Die Toilette könnte bald nicht mehr nur ein stilles Örtchen sein. Glaubt man Prognosen von Zukunftsforschern aus Zürich und Wageningen, ist die Kloschüssel künftig mit dem Internet verbunden. Sie analysiert automatisch das Darmmikrobiom und schlägt auf dieser Basis Kochrezepte vor. Die Zutatenliste dafür sendet sie an den Kühlschrank, der bedarfsgerecht die Bestellung auslöst. Ein Liefer-bot bringt den Einkauf dann nach Hause. Hermes testet solche Geräte schon.
Was wie eine Szene aus einem Sience- Fiction-Film klingt, scheint gar nicht mehr so weit hergeholt. Bereits seit 30 Jahren wird an einer personalisierten Ernährung geforscht. Start-ups versprechen auf Basis individueller Mikrobiom-, Blut- oder DNA-Analysen maßgeschneiderte Ernährungsprogramme. Denn jeder Körper reagiert auf gleiche Lebensmittel anders. Insofern sollen personalisierte Vorschläge beim Abnehmen helfen, Bluthochdruck und Diabetes vorbeugen oder gar bekämpfen.
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Auch Lebensmittelfirmen haben Produkte mit speziellem Gesundheitsnutzen längst als Geschäftsmodell entdeckt. Doch Professorin Hannelore Daniel, die Grand Dame der deutschen Ernährungsforschung, warnt auf einem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vor überzogenen Erwartungen. Zwar werde die Analyse der menschlichen DNA immer schneller und vor allem kostengünstiger möglich. „Allerdings resultieren nahezu alle Grundlagen für personalisierte Konzepte nur aus Beobachtungsstudien und weisen meist recht bescheidene Effekte aus“, sagt sie. Klare, wissenschaftlich belegbare Empfehlungen sind also noch nicht möglich.
Für die Zukunft unserer Ernährung, da sind sich die Wissenschaftler einig, stellen sich zwei ganz andere Herausforderungen. Zum einen nehmen angesichts ständig verfügbarer und hoch verarbeiteter Lebensmittel ernährungsbedingte Krankheiten weiter zu und verursachen enorme Kosten für das Gesundheitssystem. „In Deutschland sind einer Studie zufolge 18,5 Prozent der Todesfälle auf falsche Ernährung zurückzuführen“, sagt Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner. Weltweit seien mehr als zwei Milliarden Menschen übergewichtig, davon ein Drittel adipös als Folge chronischer Überernährung. Demgegenüber stehen mehr als 800 Millionen Menschen, die an Hunger leiden.
Auch das zweite Problem ist ein globales. „Das Bevölkerungswachstum, der größer werdende Lebensmittelverbrauch des Einzelnen und die Produktion tierischer Lebensmittel benötigen immer mehr natürliche Ressourcen“, sagt Dr. Alexander Popp vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. Laut Umweltbundesamt verursacht unsere Ernährung 15 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase. Wissenschaftler fordern deshalb eine radikale Änderung der Ernährungsgewohnheiten.
Wie dies erreicht werden könnte, damit beschäftigt sich das Bundesforschungsinstitut für Ernährung Max Rubner. Und das sieht vor allem fünf Wege.
1. Weniger Tier
Etwa die Hälfte der ernährungsbedingten Emissionen geht auf das Konto tierischer Produkte. Weniger Fleisch, das dürfte inzwischen jeder wissen, würde nicht nur der Umwelt, sondern auch der Gesundheit guttun. „Aber es dauert sehr lange, bis sich Ernährungsverhalten wirklich ändert“, sagt Pablo Steinberg, Präsident des Max Rubner-Instituts. „Zwar bezeichnen sich 6,5 Millionen Deutsche als Vegetarier beziehungsweise als Menschen, die weitgehend auf Fleisch verzichten.“ Doch im Vergleich zu 2007 sei da kaum eine Steigerung zu erkennen. Lediglich der Anteil der Veganer oder weitgehend vegan Lebenden wächst leicht und lag im vergangenen Jahr bundesweit bei mehr als 1,1 Millonenen.
Steinberg spricht von einer geteilten Gesellschaft. „Unterm Strich ist der Fleischkonsum in Deutschland pro Kopf nur wenig gesunken – von 63,9 Kilogramm 1991 auf 59,5 Kilo 2019, hauptsächlich Schwein.“ Obwohl die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihren Qualitätsstandards für die Kita-, Schul- und Betriebsverpflegung deutlich weniger Fleisch empfiehlt, kommt es dort oft noch täglich auf die Teller. Seit dem Debakel um den Veggieday wagt sich politisch allerdings niemand, hier verpflichtend einzugreifen. Und weltweit gesehen steigt der Fleischverbrauch sogar noch an – besonders rasant in China. Das, so Steinberg, müsse anders werden. Die DGE hat jetzt reagiert. Ihre Ernährungsempfehlungen orientieren sich erstmals nicht mehr nur an der Gesundheit, sondern auch an Umwelt, Tierwohl und Sozialem.
2. Pflanzlicher Ersatz
Die Ernährungswissenschaft konzentriert sich derzeit auf Forschungen zu Fleischalternativen. Die gängigste Form sind vegetarische und vegane Ersatzprodukte. Nach dem neuen Ernährungsbericht der Bundesregierung kann sich mehr als die Hälfte der Deutschen vorstellen, sie verstärkt zu konsumieren – und sei es zunächst nur aus reiner Neugierde. Dementsprechend ist auch die Produktion von pflanzlichen Brotbelägen, Würstchen oder Hack in Deutschland erheblich gestiegen – von 60.400 Tonnen 2019 auf 83.700 Tonnen im vergangenen Jahr.
Auch McDonalds hat seit Jahren einen veganen Burger im Angebot - der sogar appetitlicher aussieht als der BigMac im Hintergrund.© Maximilian Helm
Präsident Steinberg lobt Fortschritte bei der Verarbeitung und im Geschmack. „Es gibt heute fleischlose Burger, deren Textur sich von normalen Hamburgern kaum unterscheidet.“ Die Stiftung Warentest sieht darin große Vorteile für die Umwelt. So liege der CO2-Fußabdruck eines Soja-Bratlings bei 1,1, bei einem Bratling aus Rind dagegen bei 9. Die Maßeinheit gibt die Treibhausgase in Kilogramm CO2-Äquivalent an, die pro Kilogramm Lebensmittel vom Feld bis in den Laden entstehen.
Laut Steinberg seien mit neuen Ersatzprodukten aber auch zunehmend offene Fragen zu klären: Welche Mengen an Zusatzstoffen sind drin? Welche potenzielle Allergenität und Toxizität geht von ihnen aus? Und inwieweit kann damit der Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen ausreichend gedeckt werden?
3. Fleisch aus dem Labor
Als der Holländer Mark Post im Sommer 2013 seinen ersten Burger aus In-vitro-Fleisch präsentierte, wurde er noch belächelt – auch, weil dieser extrem viel kostete. „Im vorigen Jahr waren es schon 32 Unternehmen, die sich mit der Produktion von künstlichem Fleisch aus Stammzellkulturen beschäftigen – von Steak ohne Rind, Geflügel ohne Huhn und Garnelen mit null Prozent Garnele“, sagt Steinberg.
Sechs Firmen würden sogar Mäusefleisch züchten – nicht für Menschen, sondern für den Heimtierbedarf. Steinberg erwartet, dass Laborfleisch bald massentauglich wird. Prognosen würden davon ausgehen, dass der weltweite Umsatz damit bis 2040 auf 630 Milliarden US-Dollar steigt. Derzeit allerdings können sich nur die wenigsten Deutschen vorstellen, es zu essen.
4. Neuartige Lebensmittel
Ähnlich hoch ist hierzulande noch die Skepsis gegenüber Insekten, die als alternative Proteinquelle gepriesen werden. Laut Bundesamt für Lebensmittelsicherheit gibt es weltweit schätzungsweise 1.900 essbare Insektenarten. Einige wie Grillen oder Heuschrecken kann man in Deutschland schon in Form von Müsliriegeln oder Mehl kaufen. Für jede neue Insektenart allerdings verlangt die Novel-Food-Verordnung der EU nun eine gesonderte Zulassung als neuartiges Lebensmittel. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat eine solche erstmals Anfang Mai für den gelben Mehlwurm erteilt. Seine getrocknete Larve darf als Ganzes oder gemahlen angeboten oder als Zutat beispielsweise für Nudeln oder Kekse eingesetzt werden.
Die Zurückhaltung bei der Produktion von Lebensmitteln aus Insekten hat laut Pablo Steinberg nicht nur geschmackliche, sondern auch finanzielle Gründe: „200 Kilokalorien aus Insekten zu generieren, ist viel teurer als aus Schwein oder Rind“, sagt er. Größere Chancen räumt er Insekten aber als Proteinzusatz in Heimtierfutter ein. So gebe es bereits heute entsprechende Produkte für Hunde oder Fische. Der Einsatz im Nutztierfutter allerdings ist noch verboten.
5. Vertikale Landwirtschaft
Was derzeit in Holland und Japan schon getestet wird, soll künftig vor allem in großen Städten ganzjährig für frisches Obst und Gemüse sorgen, auf kurzem Weg. Beim sogenannten vertical farming wachsen Pflanzen in mehrstöckigen Gebäuden auf riesigen übereinander gelagerten Ebenen – und zwar nicht in Erde, sondern auf wiederverwendbaren Netzen aus recyceltem Kunststoff. Ein computergesteuertes Kreislaufsystem versorgt sie mit Wasser und Nährstoffen. „Das hat viele Vorteile, braucht aber noch sehr viel Energie für Heizung und Beleuchtung“, sagt Steinberg.
Was lernen wir daraus?
Der Präsident des Max Rubner-Instituts fordert eine breitere öffentliche Debatte über die Ernährung der Zukunft. „Das Interesse an gesundem Essen und an Themen wie bio, Regionalität, Fairness und handwerklicher Herstellung ist groß. Es kursieren aber viele Informationen, die nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen“, kritisiert er.
Steinbach wünscht sich verbindliche Standards für Nachhaltigkeit sowie Entscheidungshilfen für Konsumenten, denen man vertrauen kann. Gleichzeitig müsse man gesellschaftliche Faktoren berücksichtigen wie wenig Zeit und Lust zum Kochen, was wiederum zu mehr Fertigkost verführe.
Eines ist laut Steinbach sicher: „Wenn wir bei Lebensmitteln die Preisspirale nach unten weiter beibehalten, werden wir die nötige Transformation unserer Ernährung nicht hinbekommen.“ Etwa 20 Prozent der Bevölkerung könnten sich keine teureren Lebensmittel leisten. Steinbach: „Deshalb müssen wir darüber reden, wie wir diese Gruppe unterstützen können statt weiterzumachen wie bisher.“