Daniela Lager unterhält sich im «Puls»-Studio mit Philippe Luchsinger, Präsident der Schweizer Hausärzte, und Joram Ronel, Leiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Spezialklinik Barmelweid.
SRF: Herr Luchsinger, ein Vorwurf lautet, dass die Hausärztinnen und Hausärzte teilweise zu lange nach Schmerzursachen suchen, bis sie Patienten an Spezialisten überweisen. Lassen Sie den Vorwurf gelten?
Philippe Luchsinger: Teilweise lasse ich den sicher gelten, ja. Es geht aber darum, dass wir einen Patienten vor uns haben, der etwas von uns erwartet. Da ist es nicht immer ganz einfach, dem auch zu sagen: «Schau, Du musst dieses Problem vielleicht anders angehen, Dir vielleicht eine andere Sichtweise auferlegen. Der Schmerz, den Du jetzt hast, hat nichts mit Schmerzen zu tun, sondern mit einer ganz anderen Ursache an einem anderen Ort.»
Aber wenn man Patientinnen hat, die jetzt leiden und wo die Ursache nicht gleich gefunden wird – dann probiert man sie mit solchen Schmerzmitteln zu entlasten, oder?
Das probiert man ganz sicher. Und man versucht dann aber auch, den Patienten darauf hinzuweisen, dass das eben nicht eine fertige Lösung ist. Gerade bei Rückenschmerzen ist es ja ganz häufig so, dass wir nicht wissen, was eigentlich richtig weh tut, welches die Struktur ist, die weh tut. Sondern wir wissen einfach «es tut weh». Ob das dann wirklich der Rücken ist, ist eine andere Frage, der man dann nachgehen muss.
Joram Ronel, bei Ihnen landen Patientinnen und Patienten, nachdem sie zig Spezialisten konsultiert haben und der Hausarzt auch nicht mehr weiter weiss. Was läuft denn falsch bei der Suche nach den Ursachen von Schmerzen?
Joram Ronel: Ich glaube, dass diese ganze Ursachensuche per se schon ein Problem ist. Wir werden nicht weiter kommen mit Ursachensuche. «Die Ursache» gibt es in 90 Prozent der Fälle nicht, wird im Moment nicht gefunden. Deswegen müssen wir Ärzte abkommen von dieser Ursachensuche. Aber auch die Patienten. Wir müssen sie dabei unterstützen, dass sie von diesen Fragen wegkommen und auf die Lebensqualität achten.
Wenn jemand mit ganz realen Schmerzen zu ihnen kommt, wird diese Argumentation wohl nicht so gut ankommen...
Das ist eben die Kunst. Wir nehmen unsere Patienten ja ernst. Aber wenn wir die Ursachenforschung weiter und weiter treiben, heisst das nicht, dass wir unsere Patienten ernster nehmen. Stattdessen müssen wir an einem gewissen Punkt – und das ist das schwierige – einen Stopp machen und auf eine andere Strategie wechseln.
Bei der ganzen Opioid-Kritik könnte der Eindruck entstehen, dass sie des Teufels sind und eigentlich nur schaden. Gibt es denn Momente, wo ihr Einsatz gerechtfertigt ist?
Auf jeden Fall! Sie ist ein Segen bei Tumorpatienten. Es gibt das Stufenschema der WHO, da müssen wir es geben, weil wir wissen, dass man bei gewissen Schmerzen nichts anderes machen kann. Aber wir wissen auch: 50 Prozent der Opiatwirkung sind gemäss Studien Placebowirkungen! Wie bei anderen Medikamenten auch. Und da müssen wir anfangen, auch daran zu denken.
Sie sind Psychosomatiker, betrachten Körper und Psyche. Wenn ich heftige Schmerzen habe, möchte ich vielleicht einfach ein Medikament, das hilft – und kein nettes Gespräch mit einem Arzt. Spüren Sie diesen Druck?
Den Druck spüren wir immer. Das ist tatsächlich auch das Verführerische an diesem Medikament. Wir geben vermeintlich eine Lösung – und stattdessen zwei Probleme dazu. Wir müssen aber nicht Probleme geben, sondern mit dem Patienten zusammenarbeiten, ihn begleiten und mit ihm schauen, dass wir auf diesem jahrelangen Weg mit ihm zusammenarbeiten.
Herr Luchsinger: Noch eine Frage an Sie. Angesichts eines Wartezimmers voller Patienten, haben Sie als Hausarzt Zeit, um sich mit ihren Patienten hinzusetzen und sich auf die Reise zu begeben, die Herr Ronel da erwähnt?
Grade Patienten, die mit einer speziellen Problematik wie einem chronischen Schmerz kommen, sehe ich ja nicht das erste Mal so. Die habe ich schon mehrfach gesehen und werden bei uns in der Sprechstunde natürlich anders behandelt. Sie werden anders eingeschrieben, und denen probiere ich auch diese Zeit zu geben, um ein Gespräch zu haben und ihnen nicht einfach etwas abzugeben.