Durch das Virus erleben wir, wie anfällig unsere Zivilisation für Infekte unserer Körper, Medien, Unternehmen und Computer ist. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das auch eine Chance. Denn die Stärkung des gesellschaftlichen Immunsystems schafft attraktive Märkte. Hygiene-Innovationen dürften noch lange relevant bleiben. Nachhaltiger wirkt der Animal-Turn. Er verlangt, die Rechte und Fähigkeiten der Tiere ernst zu nehmen. Ein veganerer Planet scheint langfristig unvermeidlich – um die Schäden des Klimawandels zu mindern und neue Zoonosen zu unterdrücken. Der Vegan-Trend ist auch für die symbolkräftigen Schoggi- und Käse-Exporte wichtig. Es geht um Megamärkte. Der Wert des Haferdrinks Oatly wird schon jetzt auf 10 Milliarden Dollar geschätzt.
Zirkularität ist die zu den Clusterfucks des 21. Jahrhunderts passende Innovationsmaxime. Sie umfasst mehr als die Kreislaufwirtschaft, die Abfälle als Ressourcen versteht und das Verbrennen von Biomaterial (Verpackungen, Knochen, Plastik aller Art) um jeden Preis verhindern will. Zirkuläre Innovation verknüpft zudem Mensch, Tier und Maschine (zum Beispiel durch den Respekt der Biodiversität oder das Nutzen spezifischer Stärken von Mensch, Tier und Maschine). Sie vernetzt Datenquellen und wissenschaftliche Disziplinen. Vor allem aber verbindet sie Vergangenheit und Zukunft. Zirkuläre Innovation verlangt, die Geschichte von Innovationen aufzuarbeiten und die Folgewirkungen des Neuen schon im Moment des Erfindens zu antizipieren.
Nicht Lockdowns sind das ökonomische Problem, sondern fehlende Agilität. Es gibt wenige Angebote, die nicht pandemiekonform verkauft werden könnten – und diese wenigen Ausnahmen sollten staatlich entschädigt werden. Angebote, die neu erfunden werden könnten, sind Shopping (in eLäden), Vorträge (als Online Konferenz), Restaurantbesuche (als Delivery Service), die Psychotherapie (als Zoom-Meeting) und das Museum (als Online-Besichtigung). Natürlich ist das Erlebnis nicht dasselbe, aber darum geht es nicht. Es geht darum, Bedürfnisse neu zu befriedigen, die Geschäftsmodelle zu flexibilisieren beziehungsweise anzupassen – und vor allem darum, mit bestehenden Netzwerken, Ressourcen, Fähigkeiten und Daten neue Erträge zu generieren. Die Pandemie stärkt Innovatorinnen und Innovatoren sowie Unternehmen, die sich seit Jahren an hoher Qualität orientieren.
Jede Innovation wird irgendwann zum Problem. Das erste Gefahrenpotenzial besteht darin, dass Innovationen zu Nebenwirkungen führen, die nicht oder nur ungenügend berücksichtigt wurden. Vielleicht wurden sie auch bewusst verdrängt oder konnten im Moment der Einführung nicht vollständig antizipiert werden (wie Superbugs in Folge zu häufig auch in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika). Das zweite Gefahrenpotenzial ist unauffälliger aber vielleicht gefährlicher. Es besteht darin, dass das Festhalten an alter Innovation („Neue Technologien“ wie Fax und Auto, Ertragsmodelle, Menschenbilder) das Neue behindert. Auch das, was wir jetzt als innovativ feiern, wird irgendwann zum Problem. Das Dümmste was Unternehmen also jetzt tun können, ist abzuwarten. Denn früher oder später werden ihre heutigen Produkte, Prozesse und Weltbilder zu Stolpersteinen.
Joël Luc Cachelin berät, begleitet und inspiriert Unternehmen auf dem Weg in die Zukunft. Er hat promoviert an der HSG zur Zukunft des Managements, gegenwärtig studiert er Geschichte an der Universität Luzern. Soeben bei Stämpfli erschienen ist sein neues Buch Antikörper – Innovation neu denken.