Rheinbach: „Ich dachte, der Damm bricht“ – So erleben die Menschen in Oberdrees die Rückkehr

Oberdrees -

Während Helfer aus Köln an der Ludwig-Fett-Halle für jedermann in einer riesigen Pfanne ein Curry zubereiten, laufen in vielen Häusern von Oberdrees noch Pumpen. Einwohner schleppen ihr verschlammtes Hab und Gut auf die Straße. Erst am Montag durften sie in den evakuierten Ort zurück. „In der Halle werden nur Leute betreut, die von der Unterbringung dort ein Bändchen haben, und nur sie dürfen dort warm duschen“, glaubt ein Anlieger der Hauptdurchfahrtsstraße – eine der vielen Falschinformationen, die hier auf die Stimmung drücken. „Klar trage ich ein Bändchen, das ist aber von der Evakuierung. Hier ist jeder willkommen“, stellt der Unternehmer Peter Flesch als Anlieger der Halle klar. Aber auch er findet: „So gut wie die Betreuung der Evakuierten in der Stadthalle war, so katastrophal ist hier die Information.“

„Es war kein Nervenzusammenbruch, aber ...“

Ute Rose packt an der Bundesstraße mit ihrem Mann Rolf gerade die Holzverkleidung aus einem Keller auf den Gehweg. „Wir sind kurz vor 12 Uhr wiedergekommen, da kam uns schon der Kühlschrank entgegengeschwommen. Wir waren bei meinem Vater in Merzbach. Der hatte nur den Keller voll Wasser. Den hatten wir schnell leer“, berichtet die 62-Jährige. Zuhause stehen aber auch Wohnzimmer, Küche, Waschküche und Badezimmer unter Wasser.

Hinweis in eigener Sache

Uns ist es wichtig, Sie in dieser Situation vollumfänglich und umfassend zu informieren. Wir werden daher alle Artikel, die unmittelbar mit der verheerenden Unwettersituation in der Region zu tun haben, für Sie bis auf Weiteres freischalten.

Wenn Sie unsere Berichterstattung schätzen, freuen wir uns, wenn Sie uns mit einem Rundschau PLUS-Abo unterstützen.

„Noch etwas höher, und es wäre zum Fenster reingelaufen“, sagt Rose. Die Hunde Gira und Teddy haben sich in die Küche verzogen „Sie bellen sonst jeden an. Jetzt ist seit Stunden Ruhe, und sie fressen kaum.“ Eine Form von Trauer, die sie kennt. „Es war kein Nervenzusammenbruch, aber ...“, erklärt sie ihre Gefühle, als sie Erinnerungsstücke an ihre Eltern wegwerfen musste. „Die waren einfach nicht mehr sauber zu machen.“

Lisa Marie und Charlotte kochen an der Halle, wo auch Hilfsgüter sortiert lagern.

Foto:

Böschemeyer

Der Schwager hat Pumpen gebracht, die Arbeitgeber gewährten frei Tage. „Ich arbeite beim Erzbistum. Die ersten fünf Tage habe ich bezahlt frei“, sagt Rolf Rose. Der Dienstwagen des Generalvikars steht in der Nähe. Er ist schrottreif, Roses Privatwagen ebenfalls. Die Schuld gibt er den Lkw-Fahrern, die durch die Flut geprescht seien, Bugwellen erzeugt und mit dem Handy aus dem Fenster die Misere gefilmt hätten. „Durch diese Wellen ist das Wasser in den Hof geschwappt und hat den Wagen vollaufen lassen. Er ist nur ein Jahr alt und Schrott. Gleich wird er abgeholt.“

Große Angst vor der Rückkehr nach Oberdrees

Die Angst vor der Rückkehr nach der Evakuierung war auch bei Ute Rose riesig. „Ja, ich habe wirklich geglaubt, dass der Damm an der Talsperre bricht und habe mir ausgemalt, was alles passiert. In Merzbach hatten wir Gottseidank ein Radio.“ So klärten sich einige Gerüchte auf. Andere bewahrheiteten sich allerdings. Ein Nachbar ist ertrunken, einer starb an den Folgen eines Herzinfarkts. Doch selbst das Radio irrte. „Da hieß es, wir dürften um 9 Uhr zurück. Wir hatten alles eingepackt, auch die Hunde, dann hat uns die Polizei abgewiesen. Bis Mittag haben wir in der Agentur meines Schwagers ausgeharrt.“ Der ist Versicherungsmakler – ein Grund, warum Rolf Rose glaubt, dass er nicht auf dem Schaden sitzen bleibt. Noch immer ärgert er sich über schlechte Information: „Erst am Samstag ist ein Auto rundgefahren und hat irgendwas durchgesagt. Und das hat auch die meisten gestört, dass man nichts weiß.“ Neben dem Missmut regiert der trockene Humor. „Man kann es auch nur mit Humor ertragen, sonst geht man kaputt“, findet Rose und plant die nächsten Tage: „Morgen kommt der Elektriker, und es gibt auch ein Stromaggregat. Am Samstag nimmt eine Firma die Böden raus.“

Am Burggraben wird aufgeräumt.

Foto:

Böschemeyer

Ein paar Häuser weiter links wird Inventar durch das Kellerfenster gereicht. Waschmaschine, Drucker, Schränke, Bürostuhl. Alles für den Schuttberg vor Rheinbach. Ein Anlieger fährt mit einem Anhänger in seinen Hof. Aus Bottichen schwappt Wasser. Der Fahrer sagt:„In allen Zimmern steht der Schlamm. Ich habe nicht mal mehr eine saubere Unterhose.“ Dann beginnt er, auf dem Anhänger die Wäsche zu waschen, die er aus dem Schlamm gezogen hat. „Es gibt Leute, die sind schlimmer dran.“ Das ist an diesem Tag der Satz, mit dem sich viele trösten. Immer wieder wird auf das Schicksal der Menschen an der Ahr verwiesen. „Ja, ich habe die Dinge meines Großvaters verloren, der einmal Sattler war, und die schon fünfmal mit umgezogen waren. Aber wir leben noch und haben unsere Wohnung“, sagt eine Frau aus der Nachbarschaft. Auch ihr sei das Wasser bloß in den Keller geschwappt, weil die Lastwagen durchs Wasser fuhren.

Zuversicht inmitten der Trümmer

Daniele Notti, der gegenüber den Inhalt seines Kellers auf die Straße geschleppt hat, tröstet sich genauso: „Wenn ich das Leid der anderen sehe, möchte ich mich nicht beschweren. Ja, es sind Dinge von emotionalem Wert kaputt gegangen. Aber unser Lebensraum ist erhalten geblieben“, sagt der aus Kalabrien stammende 45-Jährige. „Die Zeichnungen aus dem Kindergarten, eigentlich meine gesamten Kindheitserinnerungen, habe ich hier rausgetragen.“ Und der Mann hat ein Anliegen: „Kinder sollten lernen, was es bedeutet, wenn das Wasser kommt. Auch wenn es selten passiert.“ Er sei mit ganz falschen Gedanken in den Keller gegangen. Eigentlich wollte er noch den Stecker von der Gefriertruhe ziehen. Erst im Nachhinein ist ihm eingefallen, dass ihn ein Stromschlag hätte treffen können, das Wasser die Tür blockieren oder ihn umhauen können. Der Schreck ist verwunden, und ein Campingkocher hilft bei der Essensbereitung ohne Strom im Ort.

Anwohner in Oberdrees

Foto:

Matthias Kehrein

Jochen Wiederhold aus Essig hilft beim Entrümpeln. Der 55-Jährige steht noch unter dem Eindruck der von der Flutwelle auf freier Strecke getöteten 30-Jährigen. „Das war schräg gegenüber vor meinem Haus. Außerdem geht in Essig noch gar nichts. Die Helfer blockieren den Verkehr, die Bundespolizei stellt Rollcontainer auf.“

Schicksale geklärt

Mehr als 850 als vermisst gemeldete Menschen haben die Ermittler mittlerweile telefonisch erreicht. Die Polizei sucht aktuell noch nach 14 Menschen aus dem Raum Bonn/Rhein-Sieg-Kreis und 2 aus dem Kreis Euskirchen.

Auf der Oberdreeser Straße hält Marc Sagawe kurz Inne. Der 48-Jährige hat gerade mit Helfern die Erinnungen aus 20 Jahren auf den Bürgersteig gepackt. „Da sind auch die Hochzeitsgeschenke dabei, die wir damals bekommen haben“, seufzt er. Aus dem Radio weiß er, dass die Stadt den Müll abfährt. Während der Evakuierung von Oberdrees konnte er mit Frau, Kind und Katze nach Meckenheim ins Johanniterstift. Dort arbeitet er auch. „Um 16 Uhr sind wir zurückgekommen und haben uns erst einmal den Schaden angeschaut. Heute um 7 Uhr haben wir angefangen auszuräumen.“ Seine Frau ist fertig. Alle Erinnerungsstücke an die Großmutter musste sie wegwerfen. „Bloß das Silberbesteck haben wir behalten. Das lässt sich polieren.“ Gottseidank, betont er, habe er eine Versicherung gegen Elementarschäden abgeschlossen. „Das Auto hatten wir noch in de Hof gefahren. Aber der war nicht hoch genug.“

Private Hilfe steht ganz oben

Längst ist Mittag, und die ersten Menschen sind wieder in der Ludwig-Fett-Halle, wo auf Tischen sortierte Hilfsgüter – Kleidung, Babynahrung, Hundefutter, Decken – ausgebreitet sind, warme Speisespenden verteilt werden und die Duschen warmes Wasser haben. „Das alles ist von privater Initiative ausgelöst worden“, erklärt ein Nachbar. Ein Helferin sagt: „Es war die Initiative von mehreren Parteien, die im Internet sofort Helfer aus vielen Gruppen gefunden hat.“ So sind auch die Geografiemasterstudentin Lisa Marie Pyka (27) und die arbeitsuchende ehemalige Tagesmutter Charlotte Olbeter (30) aus Köln nach Oberdrees gekommen. „Hinter uns steht das Kollektiv ,Kulturbüdchen‘. Wir kommen jeden zweiten Tag mit dem, was wir von den Spenden, die wir gesammelt haben, einkaufen konnten.“ Die Riesenpfanne mit Gasbetrieb hat ihnen der Wirt des Kult-Lokals „Bagatelle“ in der Kölner Südstadt geliehen.

Aber auch in der Halle fehlten den Helfern die Informationen. „Wir haben einen Leutnant von der Bundeswehr angesprochen, aber der hatte keinen Kontakt mit der Einsatzleitung“, sagte Monika Schwan. Die 63-Jährige aus der Nachbarschaft half am Dienstag bei der Essensausgabe. „Vor allem das warme Essen ist gefragt.“

Dann geht in der Halle kurz das Licht aus. Draußen betankt die Feuerwehr gerade das Stromaggregat, das der Landwirt Rainer von Meer zur Verfügung gestellt hat. 200 Liter Diesel passen in das 70-kW-Aggregat.

Das könnte Sie auch interessieren

Am Orbach in Swisttal-Odendorf

:

Für manche Bewohner gibt es keine Rückkehr

Das Wasser stand bis zum Ortsrand, selbst im Keller von Rüdiger Tyrra am Anfang der Schulstraße. Eigentlich wohnt der 53-Jährige hier alleine. Trotzdem hatte er plötzlich Helfer, als er nach vier Evakuierungen und einem Platzverweis durch das Ordnungsamt das Räumen seines Kellers fortsetzte. „Ich weiß nicht mal den Namen von demjenigen, der hier mit einer Pumpe ankam und das Wasser aus dem Keller geholt hat.“ Ohne Funknetz hat auch er kaum Informationen. Bei Bekannten hat er kurz etwas im Fernsehen gesehen. Tyrra: „Hier funktioniert keine Warnapp Nina, kein Kat Warn und keine Sirene.“ Eine Elementarversicherung hat er nicht. „Aber am Haus ist auch nicht viel, und für den Hausrat habe ich schon eine Schadensnummer erhalten, so dass wohl etwas zu erwarten ist.“ Zum ersten Mal seit Tagen trägt er wieder Schuhe. „Ich bin die ganze Zeit barfuß gelaufen.“

Es haben sich aber nicht nur Bewohner das Betretungsverbot gebrochen. „Ein Anwohner ist zurückgekommen und hat im Eingang seines Hauses Fremde verjagt. Wir sind sicher, dass das Plünderer gewesen sind.“