25. Mai 2021, 15:42 Uhr
25. Mai 2021, 15:42 Uhr
Update: 18. Juli 2021, 03:33 Uhr
Fake-News sind vor der Bundestagswahl auf dem Vormarsch
Berlin
Spätestens seit der Debatte um russische Einflussnahme auf die US-Wahl 2016 und ein Jahr später bei der Bundestagswahl 2017 ist das Phänomen bekannt. Bis September 2021 könnten die digitalen Schmutzkampagnen einen Höhepunkt erreichen.
Von unserem Korrespondenten Bernhard Junginger
Facebook will es unter anderem leichter machen sogenannte Fake News zu melden. Foto: Jens Büttner/Archiv
Wussten Sie schon, dass Markus Söder ein übler Impfvordrängler ist? Nein? Dabei hat sich der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident sogar mit sechs Spritzen vor Corona schützen lassen, das zeigen doch Bilder im Internet. Haben Sie auch gehört, dass Annalena Baerbock in der Vergangenheit als Nacktmodell tätig war? Dass sie gar keinen Studienabschluss hat und für den Klimaschutz sogar Haustiere verbieten will? All diese Behauptungen sind so hanebüchen wie falsch – doch sie kursierten jüngst im weltweiten Datennetz, wurden massenhaft verbreitet in den sozialen Medien, sorgten für hässliche Kommentare und erregte Diskussionen.
Vor der Bundestagswahl im September nehmen Fehlinformation und Propaganda bereits merklich zu. Das Phänomen ist bekannt, spätestens seit der Debatte um russische Einflussnahme auf die US-Wahl 2016 und ein Jahr später bei der Bundestagswahl 2017. Doch vor dem deutschen Urnengang könnten die digitalen Schmutzkampagnen einen neuen Höhepunkt erreichen. Was immens gefährlich ist, weil dieser Wahlkampf wegen Corona so digital wie nie zuvor geführt werden wird. Anders Fogh Rasmussen, ehemaliger Nato-Generalsekretär, sieht eine erhebliche Gefahr der Einmischung Chinas oder Russlands in die Bundestagswahl. Kein Land der EU sei davon so betroffen wie Deutschland. Der Gründer des Demokratie-Bündnisses Alliance for Democracies hält das Risiko der Wahlbeeinflussung für "sehr hoch".
Hunderte Versuche, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen
Seit Ende 2015 seien mehr als 700 Versuche der Beeinflussung der Meinung in Deutschland registriert worden. Für Russland stehe viel auf dem Spiel bei der Frage, wer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nachfolgt. Wie sich der neue Regierungschef zur umstrittenen russischen Gaspipeline Nord Stream 2 stellen, ob seine Politik russlandfreundlich sein wird, sei für Moskau von höchster Bedeutung. Wie die "Bild"-Zeitung aus Sicherheitskreisen erfahren haben will, ist Russland Urheber einer breit angelegten Verleumdungskampagne gegen Annalena Baerbock. Die Grünen-Kanzlerkandidaten gilt als russlandkritisch, anders als frühere Grünen-Granden wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin.
Grünen-Digitalexperte Dieter Janecek nennt die Angriffe "eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie". "Dass hinter vielen solchen Angriffen Russland steckt, darf ja als gesichert gelten." Deutschland allerdings sei auf die Gefahren "nicht gut eingestellt". Bei den Grünen habe sich eine informelle "Taskforce" aus digital affinen Mitgliedern gebildet, die das Geschehen im Netz im Augen behält und wenn nötig bei der Parteispitze Alarm schlägt. Die Devise sei: "Nicht nervös auf jede kleinste Attacke reagieren, Falschnachrichten aber auch nicht laufen lassen, wenn sie sich massenhaft verbreiten." Die Behauptungen über Annalena Baerbock seien zwar "frei erfunden", um sie zu widerlegen, hätten sich die Grünen aber entschieden, die Uni-Zeugnisse Baerbocks öffentlich zu machen.
Oft ist die Herkunft von Lügen oder Gerüchten kaum nachzuverfolgen
Neben Russland gelten China, Iran, Nordkorea und einige andere Staaten als regelmäßige Ursprungsländer von Versuchen, öffentliche Meinung und Wahlverhalten in Deutschland zu beeinflussen. Aber auch im Inland wird Misstrauen und Hass geschürt, erst recht, seit in der Corona-Pandemie Verschwörungsmythen massenhaft geteilt werden. Es war der AfD-Abgeordnete Jörn König, der auf Facebook eine Grafik mit Fotos verbreitete, die CSU-Chef Söder bei mehreren Impfungen zeigt. Sie sollte offenbar suggerieren, Söder habe sich bereits sechs Mal gegen Corona impfen lassen. Tatsächlich stammen die Bilder aus verschiedenen Jahren und zeigen den CSU-Vorsitzenden etwa bei Impfungen gegen die Grippe.
In vielen Fällen ist die Herkunft von Lügen oder Gerüchten kaum nachzuverfolgen. Die sozialen Netzwerke sind voll von unzähligen falsche Identitäten, die Anbieter kommen mit dem Erkennen und Löschen kaum hinterher. Hinter von künstlicher Intelligenz ganz neu erzeugten Profilbildern verstecken sich etwa russische Provokateure, die sich als ganz normale Bürger ausgeben. Da wird viel über Kochrezepte und Fußball diskutiert, politische Botschaften fließen scheinbar nebenbei ein – und wirken umso authentischer.
Mit dem technischen Fortschritt steigen auch die Möglichkeiten der Manipulation. Bilder von Pornodarstellern digital mit den Köpfen von Prominenten versehen – kein Problem. Sicherheitsexperten fürchten zudem, dass illegal erbeutete Informationen – etwa bei Hackerangriffen auf den Bundestag gestohlene Informationen – gezielt veröffentlicht und in einen falschen Zusammenhang gesetzt werden könnten.
Warnung"Wir müssen damit rechnen, dass es im Vorfeld der Bundestagswahl manipulative Desinformationskampagnen und auch technische Angriffe auf Abgeordnete und Kandidierende geben wird", warnt der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser. Auf diese Herausforderung sei die Bundesregierung bislang "nicht ausreichend vorbereitet". Deshalb müsse sie nun rasch dafür sorgen, "dass die Wahlabläufe und die technische Infrastruktur abgesichert sind." Unserer Redaktion sagte Strasser: "Wir brauchen Standards für eine digitale Wahlbeobachtung, um Unregelmäßigkeiten oder Regelverstöße in einem digitalen Wahlkampf erfassen zu können."