Der Coronavirus wurde von Tieren auf uns Menschen übertragen. Dass das Risiko solcher Zoonosen steigt, ist kein Zufall. Der Mensch selbst begünstigt das mit seinem Verhalten.
Von Jens Borchers
Die Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen, also die Zoonose, ist schon längst nicht mehr nur ein Thema für die Wissenschaft. Auch die Bundeskanzlerin spricht darüber: "Wissenschaftlern zufolge sind in den letzten Jahrzehnten 60 Prozent aller Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen übertragen worden." Forscher sammeln Belege dafür, dass Zoonose-Risiken durch das Verhalten der Menschen massiv zunehmen.
Verstärkte Nutzung bislang ungestörter Lebensräume
Als Deutschland im Frühjahr 2020 im Lockdown steckte, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu bremsen, sprach die Bundeskanzlerin per Video-Schalte beim Petersberger Klimadialog. Angela Merkel stellte den Zusammenhang her zwischen der Pandemie und der Veränderung der Artenvielfalt, der Biodiversität, auf unserem Planeten: "Wir wissen, dass die natürlichen Lebensräume zusammenschrumpfen. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Artenvielfalt und das ist dann auch für uns als Menschen wiederum eine Bedrohung", so Merkel. Das sei "insbesondere auf die verstärkte Nutzung bislang ungestörter Lebensräume und der damit verbundenen Nähe zu wilden Tieren zurückzuführen."
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03:08 Min.
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29.12.20
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hr-iNFO
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Der Aids-Erreger HIV kam von Schimpansen, das MERS-Virus von Dromedaren, SARS-CoV-1 und -2 wahrscheinlich von Fledermäusen. Dass solche Viren übertragen werden, ist umso wahrscheinlicher, je enger Menschen und Tiere zusammenkommen. 7,8 Milliarden Menschen dringen immer tiefer in die Lebensräume der Tiere vor. Auch von Tieren, die Erreger in sich tragen, die vielleicht sogar zunächst ungefährlich sind für Menschen. Diese Erreger können sich aber so verändern, dass irgendwann doch ein Spillover-Effekt, also ein Überspringen auf uns Menschen möglich werden kann.
Immer mehr Nähe zu Tieren
Das Risiko steigt durch immer mehr Nähe zwischen Menschen und Tieren, beispielsweise durch Wildtier-Handel. Oder etwa durch die Landwirtschaft, sagt Stefan Prost, Forscher am Senckenberg-Institut in Frankfurt: "Die Avocado kommt jetzt aus Südamerika. Da ist es einer der größten Gründe, dass Regenwald abgeholzt wird." Die Regenwaldabholzung führe dazu, dass die Tiere keinen Lebensraum haben, sie müssten irgendwohin und seien sehr gestresst. "Sie haben plötzlich mehr engen Kontakt mit Menschen. Dann kann es auch vermehrt zu Zoonosen kommen", so der Wissenschaftler.
Sandra Junglen forscht am Institut für Virologie der Charité in Berlin über Erreger, die von Moskitos übertragen werden. Die Privatdozentin kümmert sich in diesem Zusammenhang auch um die Frage, welche Folgen es hat, wenn sich Ökosysteme verändern. Wenn Regenwald abgeholzt wird, können sich neue Infektionskrankheiten leichter ausbreiten, sagt Junglen. Warum? "Weil bestimmte Arten einfach nicht so gut mit veränderten Umweltbedingungen klarkommen. Das führt dann dazu, dass sich andere Arten vermehren, die eben sehr gut mit diesen Umweltbedingungen klarkommen, sich anpassen können", erklärt Junglen. Solche Arten trügen auch Erreger in sich, die sich leichter anpassen können - "oder die, so sagt man, ein zoonotisches Potenzial haben."
Viel Forschungsbedarf
Der Erreger, der auf Menschen überspringt, ist das eine Problem. Das zweite ist, dass die Wissenschaft bisher zu wenig darüber weiß, wann, wie und unter welchen Voraussetzungen das geschieht, sagt Forscherin Sandra Junglen. "Wie lange dieser Prozess dauert, bis es zu einer Infektion von Menschen kommen kann und ein Erreger die sogenannte Spezies-Barriere überspringen kann und was dazu alles passieren muss – das weiß man gar nicht genau." Genau wissen wir nur: Immer wieder schaffen Menschen günstige Bedingungen für ein Überspringen von Erregern.
Dass die Menschen in vielen Fällen durch immer tieferes Vordringen in Tierhabitate das Risiko neu entstehender Zoonosen erhöhen, haben internationale Wissenschaftler 2019 übereinstimmend in einem Bericht für die Vereinten
Nationen
beschrieben. Und die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze sagte das auch deutlich, als die aktuelle Covid-19-Pandemie in Deutschland angekommen war: "Je mehr der Mensch die Natur zerstört, desto größer ist das Risiko, dass der Virus überspringt und desto größer ist das Risiko eines Krankheitsausbruches - bis hin zu einer Pandemie."
Sendung: hr-iNFO "Das Thema", 29.12.2020, 6 bis 9 Uhr