Auch das alltägliche Gehen erfordert komplexe Bewegungen wie Haltungsänderungen und die Koordination aller vier Gliedmassen. Es ist bekannt, dass die sogenannte Mesenzephale Bewegungsregion, ein Teil des Mittelhirns, bei vielen Tierarten an der Steuerung des Gehens beteiligt ist. Die Funktion von Neuronen in diesem Bereich des Gehirns ist jedoch immer noch umstritten.
Bewegungen von Mäusen
Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Silvia Arber am Biozentrum der Universität Basel und Gruppenleiterin am FMI hat die Mesenzephale Bewegungsregion bei Mäusen genauer unter die Lupe genommen. Das Team hat dabei verschiedene Neuronenpopulationen gefunden und charakterisiert, die nicht allein für das Gehen, sondern auch für andere Bewegungen zuständig sind.
Durch die in «Cell» veröffentlichten Ergebnisse muss die bisher angenommenen Rolle dieses Schlüsselteils im Mittelhirn neu überdacht werden. «Es war überraschend, dass in dieser Region, die in Fachkreisen jeder mit dem Gehen in Verbindung gebracht hat, viele der Neuronen gar nicht während des Gehens aktiviert werden», sagt Arber.
Zwei Neuronenpopulationen aktiv bei Bewegungen, jedoch nicht beim Gehen
Das Team entdeckte zwei örtlich nicht trennbare Populationen von Neuronen – eine sendet Reize hinunter zum Rückenmark, eine andere verbindet sich in die entgegengesetzte Richtung mit Teilen eines Gehirnbereichs, die als Basalganglien bezeichnet werden.
Die mit dem Rückenmark verbundenen Neuronen erhöhten ihre Aktivität, wenn sich die Mäuse aufrichteten, während die andere Population aktiv wurde, wenn die Tiere ihre Vorderbeine während der Fellpflege oder dem Umgang mit Gegenständen bewegten. Aber nur ein kleiner Teil dieser Neuronen schaltete sich während des Gehens ein, beobachteten die Forschenden.
Weitereführende Experimente
In weiterführenden Experimenten untersuchten sie die Funktion dieser zwei Populationen. Diese zeigten, dass Neuronen, die direkt mit dem Rückenmark verbunden sind, an der Regulierung der Körperstreckung und der Haltungsänderungen beteiligt sind. Im Gegensatz dazu ist die zweite Population in die Regulation von verschiedenen Bewegungen involviert.
Neue Möglichkeiten in der Therapie von Parkinson-Patienten
Die Ergebnisse führen nicht nur zu einer Neubewertung einer jahrelangen Vorstellung über die Rolle der Mesenzephalen Bewegungsregion. Die Studie könnte zudem Auswirkungen auf die Therapien von Parkinson-Patientinnen und -Patienten haben, die nicht auf Medikamente ansprechen.
Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung, die zu Zittern, Steifheit und Problemen bei der Kontrolle verschiedener Bewegungen führt. Zur Linderung von Haltungs- und Gangstörungen kommt eine experimentelle Therapie namens Tiefenhirnstimulation zum Einsatz, bei der elektrische Impulse direkt an die Mesenzephalen Bewegungsregion der Patienten abgegeben werden. Die Ergebnisse der Therapie sind jedoch sehr inkonsistent.
Keine Vorteile, dafür Nebenwirkungen
Während einige Patienten von kleinen Vorteilen berichten, treten bei anderen viele Nebenwirkungen auf. Arbers jüngste Ergebnisse legen nahe, warum: Das Anlegen elektrischer Impulse an alle Neuronen beeinflusst die Aktivität der verschiedenen neuronalen Populationen auf unkontrollierte Weise.
«Eine bessere Strategie wäre es, nur jene Neuronen zu stimulieren, die ihre Reize zum Rückenmark oder zur Medulla oblongata leiten», sagt Arber. «Therapeutische Ansätze, die auf bestimmte Neuronen abzielen und diese aktivieren, könnten sehr erfolgreich sein.»
Der nächste Schritt
In einem nächsten Schritt plant das Team, die Rolle der Mesenzephalen Bewegungsregion bei der Auswahl von Bewegungen genauer zu untersuchen – einem Prozess, bei dem das Gehirn eine bestimmte Bewegung «auswählt» und dadurch andere motorische Befehle hemmen muss, da man ja nur eine Bewegung auf einmal ausführen kann.
«Es ist spannend, dass diese Region mehr als nur das Gehen steuert. Darum wird es interessant sein zu verstehen, wie die von uns identifizierten Neuronen mit anderen Gehirnregionen kommunizieren, die an der Bewegungssteuerung beteiligt sind», sagt Arber.