Das Corpus Delicti ist meerblau und trägt einen goldenen Schriftzug. Das edle Döschen enthält feinsten Beluga-Kaviar aus bulgarischer Aquakultur, deklariert das Etikett. Das aber ist zweifelhaft, denn als Zuchtfisch ist der Beluga-Stör unbrauchbar. Der Verdacht: Ein wild lebendes Tier – eines der letzten seiner Art - ist Wilderern zum Opfer gefallen. Ein lebendes Fossil, das die Dinosaurier und fast alle anderen Tierarten des Planeten überlebt hat, droht ausgerottet zu werden für einen flüchtigen Gaumenschmaus.
Annika Vondenhoff: "Wir haben jetzt die Probe geöffnet und man sieht die schwarzen, gallertähnlichen Eier. Jetzt wird die Probe etwas homogenisiert und dann wird sie in die dafür vorgesehenen Probengefäße gegeben, damit wir die nachher im Weiteren aufarbeiten, das heißt gefriertrocknen können."
Die globale Naturplünderung ist zum Multi-Milliarden-Business geworden, der illegale Handel mit aussterbenden Tierarten zu einer ihrer profitabelsten Branchen. Massenschlachten, Wildern, Schmuggeln und Hehlen bleibt allzu häufig ungesühnt – auch hier, in Deutschland. Denn es gibt bis heute nur wenige anerkannte forensische Verfahren.
Anonymer Hinweis an die Medien
In der Szene der professionellen Störzüchter kursierten die Gerüchte über falsch deklarierten Kaviar seit Jahren, sagte die Telefonstimme. Die Wilderer-Ware stamme aus einer bulgarischen Aquakultur mit schlechtem Ruf, verkauft aber werde sie von renommierten Händlern in ganz Europa. Betroffen sei ausschließlich der extrem teure Rogen des Beluga-Störs – Kilopreis: bis zu 4000 Euro. Ein Beluga-Weibchen braucht mindestens 20 Jahre bis zur ersten Laichreife. Da kann der Marktpreis so hoch sein wie er will: Das ist für jeden Züchter ruinös. Es sei denn, er greift zu einem Trick. Die Störfarm in Bulgarien strecke ihren legalen Zuchtkaviar mit großen Mengen an illegalen Fischeiern, berichtet der Informant. Ein Zwischenhändler in Litauen besorge den Wildrogen direkt von den Wilderern am Kaspischen Meer. Ein illegales Produkt, vertrieben unter legalem Label: Ausgezeichnet mit dem Prüfsiegel des Washingtoner Artenschutzabkommens passiere die blutige Wildererware jede Behördenkontrolle – und das unbeanstandet seit vielen Jahren.
Annika Vondenhoff: "So, jetzt muss ich Stickstoff reinfüllen."
In der Raumwärme steigt eine eisige Dampfwolke empor: Biologielaborantin Annika Vondenhoff setzt das Reagenzglas mit dem schwarz-glänzenden Kaviar in die Halterung der Gefriertrocknungsanlage.
"HUS/C/BG ... " – so beginnt ein ellenlanger Buchstaben-Zahlen-Code auf dem Kaviardöschen: "huso huso - Beluga-Stör - gezüchtet in Bulgarien". Das soll den Kaviar rückverfolgbar machen. Das Etikett sieht unverdächtig aus. Doch ist auch drin, was drauf steht? Nach den Hinweisen des Informanten soll der Isotopen-Test Klarheit bringen.
Die privat geführte Agroisolab GmbH mit Sitz im westfälischen Jülich ist das einzige Labor in ganz Europa, das die Begutachtung von Stör-Kaviar mit Hilfe der Isotopenanalyse anbietet. Das Kaviarkataster hat sie im Auftrag des Zolls und des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung aufgebaut. Im Jahr 2013 erzielten die Zollfahnder einen ersten Fahndungserfolg: Sie überführten einen angeblichen Störzüchter, der gewilderten Kaviar als legale Zuchtware verkauft hatte: ein Jahr Haftstrafe. Markus Boner, Laborgründer und Inhaber, stand dem Richter während des Prozesses Rede und Antwort.
Markus Boner: "Wir haben also die Grafiken aufgezeigt, dass wir aus der kaspischen Region, aus Europa direkte Referenzen haben. Und es ist in diesem Fall ein Präzedenzfall. Das war der Einstieg erstmalig, dass die Kaviardatenbank auch vor Gericht verwendet worden ist."
Legaler Zuchtrogen oder illegaler Wildrogen?
Diese Frage sollen die Massenspektrometer beantworten, die in einer lichtdurchfluteten Halle vibrieren. Ein Millionen-schwerer Hightech-Park für die Aufklärung eines Verbrechens an einem Fisch.
Von den Behörden wird Störkaviar üblicherweise per Gentest kontrolliert. Der aber klärt nur Verwandtschaftsverhältnisse. Der Isotopentest dagegen liefert Informationen über den Lebensraum des Fisches. Die Elemente Wasserstoff, Schwefel, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Stronzium kommen mit leichten und schweren Atomkernen vor, den sogenannten stabilen Isotopen – und deren Verteilung variiert in den verschiedenen Lebensräumen.
Markus Boner: "Wir stellen diese Probe hier rein. Sie sehen, dass das Gerät hier arbeitet. Und das ist die Wasserprobe, die wir erhalten haben aus der Gefriertrocknung. Sehr sehr klar und sauber."
Und da, an diesem Gerät wird das Wasserstoffisotopenverhältnis bestimmt. Die Probe ist hier eingestellt worden, ist einprogrammiert worden. Und jetzt laufen die Messungen ab. Dass der hier, der Autosampler - wir werden es gleich hören - sich die Probe nimmt und in diesen Injektor injiziert. Und hier dann die Isotopenverhältnisse nur für Wasserstoff bestimmt.
Wurde der Stör tatsächlich in einem Zuchtbecken gehalten, oder ist er im Wasser des Kaspischen Meeres geschwommen? Hat er von Industriefutter gelebt, oder von dem reichhaltigen Speiseplan einer natürlichen Umgebung? Die molekulare Signatur der Kaviarprobe kann später mit den Werten aus dem Kaviarkataster verglichen werden.
Markus Boner: "Das Fett wird untersucht auf Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff. Fett ist nichts anderes als ein Memory der Nahrung. Wir bauen ja Fett über eine gewisse Zeit auf. Und Wasser enthält ja nur Sauerstoff und Wasserstoff. Entsprechend sind das regionale und großräumige Trennfaktoren."
Behörden werden aktiv
Kann die innovative forensische Methode das fehlende Glied in der Beweiskette liefern, das die Schlupflöcher für Wildererware nach Europa schließt? Nach dem anonymen Hinweis des Informanten haben der Deutschlandfunk und Der Spiegel mehrfach Analysen bei Agroisolab in Auftrag gegeben. "Herkunft aus Europa (Bulgarien) auszuschließen. Herkunft aus der Region kaspisches Meer (insbesondere Kasachstan) möglich bzw. gegeben", schreibt Markus Boner in seinem Gutachten über zwei von ingesamt fünf getesteten Kaviarproben, beide Male handelte es sich um den extrem teuren Beluga-Kaviar. Jetzt werden in Hamburg auch die Behörden aktiv.
Karmenu Vella: "Normalerweise sagen wir, Vorsorge ist viel besser als Nachsorge. Aber in diesem Fall existiert nicht einmal eine Nachsorge. Und so bleibt uns nur ein Ausweg: Wir müssen dieses Verbrechen bekämpfen, um ihm vorzubeugen. Europa darf weder Quelle, noch Transitland noch Zielmarkt für illegal gehandelte Wildtiere sein. Die Europäische Union sollte ein Teil der Lösung sein, und nicht ein Teil des Problems. Dieses organisierte Verbrechen muss mit derselben Ernsthaftigkeit verfolgt werden wie der Waffen- und der Drogenhandel."
Im Februar 2016 tritt Karmenu Vella, zuständiger EU-Kommissar für Umwelt und Fischerei, vor die Presse. Er kündigt einen Aktionsplan an gegen den dramatisch wachsenden Handel mit Tieren und Pflanzen, die illegal der Wildnis entnommen wurden: Interpol schätzt den Jahresumsatz auf bis zu 23 Milliarden US-Dollar jährlich.
Die Vereinten Nationen haben die neue kriminelle Boombranche juristisch als "schweres Verbrechen" hochgestuft – gleichrangig mit Drogen-, Waffen- und Menschenhandel. Die europäische Justizbehörde Eurojust hat ihre Mitgliedsstaaten befragt, denn Europa gilt als wichtiger Absatzmarkt. Dort teilen die Artenschutz-Beauftragten die Sorge und liefern viele Erklärungen: Gesetzeswirrwarr, schwierige internationale Zusammenarbeit, kleine Budgets, wenig Personal – und immer wieder die schwierige Nachweisbarkeit von Straftaten. Eurojust schlussfolgert:
"Es ist ein verblüffendes Paradox: Auf internationaler Ebene wächst die Bereitschaft, Umweltverbrechen als schwere Verbrechen anzuerkennen, die grenzüberschreitend und oft in Verbindung mit Bandenkriminalität verübt werden. Die Kriminalstatistik der Mitgliedsstaaten jedoch spiegelt dieses in keiner Weise wieder. [...] Von Seiten der Behörden scheint es einen Mangel an Ernsthaftigtkeit bei der Strafverfolgung von Verbrechen zu geben, deren Opfer keine Stimme haben."
Interpol und Europol warnen vor ausgeufterter Artenschutzkriminalität
Fünf Verkaufshallen, Hunderte Anbieter, vier Veranstaltungstermine pro Jahr – das ist die "Terraristika". Die nach eigenen Angaben weltgrößte Börse für Terrarientiere lockt Zehntausende Exotenliebhaber aus ganz Europa in die Ruhrgebietsstadt Hamm. Pythons aus Indonesien, Chamäleons aus Madagaskar, Leguane aus Mexiko: In den Zentralhallen ist es eng und stickig. Massen von Menschen schieben sich zwischen aufgeständerten Terrarien hindurch und lassen ihre Blicke über Plastikbehälter mit starren Echsen wandern.
Klapperschlangen, Vipern, Kobras und Vogelspinnen werden in einem separaten "Giftraum" feilgeboten. Die Artenschutzauflagen, so scheint es, werden eingehalten. Jeder Verkaufsbehälter trägt einen Aufkleber, auf dem der Schutzstatus des angepriesenen Tieres vermerkt ist.
Sandra Altherr hat auf der Terraristika Hausverbot. Die Gründerin und Leiterin der Organisation ProWildlife hat ihren Wagen in einer Seitenstraße geparkt und wartet auf Nachricht von ihren Informanten. Diese sind gerade in den Zentralhallen unterwegs, um zu prüfen, ob sich nicht doch der ein oder andere Schmuggler unter die Händler und Züchter gemischt hat, der seine Profite mit aussterbenden Arten macht. Die Artenschützerin beobachtet die Szene seit Jahren, sie hat ganz bestimmte Tierhändler in Verdacht.
Sandra Altherr: "Hier zu den offen registrierten Anbietern gehören Leute, die sind in anderen Ländern vorbestraft wegen Reptilienschmuggels. Die kommen kurz nach ihrer Verurteilung hierher und verkaufen just geschützte Tiere aus diesen Ländern. Weil sie die Tiere vorher schon per Päckchen außer Landes geschafft haben. Und da wird nichts gegen unternommen. Die sind hier ganz offiziell Verkäufer."
Tatsächlich entdecken die Mitarbeiterinnen Dornschwanzagamen aus dem Oman, Berg- und Puffottern aus Südafrika, Saumfingerechsen aus Mittelamerika und andere seltene Tiere, die in ihren Heimatländern gesetzlich geschützt sind. Auf der Terraristika aber werden sie offen unter den Augen der Behörden gehandelt. Schuld ist eine Gesetzeslücke: Wenn eine Spezies nach EU-Recht frei handelbar ist, dann gilt sie als legal - auch dann, wenn Naturentnahme und Export im Herkunftsstaat streng verboten sind. Für Wilderer und Tierschmuggler ist das ein Freifahrtschein, warnt Sandra Altherr seit Jahren. Doch erst seit auch Interpol und Europol vor der ausgeufterten Artenschutzkriminalität warnen, kommt Bewegung in die Diskussion.
Sandra Altherr: "Also definitiv sehen wir, dass da seit zwei, drei Jahren wirklich ein Umdenken passiert in der EU. Artenschutzdelikte werden ernst genommen, es gibt jetzt politische Beschlüsse auf höchsten Ebenen, dass die Regierungen wirklich gegen Wilderei kämpfen wollen. Natürlich ist die Diskussion erstmal fokussiert auf Elfenbein, auf Tiger, auf Nashorn, also die großen charismatischen Arten. Aber das Problembewusstsein wächst, dass das weit über Elfenbein hinausgeht, der Tierschmuggel."
Die Betrugsmasche ist immer dieselbe: Oft reicht es schon aus, das Tier als "Nachzucht" zu deklarieren, dann scheitert der Strafvollzug an gerichtstauglichen Nachweisverfahren. Denn wer sollte einem betrügerischen Händler das Gegenteil beweisen, wenn er einen illegalen Wildfang mit selbst ausgestelltem Zuchtbeleg und phantasievoller Herkunftsgeschichte als legale Nachzucht deklariert?
Sandra Altherr: "Früher konnten wir im Verdachtsfall Parasitenanalysen machen, da wurde geguckt: Haben die Zecken, haben die Würmer und andere Parasiten? Und inzwischen sind die Händler gewieft – die lernen ja auch dazu. Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Inzwischen lassen sie die Tiere noch im Herkunftsland entwurmen, behandeln die, so dass hier der Nachweis fast nicht mehr möglich ist. Und jetzt geht es in die nächste Stufe, jetzt muss geschaut werden, kann man DNA-Analysen machen, da braucht man Vergleichstiere, das ist schwierig. Und die neueste Entwicklung ist Richtung Isotopenuntersuchung."
Die in Vietnam heimische Krokodilschwanzechse. Es gibt höchstens noch 150 wild lebende Exemplare. (imago )
Das Reptilienhaus im Kölner Zoo. Thomas Ziegler, Zoologe und Leiter des Südostasien-Teams, steht nachdenklich vor dem Terrarium mit einer Burmesischen Landschildkröte. Das wertvolle Tier kam an einem Wintertag im Dezember 2011 in die Obhut des Reptilienhauses – als Opfer des lukrativen Schwarzmarktes für exotische Haustiere. Im räumlichen Umfeld der Terraristika findet illegaler Reptilienhandel vermutlich in großem Stil statt, lassen Polizeimeldungen vermuten – in Hotelzimmern und auf Parkplätzen. An dem Dezembertag beging die Zoo-Belegschaft gerade ihre Betriebsweihnachtsfeier. Plötzlich kam ein Anruf, der Polizeibeamte bat Ziegler dringend, in ein Hotel zu kommen. Dort würden Schlangen und Echsen über die Flure kriechen. In einem der Zimmer habe man eine Gruppe Tierhändler aus Asien mit rund 700 Reptilien ohne Begleitpapiere aufgegriffen.
Vom Flughafenzoll in den Zoo
Thomas Ziegler: "Die waren ja auf der Durchreise, so wie es schien, nach Hamm, und haben in Köln Zwischenstation gemacht. Ja, das ist schon Tierquälerei. Die waren zum Teil in kleinen Plastikschälchen verpackt. Und einige Tiere waren auch schon tot, als wir die Koffer aufgemacht haben. Und das große Sterben kam dann aber erst danach. Und das zeigt eben auch, wie brutal dieser illegale Tierhandel ist, weil die auf dicht gedrängtem Raum untergebracht sind. Und das stecken die nicht weg."
Ein Gang durch das Reptilienhaus offenbart das Drama des ausgeuferten Schwarzmarktes für aussterbende Arten. Hier stammen Dutzende geschützte Tiere aus Beschlagnahmungen: vom Flughafenzoll aus Rucksäcken, Plastikröhrchen und Socken gezogen oder beschlagnahmt von dubiosen Händlern, die die nötigen Papiere nicht vorweisen konnten.
Vor einem der Terrarien bleibt Ziegler stehen. Im simulierten Halbdunkel eines Regenwaldes plätschert ein Rinnsal. Es ist das liebevoll nachgestaltete Habitat des vietnamesischen Dschungels - doch wo ist der Bewohner? Es braucht einige Sekunden, um die schlanke Echse zu entdecken. Graugrün wie ein moosbewachsener Felsen sitzt sie mitten im Terrarium.
Thomas Ziegler: "Das ist eines meiner Lieblingsbecken. Wir haben hier auf zirka zwei Quadratmeter einen Wasserfall, Steine, Pflanzen. Aber man sieht das Tier nicht auf den ersten Blick. Und das zeigt eben auch, wie schwierig die Forschung im Freiland ist. Und das sind auch die Bedingungen, unter denen wir in Vietnam arbeiten müssen - wenn wir da die Bergbäche hochklettern, um Shinisaurus nachts zu finden. Das ist nicht ganz ungefährlich, und man muss wirklich sehr aufwändig mit der Kopflampe wirklich überall hinleuchten, um mal Tiere finden zu können."
Shinisaurus crocodilurus, die Krokodilschwanzechse, zählt zu den prominentesten Bewohnern des Reptilienhauses. Die seltene Spezies war lange Zeit nur aus China bekannt – bis Thomas Ziegler vor einigen Jahren eine weitere Population in Vietnam entdeckte. Heute gibt es dort höchstens noch 150 wild lebende Exemplare. In China dürften es kaum mehr sein. Während der Weltartenschutzkonferenz in Johannesburg im Herbst 2016 wurde das Reptil dank Zieglers Gutachten unter den strengsten Status des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES gestellt. Und mehr noch: Shinisaurus crocodilurus war damals das Aushängeschild eines Forschungsprojektes, das sich für die Artenschutzforensik als wegweisend erweisen könnte.
Mikroskope, Rechner, Messgeräte: Im Biozentrum der Universität zu Köln hat die Biologin Mona van Schingen viel Zeit verbracht. Gerade hat sie als Doktorandin von Thomas Ziegler ihre Promotion abgeschlossen.
Mona van Schingen: "Also was wir hier im Moment haben sind ... Das sind Shinisaurus-Proben. Es handelt sich hierbei um Speichelproben. Und hier wollen wir jetzt, anders als bei den Isotopen, herausfinden, ob es sich um chinesische oder um vietnamesische Unterarten handelt. Das sind alles Proben von Tieren, die aus verschiedenen Zoos oder Privathaltung stammen. Und hier soll jetzt erstmal die Herkunft bestimmt werden, um dann eben auch die Haltungsbedingungen anzupassen."
Wattestäbchen mit Echsenspeichel
Der gleiche Gentest, der beim Menschen eine Vaterschaft nachweist, soll bei den getesteten Tieren die Population bestimmen, aus denen sie stammen. Das soll verhindern, dass die Züchter unabsichtlich die chinesische und die vietnamesische Unterart kreuzen - eine wichtige Maßnahme für die Reinhaltung der Zuchtlinien. Für eine Überführung von Tierschmugglern, sagt Mona van Schingen, taugt ein solcher Gentest allerdings nur bedingt.
Mona van Schingen: "Ja, das Problem beim DNA-Test ist, dass man ja nicht wirklich Aussagen darüber treffen kann, wo ein Tier sich jetzt letztendlich aufgehalten hat, und ob es wirklich aus der Wildnis kommt oder nicht. Diese Information bekommt man halt wirklich nur über diese Isotopenanalyse, das ist ja das Alleinstellungsmerkmal dieser Methode. Man braucht halt immer die beiden Elterntiere, um mit einem Vaterschaftstest herauszufinden, ob es sich um Nachzuchten handelt. Und dann weiß man immer noch nicht, ob nicht vielleicht alle drei Tiere gerade der Wildnis entnommen worden sind."
Dutzende Proben von Blattwerk und Futterinsekten, sorgfältig beschriftet und in Glasröhrchen aufgereiht, liefern die Grundinformationen über die molekulare Signatur des Lebensraums. Mona van Schingen hat sie während ihrer zahlreichen Forschungsreisen nach Vietnam selbst gesammelt.
Mona van Schingen: "Wir trocknen die, wir zermahlen die. Dafür kommen sie hier in diese Gefäße und werden dann in dieser Mühle gemahlen. Und die fertigen, eingewogenen Proben werden dann eingeschickt. Und dann kommen die in Massenspektrometer. Ja, und dann weiß man die Signatur. Da sitzt jetzt die Probe drin. Da drin sind auch noch ein paar Kugeln, die dann bei dem Mahlen helfen."
Wird man künftig anhand einer Hautschuppe nachweisen können, ob die Echse im Dschungel oder im Terrarium aufgewachsen ist? Noch ist die Isotopendatenbank für Shinisaurus crocodilurus in der Entwicklungsphase. Die ersten Analysen aus dem Jülicher Isotopenlabor Agroisolab stimmen optimistisch: In 20 von 20 Testfällen konnte die Herkunft der Tiere anhand der Isotopenzusammensetzung in der Reptilienhaut mit großer Sicherheit bestimmt werden. Deutlich mehr Sorgen bereitet der Biologin etwas anderes: Die Isotopendatenbank könnte zu spät kommen.
Mona van Schingen: "Wir hatten letztes Jahr das Beispiel, dass ich in ein Dorf kam, in dem es in den vorigen Jahren noch einige Tiere gab, und die Einheimischen mir dann erzählt haben, dass ich leider zu spät komme. Dass eine Woche vorher schon ein chinesisches Team vor Ort war und den kompletten Bestand abgesammelt hat."
Je bedrohter eine Art, umso lukrativer das Geschäft, was wiederum den Druck auf die Ökosysteme weiter verstärkt.
Mit der flächendeckenden Kontrolle über die Einhaltung der Handelsbeschränkungen laut Artenschutzabkommen ist in Deutschland ein vielköpfiger Beamtenapparat beauftragt, der Zuchtbescheinigungen, Export- und Importpapiere ausstellt. In der Strafverfolgung dagegen ist noch nicht viel zu spüren von der neuen politischen Entschlossenheit. Die meisten Fälle von Artenkriminalität werden nach wie vor als Steuerdelikt behandelt, und die traditionelle Beweisführung erweist sich vor Gericht meistens als zu schwach, um Täter zu überführen. Inzwischen aber kommen aus der Forschung neue Impulse, meist stammen sie von Einzelkämpfern an Instituten, Privatlabors, Zoos oder Nichtregierungsorganisationen.
Labor für Abstammungsbegutachtungen
Auch in der forensischen Genetik gibt es Fortschritte. In Leipzig arbeiten Forscher derzeit an einer DNA-Datenbank, die die Herkunft von Waranleder in der Modeindustrie rückvollziehbar machen soll. Und in Frankreich soll die Genmethode bedrohte Froscharten vor dem Delikatesshandel schützen. Das "Labor für Abstammungsbegutachtungen" im Technologiezentrum in Rheinbach, nahe Bonn, zählt in der Minibranche der Artenschutz-Forensiker zu den Alteingesessenen.
Die Asservatenkammer quillt über mit Beweisstücken aus zwei Jahrzehnten. Die Genetikerin Sophia Forat zieht einen schwarzen Schal aus dem Regal: ein edles Kleidungsstück, an den Rändern mit einer filigran gestickten Borte verziert. Es ist das Corpus Delicti ihres letzten Falles.
Sophia Forat: "Das ist einmal dieses Dunkle, es ist ganz hübsch. Und an dieser Stelle habe ich die Probe entnommen. Hier, da fehlt schon ein großes Stückchen, was wir analysiert haben. Also könnte man schon ruhig tragen, wenn es jetzt nicht abgeschnitten wäre."
Der Stoff ist luftig wie Seide, schmiegsam und weich: 100 Prozent Kaschmir, deklariert der Hersteller. Doch auch bei hochpreisigen Artikeln müssen die Angaben nicht stimmen. Ein Schweizer Modehändler, der seinem Lieferanten aus Südostasien misstraute, hat den Schal zur Analyse eingeschickt. Seine Vermutung: Es könnten Bestandteile der geschützten Tibetantilope enthalten sein.
Sophia Forat winkt, ihr zum Computerarbeitsplatz zu folgen. Auf dem Bildschirm ist die schematische Darstellung dreier unterschiedlicher DNA-Sequenzen zu sehen: Hausziege, Kaschmirziege und Tibetantilope. Jede hat in ihrem Erbmaterial einen spezifischen Fingerabdruck aus den genetischen Buchstaben A, C, G und T.
Sophia Forat: "Wenn wir uns diese Stelle hier angucken, dann sehen wir, dass an dieser Stelle die Hausziege ein A hat, die Kaschmir-Ziege hat auch ein A, aber die Tibetantilope hat an der Stelle ein G. Und all diese bunten Stellen sind Unterschiede. Unterschiede zwischen der Tibetantilope und der Kaschmirziege."
Tibetantilope – eine streng geschützte Art, die in den Steppen des tibetanischen Hochplateaus heimisch ist. Die Tiere werden wegen ihres warmen Fells gewildert, bis zu fünf Antilopen müssen ihr Leben lassen für einen einzigen traditionellen Shatoosh-Schal. Auch der Schal aus dem Schweizer Modehaus besteht zu 16 Prozent aus der Wolle der bedrohten Antilope, hat die Genanalyse ergeben. Dieses eindeutige Ergebnis freut Sophia Forat, denn der Auftrag war mehr als komplex. Allein um aus der chemisch vorbehandelten Wolle genügend unbeschädigte DNA zu isolieren, musste sie tief in die genetische Trickkiste greifen.
Sophia Forat: "Sie wird gewaschen, sie wird getrocknet. Für die Vorbereitung von den Fasern muss man die Wolle auch bleichen. Man färbt sie auch ein. Und all diese Verfahren wirken sich sehr negativ auf die DNA aus. Deswegen verwenden wir hier bei dem Verfahren schonmal eine DNA, die viel unempfindlicher ist als die Kern-DNA, die mitochondrielle DNA. Und der Vorteil davon ist: Hier haben wir 100- bis 1000-fache Kopienanzahl pro Zelle."
DNA aus den Mitochondrien: Genmaterial aus der Peripherie der Zelle, das die Genetikerin in einem weiteren Schritt millionenfach vervielfältigen musste. Doch der mühsamste Teil des Auftrags folgte, als das Analysematerial längst erzeugt war: Vergleichswerte von Kaschmir-Wolle lagen der Genetikerin vor, Vergleichswerte vom Fell der Tibetantilope nicht. Laborleiter Klaus Olek kennt das schon: Bei Gentests im Bereich des Artenschutzes stehen Aufwand und Ertrag oft in keinem Verhältnis.
Klaus Olek: "Sie müssen Vergleichsmaterial haben! Und das war ein Problem, denn es gibt in keinem Zoo auf der Welt Tibetantilopen. Und dann haben wir mit dem Naturkundemuseum in Berlin verhandelt, und die hatten Material aus den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Das hat aber als Vergleichsmaterial gut funktioniert."
Immerhin hat das Umweltministerium dem "Labor für Abstammungsbegutachtungen" gerade einen Großauftrag in Aussicht gestellt: Für 150 geschützte Spezies, die in Deutschland heimisch sind, soll Klaus Olek eine genetische Datenbank erstellen, um Nachzuchtprogramme zu managen, Zuchtlinien rückvollziehbar und so die Strafverfolgung effektiver zu machen. Doch wenn es darum geht, die Schmuggler tatsächlich dingfest zu machen, fürchtet Olek, dann hapert es den Behörden oft nicht nur an Daten, Fachwissen und Geld.
Klaus Olek: "Ich glaub fast, das ist mehr ein mentales Problem bei den eigentlichen Verantwortlichen. Und die, die wollen einfach nicht. Die können auch im Moment nicht, aber man könnte können, wenn man wirklich wollte."
Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz sind in den vergangenen fünf Jahren rund 30 Strafverfahren im Bereich Artenschutz mit einer Gerichtsentscheidung abgeschlossen worden. In der Regel seien Geldstrafen verhängt, Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt worden.
Der Fall, den vor zwei Jahren ein Informant aus der Szene der Störzüchter ins Rollen brachte, hätte da ein Zeichen setzen können: Der Kaviar-Schmuggel, die Störwilderer am Kaspischen Meer und die Machenschaften von osteuropäischen Netzwerken im kaufkräftigen Westeuropa – das ist Artenschützern wie Behörden seit langem ein Dorn im Auge.
Mehrere Gutachten des Jülicher Isotopenlabors Agroisolab hatten 2015 den Anfangsverdacht des Informanten bestätigt. Im Feinkostregal eines Hamburger Kaviarhändlers fand sich unter dem Prüfsiegel des Washingtoner Artenschutzabkommens anstatt des deklarierten Zuchtkaviars Rogen von gewilderten Beluga-Stören.
Was ist aus den Ermittlungen geworden?
Die Hamburger Staatsanwaltschaft teilt mit: "Die übersandten Unterlagen wurden mit einer Vertreterin der zuständigen Umweltbehörde erörtert. Danach ließ sich nicht begründen, weshalb der Händler von einer Herkunft des Kaviars außerhalb der EU Kenntnis gehabt haben soll. Somit entfiel der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit wegen Steuerhehlerei und die hiesige Ermittlungsgrundlage."
Der äußere Anschein der Ware erweckte nicht den Eindruck der Illegalität. Das hat der Hamburger Staatsanwaltschaft als Grund genügt, die Vorermittlungen einzustellen. Auch eine internationale Ermittlung wegen möglicher organisierter Artenkriminalität kam nicht in Betracht.
Eine Tierart, die von der Ausrottung bedroht ist; ein mutmaßlicher internationaler Schmugglerring; eine falsche Luxusdelikatesse, die womöglich europaweit auf dem Markt ist; ein wissenschaftlichen Gutachten, das den Verdacht erhärtet – aber keinerlei kriminalistische Ermittlung. Der Fall des falsch deklarierten Beluga-Kaviar wird ohne Rechtsfolgen bleiben – für die Wilderer und Schmuggler im Osten ebenso wie für ihre Profiteure im Westen.
Es sprachen: Bettina Kurth, Oliver Nitsche, Robert Frank; Ton: Peter Seifert; Regie: Friederike Wigger; Redaktion: Christiane Knoll
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2017