Seine drei Hunde nimmt Georg Müller, 60, meist nicht mit ins Büro. Er ist Tierfreund. "Wir haben einen großen Garten, da haben sie mehr Auslauf." Der Garten ist nicht weit, gleich neben der Firma im schwäbischen Wehringen, wie das in Familienunternehmen eben häufig so ist. Müller gehört die Interquell-Gruppe. Sie stellt Trockenfutter für Heimtiere her, vor allem Hunde und Katzen, und im Nachbarort Großaitingen Getreideflocken. Wenn Müller von seinem Büro im dritten Stock auf die Dachterrasse tritt, könnte er seine Hunde bellen hören. Die Firmengebäude im Rücken, hat Müller einen weiten Blick ins Land. Links das Dorf, rechts Schrebergärten. Auf der Wiese hinter dem Parkplatz weiden Pferde. Früher ist Müller auch geritten, wie sein Vater Edmund, ein erfolgreicher Springreiter.
Heimtier klingt wohliger als Haustier
Auf dem schmalen Weg an der Koppel entlang führen die Mitarbeiter manchmal ihre Hunde aus. Wer möchte, darf sein Tier mit ins Büro bringen. Ein Heimtier zeuge doch von der Affinität zum Geschäft, sagt Müller. Er redet immer von Heimtieren, das klingt ein wenig wohliger als Haustier. "Hunde und Katzen gehören doch heute zur Familie", sagt Müller. Und dass es erwiesen sei, dass sich ein Heimtier positiv auf die Psyche des Menschen auswirke. In deutschen Haushalten wurden 2020 knapp 35 Millionen Tiere gehalten. Mit dem Bestand wuchs in den vergangenen Jahren auch der Markt für Tiernahrung und Zubehör. In der Pandemie habe sich mancher einen Hund zugelegt, sagt Müller, der auch Präsident des Industrieverbandes Heimtierbedarf (IVH) ist. Davon hat Interquell profitiert.
Müller hat sich längt seinen weißen Kittel übergestreift und eilt die Treppe hinunter. Er will in die Produktion. Im ersten Stock bleibt er stehen. Auf großen Tafeln an der Wand ist die Chronik der Firma aufgeschrieben. Müller kann zu jeder Zahl, zu jedem Foto auf den Tafeln noch ein paar Anekdoten erzählen. Die Geschichte fing an im Jahr 1765, damals erwarb Nikolaus Müller eine Getreidemühle in Wehringen, direkt am Fluss Singold gelegen. Nikolaus Müller war sein Ururururgroßvater. "Damals hatte fast jedes Dorf eine Mühle", erzählt der Firmenchef. Sie existierte bis 1960, sein Vater Edmund Müller stellte den Betrieb ein, weil er nicht mehr rentabel war. Er war es, der aus dem Handwerksbetrieb ein Industrieunternehmen machte. Sein Sohn schildert ihn als einen Mann, der sich nicht unterkriegen ließ und versuchte, neue Märkte zu erschließen.
Schon Anfang der 50er-Jahre fing Edmund Müller an, Kartoffelflocken als Tiernahrung herzustellen. "Ich kann mich noch erinnern, wie die Bauern die Kartoffeln lieferten und sie sich in großen Haufen vor der Mühle türmen", erzählt Müller. Der Vater nutzt das, was man heute wohl Netzwerke nennen würde. Er kennt die Versandhändler und Wirtschaftswundermänner Josef Neckermann, erfolgreicher Springreiter, und Friedrich Schwab. Da lag es nahe, dass Müller Mitte der 6oer-Jahre versuchte, "Müller's Hundenahrung" über den Versandhandel zu verkaufen. "Damals war der Markt für Tierfutter dafür noch nicht reif dafür", sagt Müller. Für ihn ist der Online-Shop heute ein wichtiger Vertriebsweg.
Mit dem Schlachtunternehmer Alexander Moksel stieg der Vater 1969 in Großaitingen in die Lebensmittelproduktion ein. Sie produzierten Quellmehl, dafür habe es damals Subventionen gegeben. Mehl wird mit Wasser gemischt und über mit Dampf erhitzte Walzen getrocknet und so die Stärke modifiziert. "Quellmehl sorgt dafür, dass Brot und andere Backwaren länger frisch schmecken", erklärt Georg Müller. Alexander Moksel und Edmund Müller gründen die Firma Interquell Stärkechemie. "Moksel hatte das Geld, das mein Vater brauchte, um zu expandieren", erzählt Müller. In den 80er-Jahren kauften die Müllers die Anteile zurück. 1970 nimmt Edmund Müller einen neuen Anlauf mit Hundefutter unter dem neuen Namen "Happy Dog". Der Name sei sonntags beim Kaffeeklatsch entstanden, erzählt Müller.
Solche Geschichten stehen auf keiner Tafel. Georg Müller trägt sie in sich und weiter. Neckermann, Schwab, Moksel - große Namen, aber ihre Firmen sind längst vergangen oder in anderen Firmen aufgegangen. Die Müllers, den Mittelständler, gibt es immer noch.
Georg Müller, Wirtschaftswissenschaftler, tritt 1987 in die Firma ein, schon ein Jahr später muss er nach dem plötzlichen Tod des Vaters die Nachfolge antreten - mit 27 Jahren. Unter seiner Führung wird Interquell noch größer und internationaler, der Exportanteil liegt mittlerweile bei rund 50 Prozent. Er streicht das Wort Stärkechemie aus dem Firmennamen. "Chemie ist kein Wort, das in Verbindung mit Nahrungsmitteln gut klingt", sagt Müller. Er ordnet die Gruppe in zwei Sparten - Petfood für Tiernahrung und Cerals für Lebensmittel.
Das Trockenfutter gibt es in verschiedenen Größen.
(Foto: etd)
"Die hygienischen Ansprüche an Lebensmittel sind viel höher als die an Tiernahrung", sagt Müller. Aber es gibt durchaus Parallelen - in der Herstellung und zwischen den Märkten. Es gibt Herstellermarken und die Eigenmarken der Händler. Es gibt teuer und billig. Die Lebensmittel, also Getreideflocken, Kleien und Babybreie stellt Müller als Lohnunternehmen für Firmen wie Holle, Nestlé und Dr. Grandel her, sie steuerten im vergangenen Jahr 20 Millionen Euro zum Umsatz bei. Mit Tiernahrung setzte Interquell 100 Millionen Euro um, zwei Drittel davon über den Fachhandel unter eigenen Markennamen wie Happy Dog oder Happy Cat, ein Drittel unter den Marken von Händlern wie Fressnapf oder Zooplus.
"Der Platz im Regal ist begrenzt", sagt Müller. Da klingt er nun wirklich wie ein Hersteller von Lebensmitteln. Müller weiß, welche Regale er besser meidet: die im Lebensmittelhandel einschließlich Drogeriemärkten und Discountern, dort wo der Kampf über Menge und Preis am härtesten ist. Dort müsste Müller, der Mittelständler, antreten gegen Konzerne wie Mars - mit Marken wie Frolic, Pedigree, Whiskas. Oder gegen Nestlé mit Marken wie Purina oder Felix. "Wir vertreiben unsere Produkte über den Fachhandel", sagt Müller. Im vergangenen Jahr gaben die Menschen in Deutschland im stationären Handel 3,5 Milliarden Euro für Fertignahrung für Tiere aus, davon 61 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel und 39 Prozent im Fachhandel. Viele der Zoofachgeschäfte sind Mittelständler wie Interquell.
"Einen Hund kann man rein vegetarisch ernähren, eine Katze nicht."
Müller hat in den vergangenen Jahren das Sortiment kräftig ausgebaut. Die Namen der Produkte klingen wie Sterneküche für Tiere und auch ein wenig menschlich. "Die Menschen haben in den vergangenen Jahren ihre Ernährungsgewohnheiten auf ihre Tiere übertragen", sagt Müller. Es gibt Bio, Vegetarisches, glutenfrei, Futter für Welpen, erwachsene und ältere Tiere, solche mit Übergewicht und Harnsteinen. "Einen Hund kann man rein vegetarisch ernähren, eine Katze nicht", sagt Müller. "Wir haben 400 bis 500 Rezepte." Müllers Hunde Lucy, Rudi und Robby sind seine Testfresser. "Was ihnen nicht schmeckt, kommt nicht auf den Markt." Das Hundefutter Africa, zum Beispiel, besteht im Wesentlichen aus Kartoffelflocken und Straußenfleischmehl, aber auch Mineralien, Kräutern und Vitaminen. Das Proteinmehl bezieht Interquell aus Südafrika, so kam das Futter zu seinem Namen. In der Sorte Neuseeland steckt Lammfleischmehl, in der Sorte Andalucía Ibérico Fleischmehl vom Ibérico-Schwein.
Die eiweißreichen Mehle werden aus Schlachtnebenprodukten wie Häuten, Därmen und Innereien gewonnen. "Die Verarbeitung von Mehl aus Muskelfleisch könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren", sagt Müller: "Ich würde ja dann mit den Menschen um die gleichen Fleischpartien konkurrieren." Unten in der "Küche", wie Müller sie nennt, werden die Zutaten abgewogen in Chargen von jeweils zwei Tonnen. Im Extruder werden die Mischungen anschließend mit Wasser und Dampf gekocht und dann wie bei einem Fleischwolf in Form geschnitten. Dann geht es in die Trocknung.
Auf der letzten Tafel in Müllers Chronik sind seine Kinder abgebildet: Annika, 30, und Andreas, 28. Sie arbeitet gerade in der Firma, der Sohn hospitiert bei Trixie, einer Firma für Heimtierbedarf. "Ich würde mich schon sehr freuen, wenn mein Sohn die Firma weiterführt." Die Kinder haben die neue Marke Goood entwickelt, 70 Prozent der Zutaten kommen aus einem Umkreis von 150 Kilometer. "Nach der Pandemie werden Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein ganz großes Thema werden", sagt Müller. Schon 2022 soll Interquell klimaneutral wirtschaften, das geht nur über die Kompensation von CO2-Emissionen, etwa die Förderung von Klimaschutzprojekten. Bis 2030 soll es dann ohne Kompensationen gehen. "Strom aus erneuerbaren Energien bekommen wir relativ einfach. Schwieriger wird es bei der Erzeugung von Wärme." Das wird nicht ganz einfach, das weiß Müller, sein Geschäft ist sehr energieintensiv. Er weiß aber auch, dass Fortbestand Wandel bedeutet.