo die Hauptstadt lag. Wir haben sehr gute Informationen über das Stadtbild. Wir wissen, dass es dort einen Palast gab und eine Moschee. Wir wissen, wie Audienzen abgehalten wurden. Wir wissen, wie der König vom Palast in die Moschee ging und von der Moschee zu seinem Thron. Wir wissen viel über die Topografie. Allerdings können wir heute nicht mehr sagen, wo die Stadt damals lag."

Obwohl es also einige Schriftquellen gibt, die über Mâli berichten, hat auch diese Geschichte große Lücken: Was war vor dem 14. Jahrhundert? Was passierte danach? Warum verlor das Königreich irgendwann seine Macht? All das sind Fragen, die François Xavier Fauvelle, seine Kolleginnen und Kollegen gerne beantworten würden.

"Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist es, zusammen mit meinen afrikanischen Kollegen loszugehen und neue Quellen zu suchen. Also vor allem archäologische Überreste. Archäologische Reste sind ein sehr, sehr wichtiger Aspekt in unserer Forschung. Und jede neue archäologische Stätte verpflichtet uns, die existierenden Quellen noch einmal zu lesen."

Die Terrakotta-Skulptur eines Sitzenden stammt aus dem 13. Jahrhundert (imago/United Archives International)

Neue archäologische Funde könnten Antworten geben

Weil jeder neue Fund alle existierenden Dokumente und Reste wieder in ein neues Licht setzt. Die neuen Quellen, das können archäologische Funde sein. Oder Quellen, die noch darauf warten, mithilfe neuer Techniken erschlossen zu werden. Zum Beispiel gibt es Versuche, anhand der chemischen Zusammensetzung die Herkunft von Silber oder Gold nachzuvollziehen. François-Xavier Fauvelle hat Hoffnung, dass er und andere Archäologen oder Archäologinnen noch Neues herausfinden werden. Er sagt, ein extrem großer Fortschritt, wäre es, wenn sie zum Beispiel Reste der Hauptstadt Malis aus dem 14. Jahrhundert finden würden.

"Die Hauptstadt Malis würde uns Antworten auf viele Fragen geben. Die archäologische Stätte könnte uns bestätigen – oder auch nicht – ob die Informationen aus den arabischen Quellen stimmen. Die Entdeckung der Stadt Mali würde uns helfen zu verstehen, warum wir so lange Zeit nicht wissen konnten, wo sie liegt. Es würde uns auch dabei helfen, die Frage zu beantworten, wo die Hauptstadt Ghanas lag – 200 Jahre zuvor. Das würde uns helfen, mehr über die Umgebung und über die Gesellschaft Malis im 14. Jahrhundert zu erfahren. Also das wäre wirklich ein Puzzleteil, das uns helfen würde, weitere Puzzleteile zu finden. Und wir würden einen enormen Fortschritt machen, wenn wir diese Stadt finden würden."