Moskaus Atomdiplomatie: In diese Länder liefert Rosatom

Alte verlassene Kapelle und Kühltürme des Kernkraftwerks Dukovany in der Tschechischen Republik.

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Atomkrafttechnologie gehört zu den Exportschlagern der russischen Wirtschaft. Seit Wladimir Putin die Geschicke Russlands lenkt, baut der staatliche Atomkonzern Rosatom überall auf der Welt Atomkraftwerke. Ihr Export ist für Putin ein wichtiges Element der geostrategischen Einflussnahme geworden, sagen Politikexperten. Tschechien ist nun das erste Land, das den staatlichen Energiekonzern Rosatom von einer Ausschreibung ausschließt. Für Putins Kraftwerksdiplomatie ist das ein Rückschlag.

Hintergrund ist ein eskalierendes diplomatisches Zerwürfnis der beiden Länder über mutmaßliche Machenschaften des russischen Geheimdiensts. Prag traf die politische Entscheidung, den russischen Bauträger bereits von der bevorstehenden Sicherheitsüberprüfung der Bewerber fernzuhalten. Der Auftrag, um den es geht, betrifft das Atomkraftwerk Dukovany in Mähren: Es soll bis 2036 für rund 6 Mrd. Euro einen neuen Reaktorblock bekommen. Tschechien will sich so unabhängiger vom Kohlestrom machen. Im Rennen bleiben somit EdF (Frankreich), KHNP (Südkorea) und Westinghouse (USA).

Prags Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf den Weltmarkt für Nuklearenergie, auf dem sich Rosatom zum größten Akteur für AKW-Neubauten gemausert hat. Laut eigenen Angaben baut der Konzern mehr als 30 neue Reaktoren in verschiedenen Ländern der Welt, darunter in den EU-Staaten Finnland und Ungarn. Der Gesamtwert aller Auslandsprojekte soll sich auf bis zu 200 Mrd. Dollar belaufen. Ein zweiter Blick der Grünen-nahen Heinrich Böll-Stiftung relativiert die Selbstdarstellung: Sie kommt auf wirkliche Verträge für den vollständigen oder teilweisen Bau von 25 Reaktoren – mit einem Gesamtwert von rund 100 Mrd. Dollar.

Dominant auf dem Weltmarkt

Dennoch belegt auch eine andere Studie zweier Universitäten in Bergen und Budapest Rosatoms dominante Stellung. Demnach hat Russland in der Ära Putin seit 1999 mehr atomare Energietechnologie im Ausland verkauft als die USA, Frankreich, China, Südkorea und Japan zusammen. Rosatom habe mit 35 Ländern Verträge über Bau und Betrieb, Reaktoren und Brennstoff sowie über atomare Abfälle abgeschlossen – und damit doppelt so viel wie Anbieter aus Frankreich und etwa dreimal so viel wie aus den USA oder China. In der Zeitschrift „Foreign Affairs“ schreiben Forscher Rosatom Verträge im Wert von 300 Mrd. Dollar und einen Anteil von 60 Prozent am globalen Reaktormarkt zu.

Branchenkenner erklären die Führungsposition Russlands damit, dass der Staatskonzern praktisch unbegrenzten Zugang zum Staatshaushalt hat und seinen Kunden somit großzügige Finanzierungs- und Trainingspakete im Verbund mit Kraftwerksbauten anbieten kann. Nur Iran finanziert das AKW in Buschehr aus eigenen Mitteln. Hinzu komme ein weitgespanntes Netz von Dienstleistungen der Konzerntochter Atomenergoprom in 60 Ländern. Attraktiv sind solche Versorgungspakete besonders für Einsteiger wie die Türkei, die selbst noch keine Atomkraftwerke betreiben. Beobachter erwarten jedoch, dass China Russland in 10 bis 20 Jahren mit vergleichbaren Angeboten den Spitzenplatz streitig machen könnte.

Ärmere Länder treiben solche Deals in größere Abhängigkeit von russischer Technologie, Energieressourcen und Kapital, warnt die Studie der Böll-Stiftung. Vor allem in der eigenen Nachbarschaft gehe es dem Kreml neben der Ausweitung des politischen Einflusses vor allem um die Pflege politischer Loyalitäten, wie zum Beispiel im Fall Ungarns und von Belarus. „Die ökonomischen Rahmendaten der AKW-Projekte lassen keinen Zweifel: Kommerzielle Gewinne sind nicht das hauptsächliche Ziel dieser Geschäfte.“

Hier eine Auswahl der wichtigsten Abnehmer russischer Atomtechnologie:

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Ungarn

Greenpeace-Protest 2017 gegen den Bau eines neuen Reaktors in Ungarn. Der US-Konkurrent Westinghouse ging leer aus, nachdem Russland der Regierung von Premierminister Viktor Orban ein Darlehen von 11 Mrd. Dollar angeboten hatte. Es war Teil eines Kreditrahmens von 60 Mrd. Dollar, aus dem Rosatom in den vergangenen zehn Jahren sechs Ländern Angebote machen konnte. Der neue Reaktor Paks-2 soll das AKW Paks rund hundert Kilometer südlich von Budapest erweitern. Kritiker monieren, dass Rosatom den Auftrag ohne öffentliche Ausschreibung erhielt. Der Baubeginn hat sich verzögert.

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Bulgarien

Von dem bisher einzigen in Betrieb befindlichen Kernkraftwerk Bulgariens wurden vier der sechs Blöcke nach dem EU-Beitritt stillgelegt. Anders als in westeuropäischen Staaten, die nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 den Atomausstieg eingeleitet haben, halten Experten in Mitteleuropa eine „nukleare Expansion“ für vorstellbar. So bemüht sich Rosatom um den Bauauftrag und die Finanzierung für das AKW Belene – und zwar mit den Partnern Framatome SAS und General Electric Steam Power. Laut dem Staatskonzern gibt es eine Absichtserklärung. Bereits bei dem ungarischen AKW-Projekt Paks-2 und dem finnischen Hanhikivi-1 arbeiten die Unternehmen zusammen. Pläne für Belene gibt es seit den 1980er-Jahren, sie stocken jedoch immer wieder. Eine Volksabstimmung scheiterte 2013 an mangelnder Beteiligung.

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Belarus

Das AKW, das Rosatom in Astravets in Belarus baut, liegt nur 60 Kilometer entfernt von der litauischen Hauptstadt Vilnius. Litauens Parlament sieht in dem Projekt ein „nationales Sicherheitsrisiko“. Das Kraftwerk wird mit zwei Reaktoren mehr Strom produzieren als Belarus verbrauchen kann. Es wurde mit einem Kredit von 10 Mrd. Dollar finanziert und soll demnächst in Betrieb gehen. In Minsk wird das Projekt mit dem Argument begründet, dass man sich unabhängig von russischem Gas machen wolle. Litauens Außenminister sieht es als Beispiel dafür, wie Russland Staaten entlang seiner Grenzen um jeden Preis in seinem Orbit behalten will.

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Finnland

In Finnland soll Rosatom das AKW Hanhikivi bauen, doch der Baubeginn wird seit Jahren immer wieder verschoben. 2010 wurde die Genehmigung erteilt, die Inbetriebnahme war für 2024 geplant. Die Atomaufsichtsbehörde wirft Rosatom eine fehlende Sicherheitskultur vor. Die Mehrheit der finnischen Bevölkerung befürwortet die Atomkraft als Alternative zu fossilen Brennstoffen. Auf einer Insel im Südwesten Finnlands befindet sich das Atomkraftwerk Olkiluoto (Bild), das etwa 17 Prozent des heimischen Stroms produziert. Dort soll ein dritter Block gebaut werden.

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Türkei

Im März haben der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Amtskollege Putin den Baubeginn des dritten Reaktors für das erste türkische AKW an der Mittelmeerküste gefeiert. Beide waren der Grundsteinlegung per Video zugeschaltet und lobten die Zusammenarbeit, die sie noch weiter ausbauen wollen. Der Deal geht auf das Jahr 2010 zurück und war mit Kosten von rund 20 Mrd. Dollar angesetzt. Der erste von vier Reaktoren soll 2023 in Betrieb gehen. Am Ende soll das AKW etwa zehn Prozent des heimischen Energiebedarfs decken. Die Türkei ist Transitland für Erdöl und -gas, hat selbst aber keine Energievorkommen. Als Einsteiger in die Nuklearenergie erhält es Finanzierung, Bau und Betrieb aus einer Hand – wie andere Newcomer auch, darunter Vietnam, Jordanien, Saudi-Arabien, die VAE, Algerien oder Kasachstan.

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Ägypten

Russlands Präsident Putin 2017 bei einem Staatsbesuch in Ägypten. Präsident Abdel Fattah el-Sisi hatte sich davor für eine Wiederbelebung des ägyptischen Atomprogramms ausgesprochen, das nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl unterbrochen worden war. Putin unterschrieb in Kairo eine Vereinbarung über 21 Mrd. Dollar zum Bau des Kraftwerks Dabaa. Seither soll der Deal mit Moskau auf 30 Mrd. Dollar für vier Reaktoren ausgeweitet worden sein.

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Südafrika

Südafrika ist das einzige Land in Subsahara-Afrika, das ein Atomkraftwerk betreibt. Es liegt an der Küste unweit von Kapstadt. Nigeria und Ghana unterhalten Forschungsreaktoren für Studien- und Trainingszwecke. Mit dem chronisch an Stromnot leidenden Nigeria gibt es seit 2017 eine Absichtserklärung zum Bau von zwei AKWs. Afrika rückt weiter in den Fokus russischer Begehrlichkeiten. Ruandas Parlament hat jüngst den Plan für einen Forschungsreaktor in Kigali gebilligt, den Rosatom bis 2024 bauen soll. Ähnliche Vereinbarungen mit Rosatom haben Äthiopien und Sambia geschlossen, während Ghana, Uganda, Sudan und die DR Kongo bescheidenere Kooperationsabkommen vereinbarten.

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Argentinien

2011 verkündete Argentiniens damalige Präsidentin Cristina Fernandez de Kichner, dass das dritte AKW des Landes, Atucha 2, bei Buenos Aires den Probebetrieb aufnimmt. Seither verhandeln aufeinanderfolgende Regierungen mit China und Russland über den Bau von weiteren Reaktoren. Russland wollte Atucha 3 bauen. China hat Angebote für den vierten und fünften Atucha-Block unterbreitet. Putin und sein damaliger argentinischer Kollege Mauricio Macri unterzeichneten zuletzt 2018 eine strategische Vereinbarung am Rande des G20-Treffens in Buenos Aires zum Ausbau der nuklearen Kooperation. Konkreter wurde es seither nicht. Die Atomkraft liefert etwa fünf Prozent des heimischen Stroms.

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Indien

Rosatom ist Indiens Partner beim Bau und Betrieb des Atomkraftwerks Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. 2012 wurde noch gegen die Anschaltung protestiert. Auf die ersten beiden Reaktoren, die in Betrieb sind, sollen zwei weitere folgen und 2023 und 2024 ans Netz gehen. Geplant sind laut indischen Medien bis zu sechs weitere AKWs aus russischer Hand – sowie der Bau und Betrieb von schwimmenden Atomanlagen. Im benachbarten Bangladesh baut Rosatom die „kritische Infrastruktur“ des AKW Rooppur, indische Firmen übernehmen „nicht-kritische Infrastruktur“ wie Elektrizitätsleitungen.

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China

In der chinesischen Demonstrationsanlage Fuqing in der Provinz Fujian wird 2018 der Reaktordruckbehälter installiert. Regie führt die staatseigene China National Nuclear Corporation (CNNC). Wie jüngst in Peking verkündet wurde, will die Staatsführung in den nächsten Jahren fünf weitere Kernkraftwerke (4,9 GW) bauen, um das Ziel zu erreichen, bis 2060 CO2-neutral zu werden. Die Projekte werden Medienberichten zufolge gemeinsam von CNNC und Rosatom mit russischer Technologie gebaut, darunter am Standort Tianwan (Jiangsu) und Xudabao (Liaoning), wo bereits russische Reaktoren in Betrieb sind.