Draußen ist es klirrend kalt, wirbelnde Schneeflocken zwingen Autofahrer an einem Freitagmorgen, langsam zu fahren. Trotzdem haben einige von ihnen vermutlich ordentlich auf die Tube gedrückt, um es pünktlich zum Termin in der Kleintierklinik in Hofheim zu schaffen, damit ihren Zöglingen nur das Beste vom Besten zuteilwird. Der gute Ruf eilt diesem Ort nämlich voraus. Es liegt in der Luft: Hier wird nicht einfach nur „Geld gemacht“, vielmehr macht sich das Klinikpersonal mit seiner Klientel gemein. Dreh- und Angelpunkt ist die Sorge um das Wohlergehen der kleinen Kläffer und Schmusekatzen, Lebensmittelpunkt ihrer enthusiastischen Anhänger.
Heute bin ich ausnahmsweise auch vor Ort. Sobald sich die automatische Schiebetür hinter mir geschlossen hat, stehe ich inmitten von kranken Hundetieren. Das Foyer ist gleichzeitig Wartebereich für einen vom Nasentumor befallenen Mischling, einen kränkelnden Kampfhund, einen schniefenden Bullterrier und zu meinem Erfreuen auch drolligeren Hundegestalten – Zieheltern immer im Schlepptau. Ich stelle mir die Frage: Kann ich dieses artfremde Miteinander eigentlich noch als klassische Symbiose hinnehmen? Dahinter könnte doch bereits ein psychologisch schädigendes Beziehungsmuster stecken? Aus evolutionsbiologischer Sicht jedenfalls müsste sich Darwin im Grabe umdrehen, stecken Katzenlady und Hunde-Papa doch all ihre Zeit, Energie und vor allem Geld in ein Tier, anstatt in die Partnersuche, die bei Erfolg in der Fortpflanzung mündet. Und das in Zeiten, in denen allerorten von einer überalterten Gesellschaft gesprochen wird, die sich dringend verjüngen müsste.
© H. Schirmacher
Kleintierklinik Hofheim: Hund erhält Zahnbehandlung.
Gerade Städter legen sich gefühlt zunehmend gerne Hund oder Katze zu – in meiner Jugend galt es als verpönt, in einer Wohnung große Tiere zu halten – trotz tödlichem Straßenverkehr und beengter Lebensweise. Hunde als Sozialpartner, Katzen als Co-Pädagogen – ehe man sich versieht, steckt der Betroffene in einem Teufelskreis aus einem scheinbar befriedigten Bedürfnis nach Nähe einerseits und Zeitmangel andererseits. Lernt er doch noch, oft per Zufall und mit viel Glück, einen Partner der eigenen Spezies kennen, muss sich dieser häufig darauf einlassen, das Bett zu dritt zu teilen. Der selbstverständlich stubenreine Zögling verrichtet zwar sein Geschäft vor der Haustür, doch unklar bleibt, wo er derweil überall seine Schnauze hineingesteckt hat. Einen Halter, blind vor Liebe, schreckt dies freilich nicht ab. Der Psychologe John Archer spricht von Manipulation als Begründung für die Entwicklung der Haustierhaltung. Der aufopferungsvolle Halter, der für seinen Zögling immer einen Schritt zu weit geht, wurde also wie in jeder klassischen Abhängigkeitsbeziehung manipuliert?
© H. Schirmacher
Geheimwaffe der Klinik: Der Linearbeschleuniger.
Während ich mich in der Kleintierklinik in Hofheim – der größten ihrer Art auf dem europäischen Festland – umschaue, wird mir klar: Das stimmt. Weil unglaublich viele Hunde- und Katzenhalter auf das Angebot schwören, konnten die Betreiber ordentlich aufrüsten. Seit Kurzem hat die Klinik sogar einen Linearbeschleuniger zur Strahlentherapie und Schmerzbehandlung von Arthrose. Herrchen und Frauchen spendieren ihrem Hund und ihrer Katze hier lebensverlängernde Maßnahmen, die tausende von Euros kosten. Laut Katharina Kessler, Tierärztin und zuständig für Pressearbeit und Kommunikation, gibt es solch ein Gerät für Kleintiere nur zweimal weltweit. Das Gerät stammt aus der Fertigung für menschliche Krebspatienten und musste etwas umgebaut werden, artgerecht für Kleintiere. Ich treffe den Hundehalter Hubert Schuy. Er bringt seinen Schützling „Tiron“, den ein Nasentumor plagt, regelmäßig zur Strahlentherapie. Sein Haus würde er verkaufen, um seinem Liebling eine Operation zu ermöglichen, erklärt er mir. Ich denke, dieser Hund hat es wirklich weit gebracht in der Gunst seines Halters. Herr Schuy erklärt mir, der Hund nehme viel mehr Zeit in Anspruch als Kinder. „Er ist ein vollwertiges Familienmitglied.“
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Tiron wird auf die Strahlentherapie vorbereitet.
Laut Bindungstheorie gibt es bei Hunden zwei Wesenszüge, auf die ihre Halter anspringen, um ihnen anschließend die Welt zu Füßen zu legen. Zum einen ist der Halter motiviert, für das Tier zu sorgen, weil es niedlich und schutzbedürftig wie ein Säugling ist. Zum anderen vermittelt ein großer, starker Hund Sicherheit. So können Hunde nicht nur als Kinder-, sondern auch als Elternersatz gesehen werden. Das erklärt aus meiner Sicht die optische Vielfalt unter den Hunderassen. Will ich ein Kleinkind, nehme ich einen Schoßhund, der schon allein von seiner Statur her Folge leisten muss, will ich einen starken, wehrhaften Vater, schaffe ich mir lieber den angsteinflößenden Rottweiler an.
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Aufwachphase: Liebevoll belgeitet das Herrchen seinen taumelnden Hund.
© H. Schirmacher
Geschafft. Jetzt geht es ab nach Hause.
Nun will ich aber die niedlichen Kätzchen sehen. Es gibt neuerdings ein Séparée, erklärt Frau Kessler. Weder Mütter, noch Väter, noch Katzenhalter haben es gern, wenn der eigene „Sprössling“ den Kürzeren zieht. Und Katzen wären in der Kleintierklinik, die sonst überwiegend Hunde versorgt, nun mal die Schwächeren. Im Séparée werden die kranken Kätzchen wie schutzbedürftige kleine Babies behandelt, die besonders fremdeln und Mamas Nähe suchen, sobald sie in unbekannter Umgebung sind. In einem sicheren Katzenkorb, der auf Frauchens Schoß thront, halten sie sich versteckt. Umnebelt sind sie von „Feliway“, einer Nachbildung des natürlichen Katzenpheromons. Das beruhigt, wie die Muttermilch. Diese „Mutter-Kind-Situation“ ist keine Seltenheit. Während ich einmal im Zug nach Prag fuhr, saß ein älteres Paar neben mir. Auf dem Schoß der Dame schwankte ein Nackthund stehend hin und her, der fortwährend ihr Gesicht abschleckte. Während ich mich ekelte, wurde mir klar, diese bedingungslose Mutterliebe kommt daher, weil das Tier durch seine Nacktheit so bedürftig wie ein Baby ist.
Ein anderes Mal beobachtete ich ein junges Pärchen, dem wohl noch der Mut für ein eigenes Kind fehlte, mit „Schoßhündchen“. Während das Tier mindestens hundert kleine Trippelschritte machte, brauchten seine Zieheltern nicht mal einen für dieselbe Strecke. Außerdem lief der winzige Hund mit seinen spindeldürren Beinchen und kurzem Fell auf einer dichten Schneedecke. Wenigstens ein passendes Pullöverchen hätten die Halter dem Tier überziehen können. Vor allem felllosen oder kurzhaarigen Gesellen sollte ein wärmendes Mäntelchen übergezogen werden, rät der Deutsche Tierschutzbund. Schuhe und Söckchen hingegen sind eher ungeeignet, weil die Hundepfoten als sehr empfindsame Tastorgane nackt gebraucht werden. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung scheint es ein Glücksfall, wenn der kleine Hund dem Pärchen noch ein wenig die Zeit für eigenen Nachwuchs stiehlt.
© Privat
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Sind Hunde und Katzen soziale Parasiten?
Von
Henrike Schirmacher
Macht es Sinn, die Nachkommen einer anderen Art zu versorgen? Aus evolutionsbiologischer Perspektive ist diese „artübergreifende Elternschaft“ Blödsinn.
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