Es ist ein eher unscheinbarer Neubau, der vor eineinhalb Jahren mit einem Schlag weltweit höchst gefragt ist. Das Coronavirus breitet sich zu diesem Zeitpunkt unkontrolliert aus. Politik und Wissenschaft agieren großteils im Blindflug, denn Tests auf das neuartige Coronavirus gibt es praktisch nicht. An der weltweiten Lösung für dieses Problem ist auch das Team des IAEA-Labors für Tiergesundheit beteiligt: Konkret geht es um den „Real Time RT-PCR-Test“, der mittlerweile unter dem vereinfachten Begriff PCR-Test auch Laien bekannt ist.
Für diese spezielle PCR-Variante wurden früher radioaktive Stoffe verwendet, heutzutage ist das nicht mehr nötig. Aufgrund dieses nuklearen Ursprungs sind die IAEA-Forscherinnen und -Forscher in Seibersdorf (Bezirk Baden) allerdings überhaupt erst zuständig. Dadurch kannten sie sich bestens mit der Methode aus – im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen in anderen Laboreinrichtungen, die mit der Situation anfangs überfordert waren.
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Dieser Notfallkoffer mit PCR-Geräten wurde von Seibersdorf aus in die Welt verschickt
In dem IAEA-Labor hat man sich auf Testverfahren spezialisiert, die mit nuklearer Technologie in Verbindung stehen
Das Gebäude dafür wurde vor kurzem neu errichtet
Die Mitgliedsstaaten der IAEA sollen dafür jeweils einen Beitrag leisten
„Wir haben damals hunderte Anfragen von Mitgliedsstaaten der Atomenergiebehörde bekommen“, erzählt Laborleiter Giovanni Cattoli beim Besuch von noe.ORF.at. Sein Team stellte daraufhin ein Notfallset zusammen. In einer orangen Box wurden alle Geräte gesammelt, die für diese besonders wirksame Testmethode notwendig sind. „Wenige Stunden, nachdem ein Labor diese Notfallbox zusammen mit Reagenzien und Anleitungen erhält, ist es bereit, um viele Menschen oder auch Tiere auf das Virus zu testen“, sagt Cattoli. Für die Forscherinnen und Forscher in Seibersdorf war es damals eine intensive Zeit: In 128 Länder wurde ihr Set ausgeliefert, um überall auf der Welt möglichst schnell mit den Tests starten zu können.
Nukleare Lösungsfindung für Mitgliedsstaaten
Es ist nur ein Beispiel für die Forschungsarbeit der Internationalen Atomenergiebehörde. Die Organisation der Vereinten Nationen hat ihren Hauptsitz in der UNO-City in Wien. In Seibersdorf, wo Österreich bereits in den 1950er-Jahren an der Kernenergie geforscht hatte, betreibt die IAEA einen separaten Bereich. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen arbeiten Spezialistinnen und Spezialisten aus unterschiedlichen Fachrichtungen – verbindendes Element sind die nuklearen Technologien.
Zum einen befinden sich in dem Zentrum die „Safeguards Analytical Laboratories“ der IAEA. Dort werden nukleare Proben untersucht, unter anderem, um die Einhaltung des Atomabkommens mit dem Iran zu kontrollieren. Es ist ein besonders sensibler Bereich, den wir beim Besuch von noe.ORF.at nicht betreten dürfen. In den anderen Labors auf dem Gelände wird radioaktive Strahlung mit anderen Bereichen der Naturwissenschaften verknüpft, zum Teil in Form einer Kooperation mit der Welternährungsorganisation FAO. In der Regel fragt ein Mitgliedsstaat an, ob die IAEA bei einem bestimmten Problem helfen kann. Dann kümmern sich die Forscherinnen und Forscher in Seibersdorf darum.
Die Anlage wurde vor etwa 60 Jahren errichtet, demnächst will man ältere Forschungseinrichtungen auf dem Gelände erneuern
Ein gutes Beispiel dafür ist das Labor zur Bekämpfung von schädlichen Insekten. Es befindet sich ebenfalls in einem Neubau, direkt gegenüber dem bereits erwähnten Labor für Tiergesundheit. Das Grundproblem ist simpel: Unterschiedliche Insekten übertragen in vielen Ländern der Welt Krankheiten auf Menschen und Tiere, sie schädigen dadurch auch die Landwirtschaft. Ein Problem, das sich nicht zuletzt wegen des Klimawandels immer weiter verschärft.
Ziel der Forschung ist eine Alternative für klassische chemische Insektengifte, sagt Laborleiter Marc Vreysen: „Jedes Jahr versprühen Landwirte weltweit Insektizide im Wert von 65 Milliarden Dollar. Das ist schlecht für Umwelt, Landwirte und Konsumenten.“ Es brauche stattdessen einen umweltfreundlichen Weg, um die Zahl an schädlichen Insekten zu reduzieren.
Nukleares Forschungszentrum in Seibersdorf
Vom klassischen Röntgenbild über Bestrahlungstherapie bis hin zum PCR-Test – ohne nukleare Technologien wäre die Wissenschaft nicht dort, wo sie heute steht. Eines der weltweit wichtigsten Forschungszentren dazu befindet sich in Seibersdorf.
Milliardenfache Insektenzüchtung als Lösung?
Der Lösungsansatz in Seibersdorf klingt anfangs paradox: Es geht um die massenhafte Züchtung von Insekten – allerdings nur um männliche. Diese werden dann mithilfe von radioaktiver Strahlung sterilisiert und freigelassen. Wenn sich dann Milliarden dieser Insekten mit Weibchen paaren, pflanzen sie sich trotzdem nicht fort, die Zahl der Insekten sinkt. Dieses Prinzip wurde bereits in mehreren Ländern erfolgreich angewendet. In jedem dieser Fälle ist die Ausgangslage allerdings eine andere. So brauchen unterschiedliche Insektenarten etwa unterschiedliche Nahrung, sie werden auch auf unterschiedliche Weise sterilisiert. All das wird in Seibersdorf untersucht.
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Unterschiedliche Insektenarten werden in Seibersdorf erforscht, unter anderem die vielerorts gefürchtete Tsetse-Fliege
Bei den Forschungen geht es etwa um die richtige Ernährung (weiße Behälter) für die Massenproduktion von sterilen Insekten
Die Tiere werden bestrahlt und so unfruchtbar gemacht
Um die Überlebensfähigkeit der gezüchteten Insekten in freier Wildbahn sicherzustellen, wird in speziellen Testräumen das Ökosystem nachgebaut
Nach den Vorarbeiten in Seibersdorf sollen die Verfahren in vielen Ländern weltweit zum Einsatz kommen
Ethische Einwände gegen die Methode lässt Vreysen nicht gelten. Die gezüchteten Tiere seien selbst etwa nicht radioaktiv strahlend. Dadurch, dass sie sich selbst nicht fortpflanzen können, entstehe kein zusätzlicher Schaden an der Umwelt. Auch der menschliche Eingriff in die Natur sei nicht bedenklich, da es sich in den meisten Fällen um eingeschleppte Insekten handle. „Die Fruchtfliegen, mit denen wir arbeiten, haben sich zum Teil in den vergangenen einhundert Jahren ausgebreitet“, sagt der Laborleiter. Die Bekämpfung dieser Arten helfe vielmehr dabei, das natürliche Ökosystem wiederherzustellen.
Generell sei die Arbeit in Seibersdorf für die Umgebung und die Allgemeinheit nicht gefährlich, wird überall betont. Einen Forschungsreaktor gibt es hier übrigens nicht – zumindest nicht seit der Stilllegung des benachbarten ASTRA-Reaktors. Dieser war bis 1999 auf dem heutigen AIT-Gelände betrieben worden – mehr dazu in Österreichs Einstieg in die Atomenergie (noe.ORF.at; 1.11.2018).
Klimawandel als bestimmendes Thema
Als Musterbeispiel für die Sicherheit dieser Forschung wird das Labor für Boden- und Wasserwirtschaft sowie Pflanzenernährung präsentiert. Hier geht es um bestimmte Isotope, also vereinfacht gesagt, um spezielle Arten von Atomen, die auf natürliche Weise in unserer Umwelt vorkommen. Die Forscherinnen und Forscher wollen diese natürlichen Isotope messen, um so etwa unterschiedliche Züchtungen einer Pflanze besser einschätzen zu können.
Ein Projekt befasst sich etwa mit Bananenpflanzen, die durch den Klimawandel immer unter Druck geraten. Die Konzentration eines speziellen Isotops zeige dem Team, wie viel Stress eine bestimmte Pflanze entwickelt. So können die widerstandsfähigsten Züchtungen ausgewählt werden, die unter schwierigen Bedingungen auch langfristig bestehen können. „Wir brauchen die nuklearen Technologien, um zu sehen, wo genau etwas passiert“, sagt Gerd Dercon, der dieses Labor leitet.
In diesem Gewächshaus geht es um die Widerstandsfähigkeit von weltweit wichtigen Nutzpflanzen, hier etwa Kaffee und im Hintergrund Bananen
Dafür müsse man nicht mit zusätzlicher Bestrahlung arbeiten, sondern nur die bestehende messen, was wiederum „harmlos“ sei, sagt Dercon: „Isotope gibt es überall, im Boden, in der Atmosphäre, im Wasser, auch in Pflanzen. Man muss nichts hinzufügen, auch nichts Gefährliches.“ Auch mit der umstrittenen Gentechnik habe diese Forschung nichts zu tun.
Maßnahmen gegen das nächste Coronavirus
Während die Welt sich noch mehr oder weniger mit der aktuellen Coronavirus-Pandemie beschäftigt, denkt man in Seibersdorf an die Zukunft, unter anderem im Labor für Tiergesundheit. Dort ist man sich sicher, dass das nächste Virus mit einem tierischen Ursprung nur eine Frage der Zeit ist.
Das Projekt „Zodiac“ soll hier gegensteuern. Zum einen sollen Labors weltweit mit neuen Testmethoden ausgestattet werden, um gefährliche Viren frühzeitig erkennen und Alarm schlagen zu können. Zum anderen setzt man auf Impfungen von Tieren. Geht der Plan aus Seibersdorf auf, dann sollte die nächste Pandemie gar nicht stattfinden.
Felix Novak, noe.ORF.at