Fünf Tage lang treffen sich im Landkreis Vechta Umwelt- und Tierrechtsaktivisten, um gegen die Fleischindustrie zu protestieren. Der Auftakt war friedlich.
Am Mittag ist das Plakat aufgebaut: „Shut down Tierindustrie!“ – der Appell für das Ende der Tierindustrie begrüßt in großen roten Lettern die Besucher, die zum Protestcamp „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ kommen. „Schlachthöfe zu Tofu-Fabriken“ lautet ein weiteres Motto der Camp-Organisatoren. Große Fotos von verletzten und wunden Küken und Hühnern säumen ebenfalls den Eingang. Seit Montag kommen hier in Goldenstedt im Landkreis Vechta Umwelt- und Tierrechtsaktivisten aus ganz Deutschland zusammen. Bis Dienstagvormittag waren etwa 150 Menschen eingetroffen, sagt Franziska Klein aus dem Organisationsteam. „Heute kommt auch noch ein Bus mit Menschen aus Berlin und Hannover“, sagt sie.
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Die Aktivisten und Aktivistinnen haben sich nicht zufällig für die 10.000-Einwohnergemeinde an der Grenze zum Landkreis Diepholz als Ort für das Camp entschieden. Nur wenige Kilometer entfernt hat die PHW-Gruppe ihren Sitz. Das Unternehmen ist der größte deutsche Geflügelfleischkonzern, am bekanntesten ist ihre Marke „Wiesenhof“. „Klar, das ist der Grund, warum wir hier sind“, sagt Klein. Es gehe auch um die Vernetzung mit lokalen agrarkritischen Gruppen. Die Region gehört zu den Hochburgen der Intensivtierhaltung in Deutschland. Jemand, der hier mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Meat is Murder“ (Fleisch ist Mord) herumläuft, fällt auf.
Organisatoren befürworten „zivilen Ungehorsam“
Das Spektrum der Teilnehmer sei groß – von Klimaaktivisten um „Fridays for Future“ über Tierrechts- und Tierbefreiungsaktivisten bis zu Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem gewerkschaftlichen Bereich, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche engagieren. Die Aktivisten fordern eine umfassende Agrarwende und damit eine drastische Reduktion der Tierproduktion. „Wir müssen zu einer Produktionsweise kommen, die solidarisch organisiert ist und nicht auf Kosten der Menschen und der Tiere“, sagt Klein. Die Landwirtschaft solle nicht am Profit organisiert sein, sondern an den Bedürfnissen der Menschen.
Plakate werden vor dem Protestcamp vom Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ aufgehängt.
Auch Formen des „zivilen Ungehorsams“ befürworten die Organisatoren, allerdings ohne konkrete Aktionen für dieses Camp zu planen, wie Klein betont. Es sei schon zu viel Zeit vergangenen, um auf die Politik zu warten, sagt sie. Besetzungs- und Blockadeaktionen von Schlachthöfen habe es aber schon bei anderer Gelegenheit gegeben, etwa bei einer Protestaktion im schleswig-holsteinischen Kellinghusen, als im vergangenen Jahr ein Betrieb des Schlachthof-Riesen Tönnies blockiert wurde.
Missstände herrschen überall
Auch heimliche Film- und Fotoaufnahmen aus Tierställen befürworte sie, sagte Klein. „Es geht ja nicht darum, dass einzelne Bäuerinnen und Bauern an den Pranger gestellt werden, sondern dass gezeigt wird, dass die Missstände überall herrschen, egal ob im konventionellen oder im Bio-Bereich.“ So mancher Landwirt und manche Landwirtin in der Region hat angesichts des Camps Sorge, dass Aktivisten auch seinen oder ihren Betrieb heimlich besuchen. Die Zufahrt zur PHW-Zentrale wurde vom Unternehmen vorsorglich abgesperrt. Allerdings hatte die Polizei zunächst keine Erkenntnisse, dass Teilnehmer des Camps durch Hausfriedensbruch oder andere Straftaten aufgefallen seien, sagt eine Sprecherin der zuständigen Polizeiinspektion Cloppenburg/Vechta.
Das Protestcamp vom Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“.
„Wir als PHW-Gruppe haben uns immer einer sachlichen, oft auch kritischen Diskussion gestellt, wenn es um die Fleischproduktion und Nutztierhaltung ging“, erklärt dazu ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. Seit Jahren stehe das Unternehmen dazu kontinuierlich im engen Dialog mit seriösen aber auch kritischen Tierschutz- und Verbraucherorganisationen, NGOs, der Wissenschaft und auch der Öffentlichkeit. „Durch diesen stetigen und kontroversen Austausch verschiedenster Anspruchsgruppen können Verbesserungen maßgeblich umgesetzt werden.“ Jeder habe selbstverständlich das Recht auf Demonstrationsfreiheit, und das Unternehmen sei jederzeit offen für Gespräche mit allen friedlichen Anspruchsgruppen. „Der Aufruf zu zivilem Ungehorsam sowie unter anderem zur Enteignung ist keine gute Grundlage für ein zielführendes offenes Gespräch“, betont der Sprecher aber auch.
Hoher Wert auf Tierwohl
Der niedersächsische Bauernverband, das Landvolk, betonte, das Thema Tierwohl sei den Landwirten sehr wichtig. „Wir führen dazu auf allen Ebenen eine konstruktive und zukunftsorientierte Debatte“, sagt Sprecherin Sonja Markgraf. Sie verwies auf Tierwohlprämien, eine verbindliche Herkunfts- und Haltungskennzeichnung oder erleichterte Stallumbauten. „Unsere Bauern helfen dabei, die Menschen mit gesunden und leckeren Lebensmitteln zu versorgen. Dafür verdienen sie Respekt und die Anerkennung ihrer wichtigen Arbeit.“
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Klein macht keinen Hehl daraus, dass ihr diese Reformen nicht weit genug gehen. „So etwas soll doch nur das System weiter stützen.“ Umgekehrt bereiten sich die Teilnehmer des Camps auch auf Gegendemonstrationen wütender Bauern vor. Wie am besten darauf reagiert werde, auch dazu gebe es Workshops. Natürlich hätten die Aktivisten auch Verständnis für die Existenzsorgen der Landwirte, sagt Klein. „Wir fordern ja nichts anderes, als das sich alles ändern muss, was sie bislang machen.“ Aber die Gesellschaft müsse diesen Umbau der Landwirtschaft finanzieren.
Ewald Meyer, ehemaliger Viehhändler, besucht das Protestcamp vom Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“.
Am Vormittag kommt noch ein älterer Herr aus dem Nachbarort Barnstorf auf das Protestcamp-Gelände. Er wolle mit der Presse reden, sagt der 83 Jahre alte Ewald Meyer. Als 16-Jähriger sei er als Viehhändler in die Firma seines Vaters eingestiegen. Mit 50 habe er den Beruf aufgegeben, weil er ihn nicht mehr mit seinem Gewissen habe vereinbaren können. „Ich empfinde ihren Vorwurf nach“, sagt er an die Adresse der Aktivisten und beglückwünscht sie dazu, das Camp auch gegen den Widerstand der Kreisverwaltung durchgesetzt zu haben. (dpa/mp)