Der Niedergang der Bodenseefischerei scheint jedenfalls nicht aufzuhalten. Und gerade erst ist ein neues Problem aufgetaucht: Seit Monaten beschäftigen sich Forscher mit Fluorverbindungen im Bodensee, die sich in den Fischen anreichern. Ihre Moleküle tragen Per- und Polyfluoralkylgruppen und verleihen beispielsweise Outdoorklamotten wasserabweisende Eigenschaften. Nachweisbar sind diese Substanzen in Bodenseefischen schon länger, nur nicht in Mengen, die als bedenklich galten. Seit vergangenem Jahr allerdings bewertet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit diese Stoffe deutlich strenger. „Der Verzehr von beliebten Speisefischen wie dem Felchen oder Barsch könnte in Zukunft auf dieser neuen Grundlage möglicherweise nicht mehr uneingeschränkt empfohlen werden“, schreibt Alexander Brinker in einem neuen Band über die Bodenseefischerei. Im Landwirtschaftsministerium in Stuttgart sieht man weniger Grund zur Sorge. Der Verzehr von Bodenseefisch sei nach aktueller Einschätzung „nicht bedenklich“.
Trotzdem: Wie geht es weiter mit dem Bodensee? Wer das wissen will, muss sich mit Piet Spaak unterhalten. Der fröhliche Niederländer lebt seit 25 Jahren im Zürcher Oberland. Man hätte ihn gerne am See getroffen, aber Corona lässt Grenzübertritte nur eingeschränkt zu. Spaak ist Ökologe und Biologe und arbeitet am eidgenössischen Wasserforschungsinstitut Eawag in Dübendorf bei Zürich. Spaak erforscht aquatische Lebensräume und leitet das Projekt Seewandel. Zudem ist er Mitglied der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee. Von der Fischzucht ist er nicht überzeugt, das möchte er gleich sagen. Die Gewässerschutzkommission fordert daher auch ein dauerhaftes Verbot von Zuchtanlagen. Er befürchtet, Krankheiten könnten von Zucht- auf Wildtiere übertragen werden, Zuchttiere entweichen und zu viele Nährstoffe in den See gelangen. Ein einziges Netzgehege sei zwar nicht weiter schlimm, sagt er, allerdings sei ein einziges Netzgehege auch nicht wirtschaftlich. Das schaffe Anreiz für mehr Aquakulturen im Freiwasser – mit unabsehbaren Folgen für das Ökosystem. Spaak fragt sich daher, ob man für ein paar Dutzend Fischer das saubere Trinkwasser für Millionen von Menschen riskieren sollte. Hoffnung kann er den Fischern jedenfalls keine machen. „Der Seewandel wird weiter voranschreiten“, sagt er. Denn eins sei sicher: Der Bodensee steht auch ohne Fischzucht unter zunehmendem Druck.
Diesen Druck verursacht einerseits der Klimawandel. Die steigenden Temperaturen erwärmen das Seewasser und verändern seine Schichtung. Zudem mischt sich das Wasser weniger gut, weil die Winter immer wärmer werden. Dadurch verharren auch die Nährstoffe in tieferen Schichten und werden nicht mehr nach oben gespült. Es sind aber gerade begehrte Fische wie Felchen, Seesaiblinge, Seeforellen und Trüschen, die für ihre Fortpflanzung kaltes Wasser benötigen. Immer intensivere Hitzewellen in Seen könnten diese Fische künftig bedrohen, wie eine Studie kürzlich in Nature ergab. Die andere Gefahr geht von invasiven Arten aus, die mit den heimischen um Nahrung und Lebensraum konkurrieren. So bleibt immer weniger Plankton für Felchen und Barsche übrig. Daher wäre schon aus diesem Grund der Nutzen höherer Nährstoffeinträge in den See fraglich. Dass höhere Phosphorwerte wieder mehr Felchen brächten, sei daher alles andere als sicher, sagt Spaak.
„Es wird in Zukunft immer weniger Fische im Bodensee geben“, erwartet Piet Spaak. Und weniger Fische bedeuten weniger Fischer, die davon leben können. 37 Invasoren sind gegenwärtig bekannt, am gefürchtetsten sind Stichling und Quaggamuschel. Der Dreistachlige Stichling ist seit den vierziger Jahren im Bodensee etabliert, aber erst im Spätjahr 2012 breitete er sich im Freiwasser massiv aus. Er macht den Felchen die Nahrung streitig und frisst ihre Nachkommen. Elf Zentimeter misst ein ausgewachsenes Exemplar, ist aber nicht einmal als Fischfutter zu gebrauchen.
Größeres Kopfzerbrechen bereitet Piet Spaak aber die Quaggamuschel. 2016 erstmals nachgewiesen, breitet sich die braune, gestreifte Dreikantmuschel massiv aus. Sie stammt aus der Schwarzmeerregion, vermehrt sich das ganze Jahr und ernährt sich von Algen, die auch dem Zooplankton als Nahrungsquelle dienen. Sie lebt bevorzugt am Seegrund, heftet sich unbemerkt an Steine oder Wasserpflanzen, aber auch an Boote, Turbinen oder Rohrsysteme. Ist ein See von ihr besiedelt, wird er sie nicht mehr los. Im Bodensee hat ihr Einmarsch gerade erst begonnen. Letzten Sommer wurde ein Schleppnetz über den Seegrund gezogen, man fand vereinzelte Exemplare. „Das hat mich beunruhigt“, sagt Spaak, denn bekämpfen kann man die Molluske nicht. Das Einzige, was der Quaggamuschel schaden könnte, wäre eine Krankheit, aber auch das sei Spekulation. „Wir können nur aufpassen, dass sich die Art nicht noch in anderen Seen ausbreitet“, sagt er.