Die Schlangenfängerin - Schwarze Mamba in der Greifzange

Die Reportage / Archiv

| Beitrag vom 31.01.2021

Die Schlangenfängerin

Schwarze Mamba in der Greifzange

Von Laura Salm-Reifferscheidt

Die Schwarze Mamba ist gefangen und wird nun von Thea Litschka-Koen und Bongani Bheki Myeni in Sicherheit gebracht. (Nyani Quarmyne/Panos Pictures)

Jedes Jahr sterben weltweit rund 140.000 Menschen an Schlangenbissen, viele Hunderttausend tragen bleibende Schäden davon. Eine mutige Frau im südlichen Afrika rettet Menschen vor Schlangen, aber auch Schlangen vor Menschen.

"Ich hoffe, meine Greifzange ist im Auto. Ich arbeite nicht gerne mit anderen Zangen. Die letzten zwölf Jahre habe ich immer dieselbe benutzt. Sie passt wie angegossen in meine Hand. Ich will keine andere."

Thea Litschka-Koen sammelt ihre Ausrüstung zusammen: Schlangenhaken, Gummistiefel, einen großen schwarzen Eimer. In gelber und roter Schrift steht "Danger! Venomous Snakes, do not open!" darauf – Gefahr, Giftschlangen, nicht öffnen. Nur ihre Greifzange kann die 52-Jährige mit blonder Kurzhaarfrisur und wachen Augen nirgendwo finden. Sie läuft aus ihrem Büro zur Rezeption gleich gegenüber.

Notruf aus einem Schuppen

Thea und ihr Mann Clifton sind Manager des Simunye Country Clubs, einem Hotel im Nordosten Eswatinis. Das kleine Königreich, eingequetscht zwischen Südafrika und Mosambik, ist besser bekannt als Swasiland, 2018 benannte König Mswati III. das Land aber um. Das Hotel liegt inmitten von sattgrünen Zuckerrohrplantagen, eine der wichtigsten Einnahmequellen Eswatinis. Vor allem am Wochenende füllt es sich mit Mitarbeitern der Zuckerfabrik. Ihre Kinder toben im Pool, sie selber entspannen sich im blühenden Garten.

Ein schlanker, junger Mann stößt hinzu. Thea stellt ihn als Bongani vor. Er ist Lagerverwalter für das Hotel. Doch heute sind die beiden nicht auf dem Weg, um Vorräte zu kaufen, sondern um eine Schlange zu fangen.

"Ich mache diese Arbeit schon seit sechs oder sieben Jahren. Am Anfang war es echt schwierig. Da überkam mich die Angst und ich habe jedes Mal gezittert, wenn ich eine Schlange gefangen habe. Jetzt ist es für mich eher wie ein Spiel, ein Hobby. Ich muss die Schlangen nur mit Respekt behandeln und darf sie nicht als meine Freunde sehen."

Im Kofferraum ihres Autos findet Thea dann auch ihre Greifzange. "Diese Greifzange hat schon mehr als tausend Schwarze Mambas gefangen!" In einem weißen Geländewagen holpern Thea und Bongani über die unebene Asphaltstraße Richtung Süden. Es geht vorbei an Ziegen und Kühen, die am Wegesrand grasen, und an vereinzelten Siedlungen.

Thea hat einen Anruf von einem Mann bekommen, dessen Vater in seinem Schuppen eine große Schlange gesehen hat. Der Sohn wollte das Reptil gleich töten, doch dann hat ihn der Mut verlassen.

"Das ist gut so, weil wir jedes Jahr Leute begraben, die glauben, sie müssen eine Schwarze Mamba angreifen. Aber eine zwei bis drei Meter lange Schwarze Mamba bewegt sich unglaublich schnell und sie schlägt auch genauso schnell zu."

Außerdem liegt Thea viel daran, dass keine Schlangen getötet werden. Nur sieben der 63 Arten, die in Eswatini heimisch sind, sind eine Gefahr für den Menschen.

Schlangen sind gefährlich, aber nützlich

Das Duo fährt von der Hauptstraße ab, auf eine staubige rote Erdpiste in Richtung einer Hügelkette, die Eswatini von Mosambik trennt. Die trockene Landschaft wird einsamer, die Häuser immer einfacher. Perfektes Schlangenland, sagt Thea.

"Sieh mal, jedes Gehöft hier hat auch Vieh und jedes Gehöft hat Hühner, und die ziehen die Schlangen an."

Genau genommen sind es nicht die Nutztiere der Kleinbauern hier, die die Schlangen anziehen, sondern ihr Futter lockt Ratten und Mäuse an. Und die wiederum stehen auf dem Speiseplan von Schlangen.

Gefährliche Feldarbeit: Zuckerrohrfelder sind beliebte Rückzugsräume von Schlangen. (Nyani Quarmyne/Panos Pictures)

Als Thea und Bongani schließlich vor einem einfachen Gehöft vorfahren, warten Elias Msibi, ein 88-jähriger Bauer mit einem gelben Bauhelm auf dem Kopf, und sein Sohn Goodwill bereits auf sie. Die beiden stehen vor einem rostigen Wellblechschuppen, in dem der Vater die Schlange gesehen hat.

Vorsichtig öffnet Thea die Tür zum Schuppen. Sie stöhnt. Der dunkle Raum ist voller Gerümpel: altes Werkzeug, riesige Strohballen, leere Flaschen, schimmlige Kisten. Mit ihrem Mobiltelefon leuchtet Thea an die Decke.

"Das Schlimmste ist die Überraschung von oben. Wir müssen alles ganz langsam ausräumen. Wenn wir zu schnell sind, dann fühlt sich die Schlange bedrängt und beißt zu. Ich habe kein Problem damit, wegzurennen, aber gebissen werden möchte ich nicht."

Stück für Stück leeren Thea und Bongani den Schuppen. Als sie gerade dabei sind, rostige Matratzenspiralen rauszuziehen, entdecken sie die Schlange. "Da ist sie", ruft Goodwill. "Ganz ruhig. Sie bewegt sich gleich." Thea wendet sich an Bongani, sie überlegen, wie sie die Schlange fangen können.

Da bäumt sie sich auf gegen die hintere Wand. Sie will fliehen, aber Bongani versucht, sie mit seiner Zange, die an einem langen Griff montiert ist, zu greifen. Nach ein paar Versuchen erwischt er sie am oberen Teil des Körpers, ein paar Handbreit unterm Kopf und fixiert sie am Boden. Das Reptil windet sich kraftvoll, doch Thea bekommt sie mit ihrer Zange dann knapp unterm Kopf zu fassen.

Sie bückt sich, packt das Tier mit ihrer freien linken Hand knapp über der Zange und direkt unterm Kiefer. Dann lässt sie die Zange fallen, greift mit der freigewordenen Hand den Körper der Schlange und hebt sie vorsichtig vom Boden auf. Sie windet sich immer noch. Es kostet Thea sichtlich Kraft, das Tier festzuhalten. Die Frau ist außer Atem, Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn.

Die Arme weit von sich gestreckt trägt sie die Schlange aus dem Schuppen. Normalerweise, sagt Thea, vermeidet sie es, Schlangen anzufassen. Zu viel Stress für die Tiere, zu gefährlich für sie selbst. Doch mit der langgriffigen Zange kann sie in dem engen Schuppen nur schlecht manövrieren. Goodwill ist wieder bei sich. "Halt sie fest, Thea. Ich will ein Foto machen."

"Ich werde sie sicher nicht loslassen!", lacht Thea. Vor dem Schuppen macht Goodwill mit seinem Handy ein Erinnerungsfoto. Die Schlange ist kräftig, hellgrau und etwa zweieinhalb Meter lang. Es ist tatsächlich eine Schwarze Mamba, die Innenseite des Mauls ist schwarz. Daher hat sie auch ihren Namen. Es ist eine der gefährlichsten Schlangen, die es in Eswatini gibt. Sie ist zwar nicht angriffslustig, aber verteidigt sich, wenn sie sich bedroht fühlt. Ihr Gift ist neurotoxisch, es greift die Nerven an, sorgt für Lähmungen, Atemstillstand und kann schnell zum Tod führen.

Die Schwarze Mamba ist tödlich

Thea lässt die Mamba in ihren Eimer mit der Aufschrift "Gefahr, Giftschlangen!" fallen, Bongani drückt rasch den Deckel drauf und sichert ihn mit einem Draht.

"Thea, Thea, Danke! Ich schätze das sehr! Jetzt ist mein alter Vater wenigstens wieder sicher. Er ist hier nur auf- und abgelaufen. Sieh dir mal die Größe von der an! Vielen Dank!" Goodwill ist außer sich vor Freude. Er schlingt seine beiden Arme um Thea und drückt sie fest an sich. Sein Vater jauchzt.

"Wenn jemand in dieser abgelegenen Gegend gebissen wird. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, ein Krankenwagen würde Stunden brauchen, um hierher zu kommen. Es wäre ein Todesurteil. Diese Menschen sind mittellos, sie haben nicht viel und sie sind verzweifelt."

Nachdem die Ausrüstung und der Eimer mit der Schwarzen Mamba im Kofferraum des Autos verstaut sind, machen sich Thea und Bongani auf den Rückweg. "Normalerweise würde ich die Schlange einfach freilassen. Das ist nicht immer sofort machbar, weil ich Verpflichtungen bei der Arbeit habe. In diesen Fällen sammle ich die Schlangen für ein, zwei oder drei Tage, abhängig davon, wie viele Anrufe kommen. Und dann lasse ich sie frei." Meistens lässt Thea die Schlangen in einem der Wildparks rund um Simunye oder in anderen Gegenden fern von Menschen frei.

Während der Fahrt zeigt Thea aus dem Autofenster auf ein Häuschen abseits der Straße. Auch dorthin wurde sie einmal gerufen, von einem Vater, dessen Tochter von einer Schwarzen Mamba gebissen worden war. Das Mädchen hatte in einem Feld Verstecken gespielt und als sie sich gegen einen Termitenhügel lehnte, biss die Schlange, die sich dort in der Sonne wärmte, zu. So schnell es konnte, lief das Mädchen nach Hause.

Die Schwarze Mamba ist die längste Giftschlange Afrikas. Ihr Kennzeichen ist die schwarze Zunge. (imago images / Olaf Wagner)

Fernab von einem Arzt brachten die Eltern sie zu einem traditionellen Heiler. Der konnte nichts tun, und als sie schließlich doch in ein Krankenhaus gebracht wurde, kam jede Hilfe zu spät. Das Mädchen starb. Ihr Vater rief Thea nur an, damit diese die Schuhe seiner Tochter aus dem Feld holte, wo sie gebissen worden war. Sie hatte sie beim Laufen verloren.

"Er dachte, sie würde nicht in Frieden ruhen, solange ihre Schuhe im Feld lagen. Also bin ich los, um diese Schuhe zu finden. Es war ihm das Allerwichtigste, dass ich diese Schuhe nach Hause bringe." Theas Stimme bricht. Sie hat Tränen in den Augen. "Ich werde es nie vergessen, wie diese kleinen Schuhe vor ihre Haustüre standen."

Kurse helfen beim Wissenstransfer

In Eswatini mit seinen nur 1,2 Millionen Einwohnern kommt es jedes Jahr zu schätzungsweise 200 bis 400 ernsthaften Schlangenbissen, ein Zehntel der Opfer stirbt. Während andere betroffene Länder erst jetzt anfangen, die Problematik anzugehen, hat sich die Situation in Eswatini über die letzten Jahre bereits verbessert, hauptsächlich dank Thea Litschka-Koen.

Ihre Faszination für Schlangen geht auf einen reinen Zufall zurück: Als ihr Sohn sieben war, musste er ein Schulprojekt über die Reptilien machen. Thea recherchierte mit ihm und stolperte über eine Website, auf der Schlangenkurse in Südafrika angeboten wurden. Die selbstbewusste Frau mit viel Humor überredete ihren Mann Clifton, bei einem der Kurse mitzumachen. Als einzige der Teilnehmer traute sie sich eine Schwarze Mamba einzufangen.

"Es war das Aufregendste, was ich in den letzten zehn Jahren gemacht hatte. Zwei Wochen später bekam ich einen Brief und darin waren das Zertifikat, dass ich den Kurs erfolgreich absolviert hatte und ein Foto von mir, auf dem ich diese Mamba angrinse. Mein Mann fand es urkomisch und hat es gleich gerahmt und jedem gezeigt und gesagt: Seht euch meine verrückte Frau an, sie hält eine Mamba in ihren Händen. Und innerhalb von drei Tagen klingelte das Telefon. Die Leute sagten: Ich habe gehört, du kannst Schlangen fangen. Bitte hilf mir, ich habe eine Schlange im Haus. So hat diese ganze Schlangengeschichte angefangen."

Das war vor mehr als 15 Jahren, und das Foto von ihr und ihrer ersten Schwarzen Mamba steht noch immer in ihrem Büro im Simunye Country Club. Im Gegensatz zu Thea fühlt sich ihr Mann Clifton in der Anwesenheit der Reptilien gar nicht wohl. Doch für seine Frau überwindet sich der stämmige Ex-Militärtaucher immer wieder, und neben Bongani ist Clifton der einzige, mit dem Thea eine Schwarze Mamba fängt.

"Ich mach es einfach nicht gerne, es ist nicht mein Ding. Es gibt mir keinen Nervenkitzel. Ich will nicht, dass sie es macht, deshalb geh ich mit und seh zu, dass sie nicht gebissen wird, oder ich fange das verdammte Ding selber."

Thea erzählt, dass Clifton ihr mit seiner ruhigen Art schon etliche Male das Leben gerettet habe. Und so fährt das Ehepaar auch heute noch durch das kleine Land, um Menschen vor Schlangen und Schlangen vor Menschen zu retten.

Unterricht im Schlangenfangen

Vor allem in den regnerischen Sommermonaten zwischen September und März, wenn die Temperaturen steigen, sind Schlangen aktiv. Während dieser Schlangensaison, wie es Thea nennt, klingelt das Telefon zu allen Tages- und Nachtzeiten. Mittlerweile haben Thea und ihr Mann Clifton auch über 40 Freiwillige ausgebildet, die jedes Jahr zwischen 400 und 550 Schlangen fangen – in Häusern, Stallungen, Gärten und auf Feldern.

"Schlangenbisse sind ein ernsthaftes Problem in Eswatini. Ich bin sicher, jeder hier kennt jemanden, der von einer Schlange gebissen wurde, der an einem Schlangenbiss gestorben ist oder der eine Gliedmaße durch einen Schlangenbiss verloren hat. Schlangen müssen sehr ernst genommen werden, denn sie können töten."

Unwissen und Aberglaube sind große Hürden für Theas Arbeit. Traditionelle Heiler sind oft die erste Anlaufstelle für Opfer von Schlangenbissen. Das liegt zum einen am Mangel medizinischer Alternativen, weil das nächste Krankenhaus zu weit weg, der Transport dorthin zu teuer ist. Zum anderen werden hinter Schlangenbissen spirituelle oder magische Ursachen vermutet, etwa eine Strafe der Ahnen oder ein Fluch.

Um aufzuklären gibt Thea Präventions- und Erste Hilfe-Kurse im ganzen Land. Sie unterrichtet Feldarbeiter, Schulkinder, Mitarbeiter der Wasserwerke, Sicherheitsfirmen und Bauarbeiter. Heute sind es sechs Angestellten einer Straßenbaufirma. Der Unterricht findet in einer ehemaligen Backpacker-Lodge mit Strohdach etwas abseits der Staubstraße statt, die die Männer gerade asphaltieren.

Die Schlangenfängerin - Schwarze Mamba in der Greifzange

"Ich erzähle euch heute Dinge, die allem widersprechen, was ihr je zuvor gelernt habt." – Von klein auf hören die Bewohner Eswatinis unzählige Mythen und Legenden über die Reptilien. In jedem Kurs kommen dieselben Fragen. Gibt es wirklich eine siebenköpfige Schlange? Und eine die fliegt? Und werden Babys und Schwangere wirklich nicht gebissen? Thea kennt die Fragen alle und klärt auf. Sie zeigt ihren Zuhörern etwa das Bild einer Kap-Vogelnatter. Sie sieht aus wie ein trockener Ast und hat eine knallrote Zunge mit schwarzen Spitzen. Ihr Biss ist tödlich. Gegen ihr Gift gibt es kein Antiserum.

"Kennt ihr diese Schlange? Man sagt, dass sie leckt, bis man blutet. In Wahrheit ist die Zunge die Nase der Schlange. Schlangen riechen mit ihren Zungen. Sie haben keine Nase wie wir. Wenn ihr also seht, dass eine Schlange das hier macht." – Thea streckt ihre Zunge raus und macht das Züngeln einer Schlange nach. – "Dann probiert sie nicht, ob ihr wie ein Filet oder Hühnchen schmeckt! Okay? Sie riecht!"

Erst wer Eier behutsam hochheben kann, darf auch versuchen, eine Schlange zu fangen. Denn die Knochen der Schlangen sind empfindlich. (Nyani Quarmyne/Panos Pictures)

In erster Linie will Thea den Menschen beibringen, den Kontakt mit Schlangen zu meiden, indem man etwa das Haus sauber hält und keine Nahrungsmittel offen herumliegen lässt, die Ratten anlocken. Doch das ist nicht immer möglich, denn bei ihrer Arbeit treffen die Bauarbeiter häufig auf die Reptilien, und so zeigt sie ihnen, wie man eine Schlange mit Zange und Haken sicher fängt. Dafür hat sie ein Dutzend Giftschlangen mitgebracht, die sie in den letzten Tagen und Wochen gefangen hat.

Doch erst mal müssen die Männer mit einem Tau, das als Schlangenattrappe dient, üben. Thea gibt Anweisungen: Die Schlange am oberen Drittel des Körpers mit der Zange greifen, dann mit der anderen Hand behutsam den Schlangenhaken unter den Körper schieben. Jetzt kann das Tau sicher in den Eimer gehoben werden.

Die Männer müssen in Teams arbeiten. Einer fängt die Schlangenattrappe, der andere steht hinterm Eimer bereit, um blitzschnell den Deckel zu schließen, damit das Reptil nicht gleich wieder rausschießen kann. Damit die Teilnehmer lernen, nicht zu fest mit den Zangen zuzupacken, lässt Thea sie an rohen Eiern üben. Denn die Knochen einer Schlange sind zart und können leicht verletzt werden.

Üben am lebenden Objekt

Dann wird es ernst. Thea verteilt Schutzbrillen und holt die echten Schlangen. Jede ist in einer verschließbaren Transportrolle verstaut. Aus einer der Rollen schüttelt Thea eine Ringhalskobra auf den Boden. Die Kursteilnehmer treten beim Anblick des Tieres gleich ein paar Schritte zurück.

"Beobachtet ihre Bewegung. Diese Schlangen folgen euren Bewegungen und sprühen dann Gift auf euch", warnt Thea. Die dunkelgraue Schlange bäumt sich auf, breitet ihren Hals zu einem Schild aus, öffnet ihr Maul und sprüht Gift aus ihren beiden Giftzähnen, trifft aber ins Leere. Dann senkt die Kobra ihr Haupt und schlängelt sich am Boden entlang.

Das erste Zweier-Team überwindet sich. Einer postiert sich hinter dem Eimer, der andere greift zaghaft mit der Zange nach der Kobra, erwischt sie erst nicht richtig und muss noch mal nachsetzen. Nun hat er sie in der Zange. Dann schiebt er den Haken unter den Körper und hebt das Tier konzentriert hoch. Er grinst, von seinem Mut sichtlich selbst überrascht, seine Mitstreiter an und hebt dann die Schlange noch etwas ungeschickt in den Eimer. Sein Partner haut mit Wucht den Deckel darauf.

Thea lobt die beiden, kippt die Schlange wieder aus dem Eimer und fordert ihre nächsten beiden Schüler auf, diese wieder einzufangen. Nachdem sich alle an Ringhalskobras und Puffottern versucht haben, steht die Mosambik-Speikobra auf dem Programm. Thea kennt sie gut: "Die versprühen ihr Gift über eine beeindruckende Distanz. Zweieinhalb Meter. Also sorgt dafür, dass eure Augen geschützt sind."

Die orange-braune Schlange blickt grimmig, wirkt aber weniger bedrohlich als eine Schwarze Mamba. Dabei will Thea, dass man sich gerade vor der Mosambik-Speikobra besonders in Acht nimmt. Denn sie ist für mehr als 70 Prozent aller ernsthaften Bisse in Eswatini verantwortlich. Als Einzige beißt sie unprovoziert, wenn ihre Opfer schlafen. Thea vermutet, dass kleinste Bewegungen, wie zitternde Zehen, rastlose Finger oder zuckende Augenlider die Schlangen zum Zubeißen animieren. Ihr Gift ist zytotoxisch, erklärt Thea den Kursteilnehmern: "Zytotoxisch – denkt an Batteriesäure. Es zerstört euer Gewebe. Ihr werdet nicht sterben, aber verliert vielleicht ein Arm oder ein Bein."

Die Speikobra beißt ohne Vorwarnung zu

Was es bedeutet, von einer Mosambik-Speikobra gebissen zu werden, weiß Qiniso Sihlongonyane. Mit eingefallenen Schultern hockt der 36-Jährige auf einem Bett in einem Krankenhaus in Manzini, einer Stadt im Süden des Landes. Seine Hand ist dick geschwollen, auf ihrem Rücken eine riesige Blase. Thea beugt sich über ihn.

"Du hast also geschlafen, als du gebissen wurdest?" – "Ich habe tief und fest geschlafen. Ein stechender Schmerz hat mich aufgeweckt. Aus Reflex habe ich meine Hand geschüttelt und gespürt, wie etwas runterfiel. Mir war nicht ganz klar, was los war. Ich habe das Licht angemacht, sah meine Hand bluten und dachte mir, dass es ein Schlangenbiss sei."

Speikobra, entdeckt und gefangen. Sie verteidigt sich durch Spucken. (Nyani Quarmyne/Panos Pictures)

Während man zu Hause sein Zimmer absuchte und die Schlange schließlich in einer offenen Schublade fand und erschlug, bekam Qiniso im Krankenhaus Antiserum verabreicht. Das war vor ein paar Tagen. Nun hat Qinisos Bruder Thea gebeten, nach dem Patienten zu sehen.

Vor zehn Jahren hat Thea die Eswatini Antivenom Foundation gegründet. Die Stiftung hilft Patienten wie Qiniso, holt Rat bei Experten ein, bezahlt, falls nötig, Operationen und kauft Gegengift, das an Krankenhäuser verteilt wird, die keines auf Lager haben. Finanziert wird die Stiftung mit dem Geld, das Thea mit den Kursen verdient, mit Tombolas und durch private Spenden.

Eigentlich ist das Bereitstellen von Gegengift die Aufgabe der Regierung. Doch jede Ampulle Antiserum kostet um die 1500 Emalangeni, das sind rund 94 Euro. Allein Qiniso hat 20 Ampullen Gegengift bekommen. Pro Jahr rechnet Thea mit einem Antiserum-Verbrauch im Wert von rund 250.000 Euro. Das ist viel für ein Land wie Eswatini, das seit Jahren unter Dürre und Ernteausfällen leidet.

Thea begutachtet die Blase auf Qinisos Hand. Sie muss kein Foto der toten Schlange sehen. Die Symptome sind eindeutig. Der Forstarbeiter wurde von einer Mosambik-Speikobra gebissen.

"Am schmerzhaftesten war der Biss, bevor ich das Gegengift bekommen habe. Es ist, als ob das Fleisch und die Adern brennen, manchmal spürt man es bis zu den Knochen. Es ist so schmerzhaft. Das ist das Schlimmste."

Seit 120 Jahren gibt es Gegengifte, aber nicht für alle

Thea erklärt Qiniso, dass er wahrscheinlich operiert werden muss. Der Forstarbeiter hat zwar genügend Antiserum bekommen. Aber die Ärzte haben die Verabreichung zwischendurch unterbrochen, weil Qiniso einen Ausschlag am ganzen Körper und hohes Fieber entwickelt hat, eine häufige Nebenwirkung auf das Antiserum.

Hinzu kommt, dass das Gegengift aus Südafrika bei den Bissen einer Mosambik-Speikobra nicht so wirkungsvoll ist wie bei den Bissen der anderen Schlangenarten, für die es eingesetzt wird. In fast allen Fällen wird Gewebe zerstört. Zu schwach ist das Gegengift, zu potent und schnell wirkend das Gift der Mosambik-Speikobra.

Leise spricht Thea dem Patienten Mut zu. "Leider können wir jetzt nicht viel machen, außer gute Wundbehandlung und wir müssen sichergehen, dass du die volle Funktion deiner Hand wiederbekommst. Es gibt leider kein Wundermittel. Jetzt braucht es Zeit zu heilen."

Zwei Wochen später liegt Qiniso noch immer im Krankenhaus. "Am Samstag haben sie bei mir die Wundausschneidung gemacht. Am Sonntag haben sie dann die Bandage geöffnet. Da habe ich das erste Mal gesehen, was sie wirklich mit meiner Hand gemacht haben. Es war unheimlich. Ich bin richtig erschrocken. Es war wirklich nicht, was ich erwartet habe. Ich hätte nie gedacht, dass sie mein Fleisch komplett wegschneiden und dass ich meine Sehnen und so sehen würde."

Qiniso hat Thea ein Foto seiner Wunde ohne Verband geschickt. Der Anblick schockiert sie nicht mehr, zu oft hat sie Ähnliches gesehen. Aber er macht sie wütend.

"120 Jahre, nachdem Gegengift zum ersten Mal hergestellt wurde, und wir sagen noch immer: Find dich damit ab. Es gibt nichts, was wir tun können, um das Gift zu neutralisieren. Das ist schon fast barbarisch, und dieses ganze Leid ist kaum zu ertragen. Warum ich noch keine totale Alkoholikerin bin, weiß ich wirklich nicht."

Thea ist auf dem Rückweg von einer ihrer Missionen. Sie hat wieder einmal eine Mamba gefangen und will diese bei sich zu Hause abliefern. Normalerweise lässt sie die gefangenen Schlangen so schnell wie möglich wieder frei, an einem Ort, fern menschlicher Behausungen. Doch zusammen mit der Liverpool School of Tropical Medicine in England hat Theas Stiftung Forschungsgelder bekommen. Es soll getestet werden, welches Antiserum Schlangengift am besten neutralisiert. Thea liefert das Gift dafür zu.

"Ich muss also jede Schlange, die ich bekomme, melken." Sie zeigt Richtung Kofferraum, wo der Eimer mit der frischgefangenen Mamba steht. "Von dieser hier nehme ich die GPS-Koordinaten der Fundstelle, und dann melken wir sie für das Projekt."

"Ich arbeite lieber mit Schlangen als mit Menschen"

Die Litschka-Koens wohnen auf einem Grundstück inmitten von Zuckerrohrfeldern, eine halbe Stunde Fahrt vom Simunye Country Club. Das Haus ist von einem gepflegten Garten mit alten, knorrigen Bäumen umgeben. Vier Hunde kommen hechelnd auf Theas Auto zugelaufen, als sie den Kiesweg entlangfährt und vor dem Haus zum Stehen kommt. Auch Britain Watts erwartet sie schon.

Der schlaksige 50-Jährige arbeitet als Koch im Simunye Country Club. Trägt er in der Küche des Restaurants immer eine weiße Kochmütze, so bedeckt in seiner Freizeit meist eine Rasta-Wollmütze seine Dreadlocks. Thea und Britain kennen sich schon, seitdem sie Kinder waren. Die Geschäftsfrau hat den Koch mit ihrem Schlangen-Fieber angesteckt. In seiner Freizeit kümmert sich Britain um die gefangenen Tiere. Sie sind in Terrarien und Kunststoffcontainern in einem kleinen Gebäude in einer Ecke des Gartens untergebracht. Mittlerweile leben dort schon rund 60 Giftschlangen.

"Ich fühle mich wohl mit ihnen. Ich arbeite lieber mit Schlangen als mit Menschen, weil Schlangen immer ruhig sind. Man muss sie nur ausmisten, füttern und ihnen etwas Wasser geben. Die quatschen nicht die ganze Zeit."

Doch heute muss Britain neben den Schlangen auch mit Menschen arbeiten. Barend Bloem und zwei weitere Kollegen sind aus Südafrika angereist. Dort arbeiten sie für eine Schlangenfarm, die den einzigen Antiserum-Hersteller im südlichen Afrika mit Schlangengift beliefert. Denn das ist ein wichtiger Bestandteil für die Produktion von Gegengift. Nun wollen die Experten Thea dabei helfen, ihre Schlangen zu melken. Dafür haben sie einen Stahltisch in ihr Wohnzimmer gerollt, die anderen Möbel zur Seite geschoben und die Schlangen in ihren Plastikboxen aus dem Gartenhaus hierher geschleppt. Britain hilft den Besuchern.

"Das ist eine neue Puffotter. Sie fühlt sich noch nicht wohl." Die Schlange bläht sich auf und entlässt die Luft wieder in lauten Zischgeräuschen. Barend zieht sich sterile Latex-Handschuhe an, hebt die Puffotter mit einer Zange aus ihrem Container und legt sie auf den Stahltisch. Die Schlange hat einen breiten, flachen Kopf und einen gedrungenen, kräftigen Körper.

Nur so lassen sich Menschenleben retten: Giftgewinnung zur Entwicklung von Gegengift. (Nyani Quarmyne/Panos Pictures)

Barend presst gekonnt mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger das Maul der Schlange auf, schiebt ein dünnes Metallstäbchen unter die langen bedrohlichen Giftzähne und hebt diese über den Rand eines am Stahltisch fixierten Glastrichters.

"Siehst du die großen ausklappbaren Giftzähne? Ich stimuliere hier hinten ihre Giftdrüse, weil gerade die Schlangen mit ausklappbaren Zähnen nicht so leicht Gift geben. Jetzt gerade drücke ich auf die Drüse." Eine klare, gelbliche Flüssigkeit spritzt aus den beiden Giftzähnen der Puffotter in den Trichter und tropft von dort in ein darunter stehendes Glas. "Das ist unser flüssiges Gold."

Barend hebt die Puffotter zurück in ihren Container und beugt sich zu ihr herab: "Ja, mein Mädchen, danke für die Spende. Damit wirst du jemandem das Leben retten! Das garantiere ich dir."

Nachdem er rund ein Dutzend Puffottern gemolken hat, stellt Barend das Glas in eine Kiste mit blauen Silikatkristallen. Diese sorgen dafür, dass das Gift kristallisiert und lange haltbar wird. Das trockene Gift der gemolkenen Schlangen wird dann für die Tests nach England geschickt. Das Projekt ist auf 18 Monate angesetzt. Doch Thea will auch danach weiter machen. Sie hofft, selber eine Schlangenfarm zu eröffnen, um mit dem Gift eigenes Antiserum für Eswatini herstellen zu lassen.

"Mein Ziel ist es, ein gefriergetrocknetes Produkt zu haben, das den Qualitätsstandards entspricht und sicher ist. Dann können Schlangenbiss-Vergiftungen so einfach wie eine Migräne behandelt werden. Wenn so ein Produkt überall verfügbar wäre wie Aspirin oder Paracetamol, könnten wir Hunderte von Leben retten. Da sollten wir schon längst sein."

Thea weiß aber auch, warum Länder wie Eswatini noch nicht soweit sind. Es ist die arme ländliche Bevölkerung, die das Problem am meisten betrifft. Es sind Menschen, deren Stimmen nicht gehört werden, deren Leid keine Rolle spielt. Doch zumindest gibt es in Eswatini Hoffnung für die Zukunft.

Die Erstausstrahlung der Sendung war am 8. März 2020.

Die Recherche wurde durch den Global Health Journalism Grant vom European Journalism Centre ermöglicht.

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