Mutterkuchen zum Frühstück | Mamablog

Auch wer die Plazenta zu Pillen verarbeiten will, muss sie erst mal kochen: Gulasch.Mutterkuchen zum Frühstück | Mamablog

Eigentlich seltsam, dass wir nicht zuerst auf die Idee gekommen sind. Schliesslich sind wir diejenigen, die die Nachgeburt schönfärberisch Mutterkuchen nennen – als ob es sich dabei um ein süsses Gebäck handeln würde, in das jeder gerne reinbeisst. Sie ekeln sich bei dem Gedanken? Immer mehr Amerikanerinnen kommen offenbar auf den Geschmack.

Das New York Magazine berichtete Ende August, dass je länger desto mehr US-Mütter ihre Plazenta nach der Geburt mit nach Hause nehmen, um sie zu kochen und zu essen. Der Anteil der Frauen, die die Plazenta zu Lasagne verarbeiten oder winzige Teilchen davon in einen Milchshake mixen – entsprechende Rezepte gibt’s im Internet – dürfte allerdings relativ klein sein. Die grosse Mehrheit kocht die Plazenta, lässt sie trocknen und mahlt sie danach zu einem feinen Pulver, das in Pillenform abgefüllt werden kann. Auf der Website placentabenefits.info gibt es extra dafür gedachte Pillen-Herstellungssets sowie detaillierte Anleitungen.

Wer sich vor den eigenen Innereien im Rohzustand dann doch etwas ekelt, kann sich eine professionelle Plazenta-Zubereiterin bestellen: Sie übernimmt die blutige Rüst- und Kocharbeit, so dass die frischgebackene Mutter nur noch die fertigen Plazenta-Pillen schlucken muss. Und diese bewirken angeblich wahre Wunder: Sie sollen postnatale Depression bekämpfen, bei Stillproblemen den Milchfluss anregen und einem einen enormen Energieschub verleihen.

Beweise dafür gibt es allerdings keine. Zwar enthält die Plazenta erwiesenermassen viel Eisen, Vitamin B12 und gewisse Hormone. Warum und ob gerade dieser Mix der Mutter auf so vielen Ebenen helfen soll, ist jedoch nicht erwiesen.

Befürworter der Placenta-Essbewegung führen an, dass abgesehen vom Menschen alle Säugetiere nach der Geburt die Plazenta essen und dies ein deutliches Indiz dafür sei, dass sie der Gesundheit förderlich sei. Franziska Summermatter, leitende Hebamme der Hebammenpraxis Zürich, kann sich durchaus vorstellen, dass «die Bewegung entstanden ist, weil Frau intuitiv weiss, dass die Plazenta viele Antikörper und auch Stammzellen enthält und deshalb irgendwie gesund ist.»

Die eigene Plazenta zu essen findet Summermatter dennoch etwas abstrus. Nichtsdestotrotz freut sie sich, wenn die Gesellschaft dem Mutterkuchen mehr Aufmerksamkeit widmet. «Der Plazenta gebührt Respekt, denn von der embrionalen Entwicklung her ist es ja so, dass sich aus einer befruchteten Eizelle einerseits der Fötus und andererseits die Plazenta bildet», sagt die Hebamme, «die Plazenta ist also so etwas wie eine Schwester des Babys. Deshalb wird sie in vielen Kulturen nach der Geburt auch beerdigt.»

Oder man vergräbt die Plazenta in der Erde, um danach einen Baum darauf zu pflanzen, ein Zeichen des neuen Lebens sozusagen. Auch mit dem bei uns bekannten Brauch sind wir modernen Schweizerinnen jedoch zurückhaltend – obwohl man in unseren Spitälern die Plazenta in der Regel problemlos nachhause nehmen kann, sogar nach einem Kaiserschnitt. «Wenn wir die Eltern fragen, ob sie die Plazenta mitnehmen möchten, um ein Bäumchen darauf zu pflanzen, lehnen sie dies meist vehement ab», sagt Kerstin Magnussen, Leitende Hebamme der Familienabteilung der Privatklinik Bethanien. Vom amerikanischen Trend, die Plazenta zu verspeisen, merke man hierzulande also gar nichts, «der Ekelfaktor ist nach wie vor sehr hoch».

Doch es gibt Ausnahmen. «Sehr selten kommt es vor, dass eine Frau ein wenige Zentimeter grosses Stück Plazenta mitnimmt, um daraus eine homöopathische Arznei herstellen zu lassen», sagt Magnussen. Denn ja, es gibt in der Schweiz Apotheken, die diesen Service anbieten.

Hat es keine solche in der Umgebung, müssen die wenigen hiesigen Plazenta-Fans jedoch selber Hand anlegen. Wie Nisa America. Die Zürcherin hat ihre Plazenta nach der Geburt des ersten Kindes selber zu Pulver verarbeitet. «Meine Tante lebt seit zehn Jahren in den USA und arbeitet dort als Hebamme. Sie hat mir die Prozedur empfohlen, weil Plazentapulver laut der chinesischen Medizin sehr gesund sei und einem helfe, nach der Geburt bei Kräften zu bleiben», erzählt sie. Zwei Esslöffel voll habe sie täglich mit einem Schluck warmem Wasser hinuntergespült. «Es schmeckte eisenhaltig und nach Erde und ehrlich gesagt ist es mir nicht leicht gefallen, das Pulver runterzuschlucken.» Nach wenigen Tagen kam die Erlösung: Das Pulver fing zu schimmeln an. «Da war ich doch froh, konnte ich das ganze Zeug mit nur leicht schlechtem Gewissen wegwerfen», sagt America augenzwinkernd.

Wenn sie anderen Schweizer Müttern davon erzählt, empfinden diese ihren Versuch meist als seltsam oder ekelhaft. Verständlich, wie sie findet, «wer isst denn schon einen Teil von sich selbst». Sie habe jedoch auch von ein paar Frauen gehört, die die Plazenta gleich als Ganzes gekocht und gegessen haben. Man müsse sich halt einfach vorstellen, das seien Leberli, die esse man schliesslich auch.

Würde Ihre Vorstellungskraft dafür reichen? Könnten Sie Ihre eigenen Innereien zu Rösti und Salat essen? Oder würden Sie die Pillenvarainte vorziehen? Finden Sie den Plazenta-Hype übertrieben, oder sollte man dem Mutterkuchen im Gegenteil endlich auch hierzulande die Wertschätzung entgegenbringen, die ihm gebührt?