Getty Images/iStockphoto/CentralITAlliance
Bild 1/2
Getty Images/iStockphoto/ByoungJoo
Bild 2/2
2
Mittwoch, 01.05.2019, 17:56
Ob Radiowecker oder Google-Suche: Ständig setzen wir CO2 frei – oft, ohne dass es uns bewusst ist. Wer seine CO-Emissionen verringern möchte, hat dazu im Alltag etliche Möglichkeiten. In dem Buch "Generation Weltuntergang" zeigen die Autoren, wie viel CO2 wir womit an einem Beispieltag verbrauchen.
Es ist nicht damit getan, unsere liebsten Fortbewegungsmittel gegen Elektrokarossen auszutauschen, Solarmodule aufs Hausdach zu schrauben und ein paar Windräder in die Nordsee zu pflanzen. CO
2
hat leider die Eigenschaft, dass wir es weder riechen, schmecken noch sehen können. Und es wird bei der Produktion unverdächtiger Gebrauchsgegenstände oder schmackhafter Speisen ausgestoßen – meist bevor wir sie in die Hand bekommen. Was es bedeuten würde, unsere CO
2
-Emissionen komplett gegen null zu fahren, wird erst deutlich, wenn wir uns ansehen, bei welchen unserer Gewohnheiten Treibhausgase freigesetzt werden.
"Generation Weltuntergang: Warum wir schon mitten im Klimawandel stecken, wie schlimm es wird und was wir jetzt tun müssen" hier bei Amazon bestellen (Anzeige)
07:30 Uhr Der Radiowecker springt mit einem Knirschen ins eingestellte Programm. Werbung lullt uns aus dem Lautsprecher ein, in dem Versuch, uns zu verführen: Zwei Hosen zum Preis von einer sind bei einem großen Textildiscounter im Angebot, ein Autounternehmen preist eine neue Familienkutsche mit mehr Platz und PS für alle an, und im Supermarkt geht ein neuer Knusperjoghurt an den Start. Am liebsten möchte man den Kopf noch mal tief im Kissen vergraben. Ein Blick auf die Leuchtanzeige des Weckers zeigt jedoch: höchste Zeit aufzustehen.
Und während wir uns langsam in die Höhe hieven, sind bereits die ersten Gramm CO
2
durch den Zähler gelaufen, ohne dass es uns wirklich bewusst geworden ist: Alles, was an dem Radiowecker neben dem Bett blinkt, tönt, brummt und piepst, wird mit Strom betrieben – und bei der Stromerzeugung wird CO
2
freigesetzt.
In Deutschland stammt der größte Teil der Energie aus Braun- und Steinkohle, aus Windenergie sowie immer noch aus Kernkraft. Danach folgen Gas und Solar. Kohle ist mit bis zu 1153 Gramm CO
2
pro Kilowattstunde mit Abstand am schmutzigsten. Erdgas verbraucht immerhin noch bis zu 428 Gramm pro Kilowattstunde. Und selbst Atomenergie (32 Gramm), Sonnenenergie (27 Gramm) und Windkraft (24 Gramm) sind zwar wesentlich klimafreundlicher, aber auch nicht völlig ohne CO
2
zu haben.
Im deutschen Strommix, der aus der Steckdose kommt, emittiert die Kilowattstunde laut Umweltbundesamt 527 Gramm CO
2
. Je nach Anbieter kommt uns der Digitalwecker damit am Tag mit rund 23 Gramm und im Jahr 8,2 Kilo CO
2
teuer zu stehen. Omas mechanischer Wecker war vielleicht nicht ganz so schick, funktionierte aber ganz ohne Strom.
CO2-TAGESZÄHLER: +23 Gramm
07:45 Uhr Mit nackten Füßen ins Bad tappen, Augen reiben, den Menschen im Spiegel mit misstrauischem Blick beäugen. Auch wenn es sich nicht so anfühlt: In der heimischen Wohlfühloase beginnt der CO
2
-Zähler zu rasen.
Allein die elektrische Zahnbürste, von denen Schätzungen zufolge in vierzig Prozent der deutschen Haushalte ein Exemplar brummt, verursacht täglich rund 72 Gramm CO
2
. Ganz davon abgesehen, dass die Zahnbürste erst hergestellt werden muss und dabei CO
2
freigesetzt wird, dass sie für mehr Emissionen verantwortlich ist, falls sie den ganzen Tag auf der Aufladestation steht, und dass der Akku oft nur von besonders wagemutigen Besitzern selbst auszutauschen ist und deswegen das Gerät oft auf dem Müll landet, sobald der Akku nicht mehr funktioniert.
Nach dem Zähneputzen geht es ab unter die Dusche. Deutsche brausen sich durchschnittlich sechs Minuten lang ab, und wenn wir Warmduscher das bei einer Wassertemperatur von 40 Grad machen möchten, muss das Nass erst mal per Strom erhitzt werden. Macht dann rund 460 Gramm CO
2
für die Nassstrahlreinigung. Und für alle Menschen, die ihr Haupthaar danach weder an der Luft trocknen lassen noch eine Glatze ihr Eigen nennen: einmal föhnen = 54 Gramm – manche, die’s nicht so heiß mögen wie auf der höchsten Stufe, sparen CO
2
.
CO2-TAGESZÄHLER: +586 Gramm
08:00 Uhr Rein in die Jeans. Aufgewachsen mit Levi’s-Werbespots voller junger Männer mit perfektem Oberkörper und ebenso perfekt sitzender blauer Bux, ist die Jeans für die meisten von uns eine Art Grundnahrungsmittel in Klamottenform. Wer aber weiß schon, dass seine Hose eine Weltreisende ist und die Erdkugel bis zu eineinhalbmal umkreist hat, bevor sie in der Einkaufstüte landet?
Das, was einmal unsere Jeans sein wird, beginnt seine oft 60.000 Kilometer lange Reise als flauschiges Baumwollbäuschchen in Indien, China, USA, Afrika oder auch in Usbekistan. Eigentlich ist Baumwolle eine Pflanze, die in den Tropen gedeiht, doch die watteweißen Bäusche sollen sich nicht mit Regenwasser vollsaugen, also pflanzt man sie aus wirtschaftlichen Gründen in staubtrockenen Zonen an und bewässert sie künstlich, dann besteht keine Gefahr, dass der Grundstoff fürs Garn verfault.
Das Wasser muss in den ausgedörrten Landstrichen allerdings irgendwoher kommen – praktisch ist es zum Beispiel, wenn man einen großen See in der Nähe hat. Und weil man für eine Jeans viele dieser Bäuschchen und für viele Jeans noch viel mehr Bäuschchen braucht, muss man die Pflanzen sehr ausgiebig bewässern. Und ein Bewässerungssystem kostet Energie, bei deren Erzeugung CO
2
frei wird. Vor allem aber verändert der Wasserentzug das Mikroklima der Region. Welcher Schaden dabei für die Umwelt entsteht, sieht man etwa am Aralsee, der sich über usbekisches und kasachisches Gebiet erstreckt. Oder eher: erstreckte, denn schon in der Sowjetzeit wurden seine Zuflüsse auf die Baumwollfelder umgeleitet.
Der See, einst so groß wie die Fläche von Bayern, hat seit den Fünfzigerjahren durch die Landwirtschaft etwa siebzig Prozent seiner Fläche verloren. Die Leute, die drum herum leben, haben kein Trinkwasser mehr, die Böden um den See erodieren, was schlecht für den Ackerbau ist, und durch die fehlende Verdunstung aus dem See werden Salz- und Sandstürme nicht mehr ausgebremst, das Klima ist kontinentaler, die Winter sind kälter als früher, die Sommer heißer. Doch dafür gibt es viele Baumwollbäuschchen für viele Jeans.
Die geerntete Baumwolle wird in die Türkei geflogen, wo die großen Flauschhaufen zu Garn versponnen werden, dann geht’s weiter nach Taiwan, um daraus Stoff zu weben. Aus Polen wird derweil chemisch hergestelltes Indigoblau herangekarrt, das sich dann mit dem Stoff aus Taiwan und Garn aus der Türkei in Tunesien zum Färben trifft. Um das Gewebe weich zu machen, wird es in Bulgarien chemisch behandelt und schließlich in China oder in Bangladesch zusammengenäht. Die Schildchen und das Innenfutter für die Jeans kommen aus Frankreich oder der Schweiz, Knöpfe, Reißverschlüsse und Nieten aus Italien.
Am Ende der globalisierten Arbeitsteilung werden die fertigen Jeans dann in das Land geflogen, in dem sie verkauft werden. Für eine einzige Jeans sind bis zu diesem Zeitpunkt rund 8000 Liter Wasser verbraucht und bei der gesamten Herstellungsprozedur – die vor allem durch Transport und Verarbeitung Emissionen freisetzt – beispielsweise laut Textildiscounter KiK knappe sieben Kilogramm CO
2
in die Atmosphäre entlassen worden.
Fünf Milliarden Jeans werden auf diese Weise pro Jahr hergestellt. 100 Millionen Jeans kaufen allein die Deutschen pro Jahr. Was unsere tägliche CO
2
-Bilanz angeht, lassen wir an dieser Stelle allerdings mal fünfe gerade sein. Beim eigentlichen Tragen der Jeans werden ja keine Emissionen frei. Und das soll in dieser Rechnung auch für alle anderen Gegenstände gelten, die wir schon länger besitzen. Sie fließen nicht mehr samt Produktionsemissionen in die Tagesrechnung ein, sondern nur der Ausstoß, der direkt mit dem Gebrauch verbunden ist.
CO2-TAGESZÄHLER: +0 Gramm
08:10 Uhr Kaffee! Durchschnittlich 162 Liter von dem schwarzen Wachmacher trinken wir Deutschen im Jahr. Bei seinem Anbau kommen Dünger und Pestizide zum Einsatz, bei deren Herstellung Treibhausgase freigesetzt werden, der Transport fällt ins Gewicht, und seine Zubereitung kostet Energie fürs warme Wasser.
Die normale Frühstückstasse Kaffee schlägt mit rund 60 Gramm CO
2
zu Buche. Wer das Kaffeekochen outsourct und sich auf dem Weg zur Arbeit statt der schnöden schwarzen Heimbrühe einen mittelgroßen Latte to go gönnt, verursacht übrigens das Doppelte an Emissionen: 125 Gramm CO
2
fallen für einen Latte im Pappbecher (der ja auch produziert werden muss) mit Milch und Zucker aus dem Vollautomaten an – wobei die Maschine auch zu Hause grundsätzlich mehr CO
2
produziert als ein Kaffee, den man mit der Filtertüte zubereitet.
Stündlich werden in Deutschland nach einer Berechnung der Seite Utopia.de 320.000 Einwegbecher weggeworfen. Am Ende eines Jahres sind das fast drei Milliarden. Um diese Menge an Trinkutensilien herzustellen, werden 1,5 Milliarden Liter Wasser gebraucht, und 43.000 Bäume müssen für die Pappe herhalten. Ganz zu schweigen von den 11.000 Tonnen Kunststoff, die für die Beschichtung bzw. als (ausgesprochen kurzlebige) Plastikdeckel herhalten müssen. 83.000 Tonnen CO
2
werden bei deren Produktion ausgestoßen.
Unser morgendliches Käsebrot schlägt dann noch mal locker 410 Gramm CO
2
obendrauf: Eine Schnitte konventionell hergestelltes Mischbrot, etwa 40 Gramm, verursacht durch den Anbau des Getreides und den Verarbeitungsprozess, für den wieder Energie benötigt wird, 30 Gramm CO
2
, für eine Scheibe Käse (etwa 30 Gramm) kommen 255 Gramm CO
2
dazu. Das Getreide, das im Brot steckt, bindet und wandelt CO
2
nicht so gut in Sauerstoff um wie beispielsweise Mais. Und der Käse verursacht so viel Treibhausgas, weil die Kühe meist Kraftfutter aus Getreide bekommen und man außerdem eine ganze Menge Wärme benötigt, damit aus Milch Käse wird. Und dann haben die Tiere noch ein paar blöde Eigenschaften, auf die wir gleich kommen.
Erstaunlicherweise ist "die gute" Butter, die wir aufs Brot schmieren, besonders schlecht fürs Klima: Ein Kilo verursacht CO
2
-Emissionen in der Höhe von sage und schreibe 23.794 Gramm. Auf dem Butterbrot mit Käse sind die fünf Gramm Butter für ganze 125 Gramm von den 410 Gramm CO
2
verantwortlich. Fünf Gramm klingt erst mal wenig, aber wenn man sich anschaut, dass das tierische Schmierfett überall drin ist – in Kuchen und Keksen, in Soßen oder im Croissant –, läppert es sich. Und so konsumiert jeder Deutsche im Jahr rund 6,5 Kilo des fetthaltigen Aufstrichs.
Wer sich jetzt noch ein Frühstücksei gönnt, schlägt noch mal 200 Gramm CO
2
obendrauf. Denn bevor es bei uns auf dem Tisch steht, müssen dafür erst die Hühner gehalten und gefüttert werden, und dazu benötigt man unter anderem Tierfutter und Strom für den Stall. Für Verpackung und Transport der Eier kommen noch mal ein paar Gramm drauf, genauso wie fürs Eierkochen, wofür man in der Regel Strom benötigt – falls man in der Küche kein Lagerfeuer machen möchte. Gesamtbilanz fürs Frühstück: 670 Gramm CO
2
. Und dabei bleibt es auch nur dann, wenn man sein Brot nicht mit der elektrischen Schneidemaschine zersägt und dann im Toaster röstet.
CO2-TAGESZÄHLER: +670 Gramm
08:30 Uhr Der Weg ins Büro führt für die meisten von uns erst mal mit dem Auto in den Stau. Vorne, hinten, rechts und links qualmen die Auspuffe und das eigene Gefährt natürlich auch. Lebenszeit geht nutzlos drauf, zeitgleich verpesten wir unsere Atemluft, und jede Menge CO
2
steigt auf.
Zwanzig Kilometer pendeln wir Deutschen jeden Tag durchschnittlich zur Arbeit – zehn hin, zehn zurück –, das ermittelte das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) für das Jahr 2016. Ganze zwei Drittel von uns nutzen dazu das Auto. Das sorgt für einen fetten Aufschlag auf die Klimabilanz, nämlich insgesamt etwa 4000 Gramm CO
2
. Jeden Werktag. Ein durchschnittliches Mittelklassefahrzeug, Benziner, Baujahr ab 2001 mit einem Verbrauch von rund acht Litern, stößt nämlich etwa 200 Gramm CO
2
pro Kilometer aus. Wer die U-Bahn nimmt, verursacht rund 9,7 Gramm, und ein mit Diesel betankter Bus wiegt CO
2
-technisch rund 30 Gramm.
Am schlanksten wirkt sich in der CO
2
-Bilanz der keuchende Atem eines Radlers aus. Mobilität stellt generell eine große Portion auf unserem CO
2
-Büfett dar: Laut Bundesumweltamt erzeugt jeder von uns nämlich durchschnittlich täglich knapp sieben Kilo CO
2
allein durch seine Fortbewegung – einige fliegen sogar wegen einer Wochenendbeziehung zum Arbeitsort, wenn der sich in einer anderen Stadt befindet. Dabei ist die Fliegerei mit Abstand die klimaschädlichste Art, sich fortzubewegen. Pro geflogenen Kilometer fallen rund 194 Gramm CO
2
an, und die Klimawirkung verstärkt sich um das 2,7-Fache, weil der Ausstoß in großer Höhe stattfindet.
CO2-TAGESZÄHLER: +4000 Gramm
09:30 Uhr In welchem Beruf wir auch immer den lieben langen Tag die Zeit totschlagen: Viele starren auf einen Bildschirm, und zwar ab dem Moment, in dem wir im Büro den PC starten. Und der muss produziert und ausgeliefert werden, bevor er zum Einsatz kommt, dabei spielen auch die bei seiner Herstellung verwendeten Rohstoffe in der CO
2
-Bilanz eine Rolle.
Im Auftrag der Firma Fujitsu ermittelte das Umweltinstitut bifa den CO
2
-Fußabdruck eines PCs von der Rohstoffgewinnung über Herstellung und Nutzung bis zum Recycling: Bei dem untersuchten Modell sind das rund 700 Kilogramm CO
2
, wenn er fünf Jahre lang mit deutschem Energiemix betrieben wird. Unter anderem kommt es drauf an, wo der Rechner hergestellt wurde: In Asien erzeugt die Herstellung mehr Emissionen als beispielsweise im Atomland Frankreich, weil in Fernost sehr viel Energie aus Kohle gewonnen wird – und diese eine schlechtere Bilanz hat.
Für diese Kalkulation berechnen wir jedoch nur die CO
2
-Emission durch den tatsächlichen Stromverbrauch des Rechners: Eine Stunde im Stand-by-Modus kostet uns 78 Watt, die Arbeit am PC mit Photoshop und Co. liegt bei ungefähr 138 Watt. Macht bei einem Achtstundentag plus einer Stunde Mittagspause rund 1,2 Kilowattstunden. Gesamtbilanz für einen normalen Arbeitstag am PC: 632,4 Gramm CO2.
CO2-TAGESZÄHLER: +632,4 Gramm
12:30 Uhr Die Kollegen stehen in der Bürotür und scharren mit den Füßen: Hunger. Die Koordination des Pausentreffens hat reibungslos mit zwei Dutzend Mails geklappt, nun wird noch kurz geknobelt, wessen kulinarische Vorlieben siegen, dann steht fest: Zum türkischen Imbiss an der Ecke soll’s gehen, weil es alle eilig haben. Der Döner Kebab mit Rindfleisch bringt rund 1500 Gramm auf die CO
2
-Waage. Grund ist unter anderem der Methanausstoß der geschlachteten Rinder.
Das Gas entsteht bei den Paarhufern durch die Verdauung, wodurch pupsende und rülpsende Rindviecher tatsächlich beträchtlich zum Treibhauseffekt beitragen. Weil wir weltweit derart viel Fleisch essen, haben die mangelnden Manieren der Tiere einen nicht zu unterschätzenden Effekt.
Auch die Belastung von Boden und Grundwasser durch den anfallenden Stallmist trägt zur schlechten Bilanz von Rindfleisch bei. Hinzu kommen der Transport der Tiere zum Schlachthof und die Auslieferung des Fleisches zum Metzger, samt ununterbrochener Kühlkette. Deshalb gilt logischerweise generell: Regionales Fleisch verursacht weniger Treibhausgas als solches aus weiter entfernten europäischen Nachbarländern – allerdings ist auch dieses unter dem Strich noch klimafreundlicher als Fleisch aus Übersee.
In der Gesamtbilanz spielt dann auch noch das Futter für die Rinder eine Rolle: Oft kommt südamerikanisches Soja zum Einsatz, wofür dort der Urwald gerodet wird – wobei (...) einerseits CO
2
freigesetzt wird und andererseits wichtige Treibhausgassenken (die Stellen des Planeten, die CO
2
aufnehmen) verschwinden.
Der Lebensmittelwissenschaftler und Geophysiker Kurt Schmidinger hat deshalb in die Klimabilanz von Fleisch mit einberechnet, wie viel CO
2
-Speicher in Form von Urwald durch den Anbau von Futterpflanzen in Monokulturen verloren geht. Und kommt zu dem erschreckenden Ergebnis: "Das missed carbon sink potential [die Kapazität der verschwundenen CO
2
-Senken] ist im Schnitt genauso groß wie alle übrigen Emissionen der Tierhaltung. Die Emissionen verdoppeln sich also im Mittel. Mit Abstand am schlechtesten schnitt brasilianisches Rindfleisch ab. Nach unseren Berechnungen ist es etwa 25-mal so klimaschädlich wie bisher angenommen."
Insgesamt ist die Klimabilanz von Fleisch also eher mies . Spitzenreiter bleibt Rindfleisch, da – je nach Herkunftsland – bei der Haltung der Tiere bis zu 28-mal mehr Land und die elffache Wassermenge verbraucht werden als bei der Produktion von Geflügel- oder Schweinefleisch. Bei einem Kilo Industrie-Geflügel fallen 3508 Gramm CO
2
, bei Schweinefleisch 3252 Gramm an. Rindfleisch verursacht mit 13.311 Gramm CO
2
pro Kilo rund die vierfache Menge an Emissionen.
Selbst Biofleisch bringt keine sonderliche Verbesserung, da die Tiere in der Regel länger leben, mehr Getreide verbrauchen und mehr fressen, pupsen und rülpsen. Inzwischen ist daher fraglich, ob die Fleischesserei bei über sieben Milliarden Menschen auf dem Planeten wirklich noch eine große Zukunft hat: Im globalen Durchschnitt verbraucht ein Mensch rund 43 Kilo Fleisch im Jahr; wir Deutschen essen mit 60 Kilo fast ein Drittel mehr als andere. Die weltweite Fleischproduktion hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren von 78 auf 308 Millionen Tonnen pro Jahr gut vervierfacht, und die Viehwirtschaft verursacht inzwischen 18 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen – also CO
2
, Methan und andere Treibhausgase, die in der Herstellungskette anfallen, zusammengerechnet.
So lecker das Steak vom Grill mit einem Bierchen an einem lauen Sommerabend auch ist, wir werden uns davon in Zukunft verabschieden oder zumindest deutlich weniger futtern müssen. Zumal die Alternativen den Weg vom Reformhaus in die Regale vom Supermarkt nebenan gefunden haben. Tofu, Tempeh oder Seitan sind – noch – Geschmackssache. Beim CO
2
-Verbrauch haben sie im Vergleich zu Rindfleisch aber die Nase vorn, nämlich zwischen 2,4 und 3,8 Kilo CO
2
pro Kilo.
Noch weniger Emissionen entstehen im Normalfall beim Anbau von Obst und Gemüse – regionales Grünzeug fällt mit durchschnittlich rund 153 Gramm CO
2
dagegen total ab. Wer also ohne Fleisch auskommt, lebt gesünder und schont die Umwelt: Vegetarier liegen bei ihrer Ernährung bei einer Emission von rund 0,98 Tonnen CO
2
jährlich, Veganer bei einer Emissionsrate von 0,83 Tonnen.
Zum Vergleich: Mit einer herkömmlichen Mischkost, also mit Fleisch, kommt man laut Öko-Institut auf 1,32 Tonnen CO
2
pro Jahr.
Aber Vorsicht! Auch eine rein pflanzliche Ernährung kann ein echter Klimakiller sein, nämlich dann, wenn das Grünzeug nicht regional angebaut wird: Von einem Kilo duftender Flugananas oder Flugmango – dem Obst, das so schön reif ist, dass wir es gleich verzehren können – gehen rund elf Kilo CO
2
aus (die gleiche Menge Äpfel aus der Region würden nur mit 230 Gramm CO
2
ins Gewicht fallen).
Geradezu heimtückisch fürs Klima ist auch die bei Vegetariern und Veganern wegen ihres Nährstoffgehaltes beliebte Avocado, ehedem als Alligatorbirne bekannt. Sie muss von weit her transportiert werden, und ihr Anbau erfordert einen enormen Wasserverbrauch in Ländern, die eher trocken und heiß sind. 500 Millionen Stück werden davon inzwischen jedes Jahr auf der Erde geerntet.
Für ein Kilo Avocados braucht man rund 1000 Liter Wasser, und es werden pro Jahr allein in Mexiko 600 bis 1000 Hektar Wald für den Anbau des grünen Golds abgeholzt. Und egal, ob wir nun Fleisch, Obst oder Gemüse kaufen, generell gilt: Alles, was tiefgekühlt ist, wiegt, was den CO
2
-Ausstoß angeht, dreimal so schwer wie ein frisches Lebensmittel – durch die Masse an Energie, die fürs Frosten draufgeht. Wirklich klimaneutral würden wir also erst dann essen, wenn der ganze Produktions-, Transport- und Lagerprozess ohne CO
2
auskommt.
CO2-TAGESZÄHLER: +1500 Gramm
15:00 Uhr "Ich bin drin!", freute sich Boris Becker in den Neunzigerjahren noch im AOL-Werbespot. Mittlerweile sind wir alle drin, im Internet, und zwar ständig. Im Job geht kaum noch etwas ohne das allwissende Netz – und sei’s zum kurzen Zeitvertreib zwischendurch –, wir tragen es mit dem Smartphone in der Hosentasche mit uns herum, und auch zu Hause regeln wir inzwischen weite Teile des Alltags mit der Hilfe des World Wide Web, vom Einkauf über die Adresssuche bis hin zu Handwerkeranfragen. Dabei ist das Internet alles andere als eine saubere Sache: Das Marktforschungsunternehmen Gartner schätzte 2009, dass das Netz einen ähnlich hohen CO
2
-Ausstoß hat wie der gesamte Luftverkehr – also etwa zwei Prozent vom weltweiten Gesamtvolumen der Emissionen.
Allein eine Google-Suchanfrage hat durch die Energie, die in den Rechenzentren verbraucht wird, über die unsere Anfrage läuft, einen Ausstoß zwischen einem und zehn Gramm CO
2
. Google selbst gibt an, dass eine Suchanfrage durchschnittlich 0,2 Sekunden dauere und dass dies nur einen Ausstoß von 0,2 Gramm CO
2
verursache. Das ist tatsächlich nicht viel, läppert sich bei rund 5,6 Milliarden Suchanfragen pro Tag aber dann doch – laut Statistik-Portal Statista waren es allein 2016 3,29 Billionen Suchaufträge, Tendenz steigend. Macht gesamt pro Jahr: 658.000 Tonnen CO2. Gehen wir mal davon aus, dass wir an einem normalen Arbeitstag rund zwanzig Suchanfragen bei Google stellen, dann kommen zwei Gramm CO2 auf unsere Rechnung.
CO2-TAGESZÄHLER: +4 Gramm
18:30 Uhr Nach getaner Arbeit steht das Auto endlich wieder sicher unter dem Dach des heimischen Carports (der Heimweg ist oben CO2-technisch schon einberechnet). Am Ende eines langen Tages bleibt nichts anderes, als die Wohnungstür in Vorfreude auf das Sofa und einen gemütlichen Fernsehabend aufzuschließen ... und innerlich zu stöhnen, dass keine Heinzelmännchen in unserer Abwesenheit aufgeräumt und geputzt haben.
Reinemachen kostet neben Schweiß auch Strom: Eine halbe Stunde Staubsaugen beispielsweise 422 Gramm CO
2
, 60-Grad-Wäsche 1060 Gramm und eine Stunde Bügeln 432 Gramm – ein CO
2
-Budget, das wir hier anteilig für einen Reinigungsgang in der Woche mit rund 273 Gramm CO
2
veranschlagen. Besonders schwer würde das wiegen, was die Wäsche wieder leicht und luftig macht: Der Wäschetrockner schlägt mit 2150 Gramm zu Buche. Das darin getrocknete Hemd ist also ungefähr so clean wie Kohle.
CO2-TAGESZÄHLER: +273 Gramm
20:00 bis 23:00 Uhr Wer rechtschaffen hungrig ist, nachdem er oder sie den Putzlappen geschwungen und den Staubsauger durch die Wohnung spazieren geführt hat, kredenzt sich vielleicht noch ein leichtes Reisgericht:
250 Gramm Shrimps – 400 Gamm CO
2
.
100 Gramm Reis – 413 Gramm CO
2
.
Danach ist Medienzeit angesagt: Eine Folge The Walking Dead auf Netflix kostet nicht nur etliche Zombies ihre postmortale Existenz, sondern auch je nach der Art des Geräts (Flachbildfernseher, Notebook, Desktop-PC) rund 72 Gramm CO
2
in der Stunde. Je größer der Bildschirm, umso mehr Strom verbraucht unser Freizeitvergnügen und desto klimaschädlicher ist es. Im Winter kommen noch Heizung und Licht dazu – die Heizung ist mit durchschnittlich 9500 Gramm CO
2
pro Tag einer der größten Punkte auf der Liste.
Wenn wir schließlich den Kopf aufs Kissen betten, die Nachttischlampe ausknipsen und selig wegdösen, stoßen wir abgesehen von unserem friedlichen Atem (4 Prozent der Ausatemluft ist CO
2
) zum ersten Mal seit dem Weckerklingeln am Morgen kein Kohlenstoffdioxid mehr aus. Allein an diesem recht durchschnittlich wirkenden Klimakillertag haben wir als einzelner Mensch einiges an Treibhausgas an die Luft gesetzt:
CO2-TAGESZÄHLER INSGESAMT: 8573,4 Gramm oder: 8,6 Kilogramm
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Generation Weltuntergang" von Anne Weiss und Stefan Bonner.
Im Video: Wenn Gletscher schmelzen, wird radioaktives Material freigesetzt
Wenn Gletscher schmelzen, wird radioaktives Material freigesetzt
FOCUS Online/Wochit
Wenn Gletscher schmelzen, wird radioaktives Material freigesetzt