Dieses kleine Gewusel hatte vor ihm noch niemand gesehen. Fasziniert schaute der Belgier Antoni van Leeuwenhoek im Jahr 1675 durch sein selbstgebautes Mikroskop. Winzige Exemplare tummelten sich da in einer Probe. Regenwasser und Wasser aus einem nahen Teich hatte van Leeuwenhoek dafür gesammelt und untersucht. Was den Belgier damals faszinierte, ist heute vor allem als Krankheitserreger bekannt: Bakterien. Wissenschaftler der TU Dresden wollen in einem neuen Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nun zeigen, dass Bakterien durchaus faszinierend sind.
Trotz der Entdeckung van Leeuwenhoeks dauerte es noch weitere 200 Jahre, bis klar war, dass die Mikroorganismen Krankheiten verursachen. Der Arzt Robert Koch entdeckte den Erreger der Tuberkulose und stellte so erstmals einen Zusammenhang her. Der Franzose Louis Pasteur erforschte die bakteriologischen Ursachen von Gärungs- und Fäulnisprozessen.
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Doch seit Begründung dieser klassischen Bakteriologie Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich an der Wahrnehmung von Mikroben, den sogenannten Prokaryoten, bei denen kein Zellkern vorhanden ist, wenig geändert: Bakterien gelten bis heute als winzige, einzellige, wenig komplexe Organismen. Sie stehen damit den vermeintlich höheren Organismen, den sogenannten Eukaryoten gegenüber, die mit einem Zellkern ausgestattet sind. Eukaryoten zeichnen sich durch ein hohes Maß an Differenzierung ihrer komplexen und vielzelligen Spezies aus, allen voran natürlich die Tiere und Pflanzen.
Dabei ist die Vielzelligkeit in der Entwicklung des Lebens auf dieser Erde bakteriellen Ursprungs. Bisher scheiterte deren Untersuchung aber an den technologischen Möglichkeiten, weil bakterielle Zellen weitaus kleiner sind als die Zellen höherer Organismen. Hier setzt nun das neue Schwerpunktprogramm der DFG an: Die biophysikalischen Eigenschaften, die physiologischen Funktionen sowie der evolutionäre Ursprung der Vielzelligkeit bei Mikroorganismen sollen mittels modernster, hochauflösender optischer und chemischer Analyseverfahren detailliert untersucht werden.
Grundlagen für neue Antibiotika
Dafür arbeiten Wissenschaftler verschiedenster Fachbereiche zusammen. Ihr Ziel ist ein grundsätzliches Verständnis zu den biologischen Prinzipien und molekularen Mechanismen der Selbstorganisation und Interaktion in mikrobiellen Geweben. Der zu erwartende Erkenntnisgewinn birgt durchaus Anwendungspotenzial in sich. Das neue Wissen könnte zum Beispiel für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen in bakteriellen Gemeinschaften eingesetzt werden oder zur Entwicklung nützlicher Biofilme für die Biokatalyse.
Mit dem Forschungsprogramm möchte Sprecher Thorsten Mascher, Professor für Mikrobiologie an der TU Dresden, die Bedeutung und Entwicklung der Vielzelligkeit und von ausdifferenzierten mikrobiellen Geweben bei Bakterien verstehen. Das soll helfen, einen Paradigmenwechsel in der Mikrobiologie herbeizuführen: Bakterien sind bevorzugt vielzellig lebende Organismen.
Das Projekt ist eines von insgesamt dreizehn Schwerpunktprogrammen, die vom Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft nun bewilligt wurden. Die Förderung beträgt rund sechs Millionen Euro für die ersten drei Jahre bei einer Gesamtlaufzeit von sechs Jahren.
„Wir wollen wissenschaftlich fundiert die von uns so sehr geschätzten Mikroben aus der Schmuddelecke der langweiligen, weil winzigen und unscheinbaren Einzeller rausholen, die höchstens noch als Krankheitskeime Aufmerksamkeit erregen“, erklärt Thorsten Mascher den Ansatz der Arbeit. Es gehe bei diesem Schwerpunktprogramm um nichts weniger, als eine neue Wahrnehmung von Mikroorganismen zu beginnen. „Die schlägt sich hoffentlich auch in zukünftigen Lehrbüchern nieder“, ergänzt der Professor. Bakterielles Leben sei bevorzugt multizellulär und komplex ausdifferenziert. Nun wird es Zeit, das genauer zu erforschen.