Eben noch gemütliches Zuhause, jetzt eine Hochwasserruine: Nikolaus Wilhelmy wohnt mit seiner Familie in der Straße „Am Teich“ in Sinzig. Dass hier einmal die Ahr durchfließen würde, konnte sich niemand vorstellen. Jetzt ist das Haus eine einzige Baustelle. Alles muss raus – Bodenfliesen, Estrich, kontaminierte Teile des Wandputzes. Doch die Familie nimmt ihr Schicksal mit System und Tatkraft an. Und zum Glück mit vielen Helfern.⋌
Nicolaj Meyer
Nikolaus Wilhelmy steht in seinem völlig zerstörten Wohnzimmer in der Straße „Am Teich“ . 150 Polizeianwärter von der Landespolizeischule am Hahn packten ebenso an wie eine Gruppe von Syrern. Viele helfende (dreckige) Hände wurden zum Bild des Gemeinschaftsgefühls für die Familie. Die Freunde der Söhne der Wilhelmys hinterließen diese.
Meyer
Nikolaus Wilhelmy steht in seinem völlig zerstörten Wohnzimmer in der Straße „Am Teich“ . 150 Polizeianwärter von der Landespolizeischule am Hahn packten ebenso an wie eine Gruppe von Syrern. Viele helfende (dreckige) Hände wurden zum Bild des Gemeinschaftsgefühls für die Familie. Die Freunde der Söhne der Wilhelmys hinterließen diese.
Wilhelmy
Freund und Helfer: Polizeianwärter von der Landespolizeischule auf dem Hahn schwangen die Vorschlaghämmer, um den Estrich und die Bodenbeläge in Wilhelmys Haus zu beseitigen.
Manfred Ruch
Das Haus der Wilhelmys wurde von der Sintflut überrollt. Bis zum zweiten Stock reichte das Wasser. Die Decke des Wohnzimmers ist völlig zerstört. Nach den Wellen aus der Ahr wurden die Sinziger dann aber von einer geradezu unglaublichen Welle der Hilfsbereitschaft erfasst. Zunächst, in der Nacht der Flut, schaffte es Andrea Schraaf-Wilhelmy gerade so aus einer Art Sprungwelle, als die Sintflut sie überraschte. Ein Unbekannter half ihr trotz eigener Not auf die Beine. Rettete vielleicht sogar ihr Leben. In dieser Nacht konnten die Wilhelmys noch nicht ahnen, wie viel mehr Hilfe sie noch brauchen und bekommen sollten.
Mit knapp 30 Freunden der beiden Söhne Maarten und Lennard ging die Solidarität weiter. Mehr als eine Woche schufteten die jungen Männer und Frauen Tag für Tag, schleppten bergeweise Eimer Schlamm – und hinterließen so etwas wie Kunst: viele dreckige Handabdrücke auf der Wohnzimmerwand. Was sonst wirklich niemand will, ist im Haus der Familie Wilhelmy das Bild des Gemeinschaftsgefühles geworden. „Mit diesem Bild fühlen sich die Leute dem Haus verbunden“, erklärt Wilhelmy. Wir haben das beeindruckende Bild bereits in der Samstagsausgabe gezeigt. Auf die Freunde folgten im Laufe der vergangenen Woche viele völlig fremde Menschen, die sich bei den Wilhelmys und dem Häuserblock engagierten. 1998 hat der heute 58-Jährige an seinem Haus mit eigenen Händen gebaut. „Dann haben wir uns in der Flutnacht umgedreht und uns von diesem Haus verabschiedet“, erinnert er sich. Der Plan für die nächsten Wochen: „Ich habe keinen Plan. Ich plane Tag für Tag. Ich weiß, dass ich einen Bautrockner brauche, der ist organisiert. Auch der Versicherungsgutachter kommt. Ich überlege jeden Morgen, was passieren kann.“
Helferfest zur Stärkung der Gemeinschaft
Auch wenn es nicht für alles einen Plan gibt, hat der bei einer Bank angestellte Wilhelmy einige Erfolgsrezepte für funktionierende Zusammenarbeit mit Helfern. Er ist sich sicher: Nicht erst beim Neueinzug wird es ein Fest geben. „Die Leute, die sich hier einsetzen, brauchen auch etwas zurück. Hier wird es noch mehrere Feste geben.“ So hat er, obwohl sein Haus am Freitag noch eher einer Kriegsruine glich, gleich ein Helferfest organisiert – und alle haben an diesem Tag die Arbeit ruhen lassen. Für ihn ist das ein Geheimnis, um die Solidarität zu erhalten. „Diese Gemeinschaft zu formen und sich für etwas zu bedanken, das man nie bezahlen kann, das ist einfach nur durch Gastfreundschaft und auch mal eine Pause möglich.“
Seine Familie müsse teilweise auch für die Helfer da sein, da das Bild der Zerstörung diese so belaste. „Wir dürfen an der Baustelle nicht schwach sein“, sagt das Familienoberhaupt. Während er davon erzählt, muss er kurz innehalten. Die Erlebnisse nagen an ihm.
Ebenso motiviert der Hausherr in einer WhatsApp-Gruppe immer wieder mit fröhlichen Bildern des Tages die dort beigetretenen Helfer. Von der guten Laune kann er zehren. Auch mal Frohmut und Partymusik beim Schlammschippen, das brachten die vielen Freunde der Söhne mit. Wilhelmy konnte aus der Leichtigkeit der jungen Freunde seines Sohnes viel Kraft schöpfen, sagt er.Der Sinziger koordiniert die meiste Zeit, steht mit Rat zur Seite, was gerade wo an Arbeitskraft gebraucht wird. Er glaubt, dass manche Menschen auch lieber dort helfen, wo es systematisch leichter geht. Man steht eben nicht herum, sondern wird gezielt eingesetzt.
Hilfe aus dem ganzen Land
Die Jugendlichen, die nun mehr als eine Woche im Einfamilienhaus „Am Teich 20“ geholfen haben, lernten laut Wilhelmy hier ein System, mit dem sie zum nächsten Haus, bei dem Hilfe gebraucht werde, ziehen können. „Das war die schönste Woche im vergangenen Jahr“, habe ein Jugendlicher zum Familienvater gesagt. Wegen des Coronavirus hatten viele lange nicht mehr eine solche Möglichkeit, ein solches Gemeinschaftsgefühl zu erleben.
Und die Hilfe ist so unterschiedlich wie die Vielfalt der Bundesländer. Nicht nur ein Feuerwehrtrupp aus Ravensburg taucht im Laufe des Sonntags in der Straße „Am Teich“ auf, um Keller leer zu pumpen und überall dort zu helfen, wo besondere Technik nötig ist. Auch am Samstag gaben sich – neben Freunden und Bekannten – bereits ortsfremde Helferinnen und Helfer regelrecht die Klinke in die Hand. Da war etwa das Trio aus dem Rems-Murr-Kreis, das noch am Nachmittag mit sauberer Arbeitskleidung und blitzblanken Eimern vor dem schwer malträtierten Einfamilienhaus stand und nach Arbeit fragte. Bis dahin hatten sie ohnmächtig in dem riesigen Stau gestanden, den die massenhaft angereisten Hilfstrupps rund um Bad Neuenahr-Ahrweiler produziert haben. Da war die Gruppe junger Leute aus Frankfurt, die in Sinzig tatkräftig zupacken wollten. Arbeit gab es genug. Schließlich muss der gesamte Estrich nebst Fliesen in Knochenarbeit aus dem zerstörten Wohnbereich entfernt werden. Ein Glück, dass auch noch genau die passenden Hilfskräfte eintrafen: 150 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter hatten sich am Samstag mit Mannschaftsbussen von der Landespolizeischule am Hahn aufgemacht, um im Katastrophengebiet mit anzupacken. Ein Trupp landete bei Wilhelmys. Die jungen Männer schwangen Stunde um Stunde die Vorschlaghammer, die Frauen schufteten und schleppten Eimer, was das Zeug hielt. Die Polizei – dein Freund und Helfer. Besser konnte man das nicht dokumentieren als mit diesem Einsatz im Ahrtal. Und: Die Truppe von der Landespolizeischule will noch mehrere Tage wiederkommen und anderen betroffenen Menschen im Flutgebiet helfen.
„Liebe für alle, Hass für keinen“
Es ist eine ganz eigenartige Atmosphäre, die sich da breitmacht. Ein Gefühl des Aufbruchs inmitten von Müllbergen, zerstörten Straßen und Häusern. Eine Gemeinschaft, die sich gegen das Chaos stemmt. Zu dieser Stimmung trägt auch bei, dass die Helfer bestens versorgt werden. Da sind die zwei jungen Männer mit einem Topf voller mittlerweile kalter Currywurst, andere bringen Bratwürstchen, Süßigkeiten oder Kaffee vorbei. Ein Metzger liefert Leberkäs-Brötchen mit Gruß auf der Tüte: „Haltet durch.“ Und dann nähert sich noch eine regelrechte Feldküche, aus der junge Männer Lasagne servieren.
Auch eine 30-köpfige Truppe von Syrern ist aus ganz Deutschland angereist, um an der Ahr zu helfen: Aus Berlin, Hamburg oder dem Saarland kommen sie. Die jungen Männer sind 2015 und 2016 mit der großen Flüchtlingswelle in Deutschland eingetroffen. Nun wollen sie etwas zurückgeben. „Wir wollen einfach helfen“, sagt Faris Allahham. Während die ehemaligen Flüchtlinge nahe dem Haus der Wilhelmys aus Hausnummer 7 Eimer um Eimer Schlamm tragen, sitzt um den Oberkörper eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Liebe für alle, Hass für keinen“.
Wieder ist ein Tag vorbei, wieder sind die Wilhelmys einen großen Schritt weiter auf diesem beschwerlichen Weg, der trotz aller Hoffnungsschimmer noch unendlich weit ist. Bald können die Sinziger in Bad Godesberg in eine Mietwohnung ziehen. Diese Bleibe wurde auch über Freunde vermittelt – mal wieder eine Hilfsaktion.Doch trotz allem positiven Denken bleibt für den Familienvater eine Frage im Raum stehen: „Wie kann es sein, dass eine solch hohe Flut nicht vorher erkannt wurde, dass nicht gewarnt wurde?“